Die Corona-Pandemie hat einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig medizinische Forschung ist, um die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern und evidenzbasiertes Wissen zu generieren. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V. fordert deshalb die künftige Bundesregierung dazu auf, bessere Rahmenbedingungen für die Gesundheitsforschung zu schaffen. Dazu gehöre beispielsweise, Laboren auch in Zukunft die Entwicklung eigener Untersuchungsverfahren zu ermöglichen und Registerdaten für die Forschung leichter zugänglich zu machen.

Die Untersuchung von Proben, die aus dem menschlichen Körper stammen, die sogenannte In-vitro-Diagnostik (IVD) ist unerlässlich für die Früherkennung, Diagnose und Überwachung von Krankheiten. Medizinische Labore verschiedenster Fachrichtungen in Kliniken oder Instituten sind aus Mangel an kommerziell verfügbaren Diagnostika insbesondere bei seltenen Erkrankungen sehr häufig auf eigenentwickelte Untersuchungsverfahren angewiesen.

EU-Verordnung zielt auf vereinheitlichte Anforderungen

Ab Mai 2022 soll in Deutschland eine EU-Verordnung umgesetzt werden, die die Anforderungen an die In-vitro-Diagnostik vereinheitlichen soll. „Die Vereinheitlichung des Rechtsrahmens ist grundsätzlich positiv, weil dadurch einheitliche Qualitätsstandards für die IVD definiert werden. Zugleich müssen jedoch einige Anforderungen dringend angepasst werden, damit die nicht-kommerziellen Labore in Kliniken auch in Zukunft spezielle Diagnostikverfahren anwenden können, mit denen Patient:innen besser geholfen werden kann“, so Professor Dr. med. Dr. med. dent. Henning Schliephake, stellvertretender Präsident der AWMF.

Vorrang für kommerzielle Verfahren

So sieht der aktuelle Entwurf der EU-Verordnung unter anderem vor, dass kommerzielle, von Firmen verkaufte Untersuchungsverfahren verwendet werden müssen, sobald diese für eine bestimmte Untersuchung verfügbar sind. Verfahren, die in nicht kommerziellen Laboren der Kliniken oder Institute entwickelt wurden, müssen in einem solchen Fall dann eingestellt werden.

Neue Regelung steht im Widerspruch zur freien Wahl des Verfahrens

Das sei hochproblematisch, so die Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostik der AWMF in einer aktuellen Stellungnahme zur Umsetzung der Verordnung in Deutschland: „Ein solches Vorgehen steht im Widerspruch zur freien Wahl des Verfahrens in Therapie und Diagnostik durch die Ärzteschaft“, sagt Schliephake.

Kosten und Investitionsrisiken für Unikliniken steigen

„Diese Regelung wird außerdem die Kosten der Labormedizin exzessiv in die Höhe treiben, da Hersteller ihre Monopolstellung ausnutzen können. Zudem wird die eigenständige Entwicklung von speziellen Testverfahren, insbesondere im Bereich der Universitätskliniken zu einem unwägbaren Risiko, da alle getätigten Investitionen verpuffen, sobald ein gleichartiges Verfahren auf den EU-Markt kommt“, erläutert Schliephake.

Eingeschränkter Zugang zu Registerdaten behindert Forschung

Eine weitere Hürde für die wissenschaftlich medizinische Forschung ist der eingeschränkte Zugang zu Registerdaten, um daraus Erkenntnisse für die Versorgung zu ziehen. „Der Zugang zu Registerdaten, beispielsweise von Krankenkassen, muss in der nächsten Legislaturperiode geregelt werden“, so Prof. Dr. med. Rolf-Detlef Treede, stellvertretender Präsident der AWMF.

Daten könnten helfen, die Versorgung zu verbessern

Dies zeige sich auch im aktuellen Entwurf einer Verordnung zum Betrieb des Implantateregisters Deutschland, der sogenannten Implantateregister-Betriebsverordnung (IRegBV). „In diesem Entwurf sind die bürokratischen Anforderungen für eine sekundäre Datennutzung zu hoch. Die Daten aus Registern können jedoch helfen, die Entstehung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten besser zu verstehen selbstverständlich unter Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Vorgaben. Nur so lässt sich die Patient:innenversorgung langfristig weiterentwickeln“, so Treede.

Künftig höhere Kosten für Genehmigung klinischer Studien?

Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Juli dieses Jahres außerdem einen Referentenentwurf einer Gebührenverordnung für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen vorgelegt. „Die Umsetzung dieses Entwurfs würde dazu führen, dass die Kosten für die Genehmigung von klinischen Studien deutlich steigen würden, was insbesondere akademisch initiierte Studien, sogenannte Investigator Initiated Trials (IITs) oder öffentlich-geförderte Studien benachteiligt“, sagt Schliephake.

AWMF fordert Gebührenerlass für öffentliche Einrichtungen

Die AWMF fordert den Erlass oder zumindest eine deutliche Reduktion der Gebühren für IITs, bei denen eine öffentliche Einrichtung – wie eine Universität – die Finanzierung trägt. „Sollten die im Referentenentwurf aufgeführten Gebühren in der geplanten Form umgesetzt werden, bedeutet dies eine substanzielle Gefährdung für den Studienstandort Deutschland und die unabhängige, akademische Studienkultur“, so Schliephake.

Innovationsfähigkeit der akademischen Forschung nicht gefährden

„Diese regulativen Hürden sind nur exemplarisch für die aktuelle Entwicklung und gefährden langfristig die Innovationsfähigkeit der akademischen Forschung und Medizin in der Europäischen Union und in Deutschland“, sagt Treede. Die AWMF appelliert deshalb in ihren gesundheitspolitischen Forderungen an die Politik, Hürden für die akademische und klinische Forschung abzubauen, damit drängende Forschungsfragen in der Medizin bearbeitet werden können.

Hier gelangen Sie zum Forderungspapier der AWMF


Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) | Redaktion