Menschen mit Diabetes mellitus sind auf diabetesgeschultes Pflegepersonal in stationären oder ambulanten Einrichtungen angewiesen. Gleichzeitig herrscht in Krankenhäusern und Pflegeheimen ein akuter Personalmangel. Bis zum Jahr 2030 werden 300.000 zusätzliche Pflegefachkräfte benötigt. [1] Darauf wies der Landesverband Nordrhein-Westfalen e. V. der Selbsthilfeorganisation Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH-M NRW) im Rahmen einer Online-Pressekonferenz hin. In einem Positionspapier fordert der Verband eine strukturiertere diabetologische Fort- und Weiterbildung von Pflegekräften sowie die Schaffung von Anreizsystemen.

Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland erkranken jährlich neu an Diabetes mellitus. Aktuell sind mehr als 8,5 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger betroffen. Sie sind auf diabetesgeschultes Pflegepersonal in stationären oder ambulanten Einrichtungen angewiesen. Gleichzeitig herrscht in Krankenhäusern und Pflegeheimen ein akuter Personalmangel.

Bis zum Jahr 2030 werden 300.000 zusätzliche Pflegefachkräfte benötigt. [1] Der Landesverband NRW der Deutschen Diabetes-Hilfe, Menschen mit Diabetes e. V., hat dieses Thema zum Anlass genommen, zusammen mit Akteuren aus dem Diabetesbereich und der Gesundheitsorganisation diabetesDE Forderungen an die Landespolitik in NRW zu erarbeiten, um die Missstände in der Pflege zumindest lindern zu können.

Die Forderungen an die Politik in NRW lauten wie folgt:
  1. Diabetologische Nachqualifikation durch Fort- und Weiterbildung von professionell Pflegenden in jeder ambulanten und stationären Einrichtung der Langzeitpflege, Psychiatrie und in der Akutpflege für eine evidenzbasierte Pflege
  2. Schaffung von Anreizsystemen sowohl für Institutionen als auch professionell Pflegende zur Steigerung der pflegerisch-diabetologischen Expertise
  3. Schaffung von Anreizsystemen hinsichtlich der Erfordernisse einer modernen Diabetologie und der Patientensicherheit
  4. Förderung der Bildung und Verankerung von diabetologischen Netzwerken

Hoher Versorgungsbedarf im stationären Setting

Laut einer bundesweiten Analyse in den Jahren 2015 bis 2017 hatten rund 18 Prozent (circa drei Millionen) der 16,4 bis 16,7 Millionen stationären Fälle eine Haupt- oder Nebendiagnose Diabetes [2]. Stoffwechselentgleisungen wie Hypo- und Hyperglykämie und Komorbidität erfordern ein flexibles und individuelles Management im stationären Setting. Die rasante Weiterentwicklung der medikamentösen Therapie des Diabetes mellitus (Insuline, orale Antidiabetika, Inkretine) und die technologischen Neuerungen (Insulinpumpen, Glukosesensoren, Hybridsysteme) erfordern eine Expertise mit stetigem Bedarf der Wissensaktualisierung. Insgesamt zeigt die Studie auf, dass sich im stationären Setting ein hoher Versorgungsbedarf abzeichnet, um die immer älter werdenden, oft multimorbiden Patienten mit Diabetes mellitus versorgen zu können. Doch aktuell haben nur 17 Prozent der Kliniken in Deutschland eine diabetologische Qualifizierung (DDG-Zertifizierung).

Thema Diabetes: Defizite in der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften

Eine unzureichende Versorgung birgt die Gefahr höherer Komplikationsraten und eine längere Liegedauer. „Trotz dieser hohen Prävalenz ist die Aus- und Weiterbildung von Pflegefachkräften zu Diabetes nicht ausreichend. In der Ausbildung zur Pflegefachkraft werden etwa 20 Stunden zum Thema Diabetes unterrichtet, eine verpflichtende Fortbildung zu diesem Thema nach dem Examen gibt es nicht“, sagt Claudia Lenden, Gesundheits- und Krankenpflegerin aus Köln. Im Arbeitsalltag erschweren zudem Zeitmangel, organisatorische und strukturelle Probleme in der Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Personal sowie anderen Schnittstellen die kompetente Versorgung von Menschen mit Diabetes Typ 1 oder Typ 2.

Oft geringes diabetologisches Wissen bei Pflegenden

In einer multizentrischen Querschnittsanalyse wurde das diabetologische Fachwissen von Pflegepersonal mittels eines Fragebogens erhoben. Das Ergebnis: Nur etwa ein Drittel der Befragten konnte korrekte Antworten zum Thema Ernährung bei Diabetes und nur 16 Prozent zum Thema Insulindosisanpassung geben. [3]

Das bestätigen auch Diabetespatientinnen und -patienten, die nach Aufenthalten in Kliniken und Pflegeinrichtungen häufig davon berichten, dass sich die Pflegefachkräfte nicht mit ihrer Erkrankung auskennen. „Pflegenden fehlt es oft an differenziertem Fachwissen, zum Beispiel zur Behandlung von Unter- und Überzuckerungen oder zum Umgang mit technischen Geräten wie Insulinpumpen“, so Lenden.

Belastende Situation für pflegende Angehörige

Ähnlich ergeht es älteren Menschen mit Diabetes, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung stetig steigt. Ein Viertel der Betroffenen mit Typ-2-Diabetes gehört der Altersgruppe der über 75-Jährigen an und circa eine Million ist über 80 Jahre alt. „Deutschlands größten Pflegedienst stellen die Angehörigen dar. Sie versorgen häufig ganz allein ihre Partnerinnen und Partner, Eltern usw. in der Häuslichkeit. Wie belastend diese Situation für die Erkrankten und Angehörigen ist, ist nicht vollends bekannt.

Einige Angehörige erfahren Unterstützung durch ambulante Pflegedienste“, sagt Doris Schöning, Mitglied im Fachbeirat der DDH-M NRW. Diese Situation führt häufig zu Konflikten. Denn die Mitarbeitenden des ambulanten Pflegedienstes verfügen zwar über eine hohe pflegerische Kompetenz, doch leider meist über ein geringes diabetologisches Wissen. „Angehörige erhalten auf einmal semikorrekte Informationen von den Pflegenden – anders als Diabetesteams sie vermitteln.“ Verlässliche Daten zur Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes und Unterstützungsbedarf in der Häuslichkeit liegen allerdings kaum vor, so Schöning.

Strukturierte diabetologische Fort und Weiterbildung für Pflegekräfte

In einem Positionspapier fordert die DDH-M NRW daher eine strukturierte diabetologische Fort- und Weiterbildung von professionell Pflegenden in allen ambulanten und stationären Einrichtungen der Langzeit- und Akutpflege sowie in der Psychiatrie. „Im Bereich der medikamentösen Diabetestherapie erleben wir rasante Weiterentwicklungen sowie zahlreiche technologische Neuerungen. Diese erfordern ein hohes Maß an Fachwissen, das stetig aktualisiert werden muss“, so Norbert Kuster, Landesvorsitzender und Geschäftsführer der DDH-M NRW.

Verband fordert finanzielle Anreize für Plegende und Einrichtungen

Den Pflegenden müsse Zeit und die Möglichkeit gegeben werden, sich fortlaufend zum Thema Diabetes weiterzubilden, sind sich die Referierenden einig. „Damit mehr Menschen sich für entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen entscheiden, müssen außerdem finanzielle Anreize geschaffen werden – sowohl für die Pflegenden selbst als auch für die Einrichtungen.“


Quellen
(2) Auzanneau, Marie; Fritsche, Andreas; Icks, Andrea; Siegel, Erhard; Kilian, Reinhold; Karges, Wolfram; Lanzinger, Stefanie; Holl, Reinhard W.: Eine bundesweite Analyse aller stationären Fälle mit und ohne Diabetes zwischen 2015 und 2017; Diabetes in the hospital – a nationwide analysis of all hospitalized cases in Germany with and without diabetes, 2015–2017. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 407-12; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0151

Quelle: Pressekonferenz anlässlich des „Internationalen Tages der Pflegenden“ von Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes, Landesverband Nordrhein-Westfalen (DDH-M NRW) am 11. Mai 2022 | Redaktion

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