Strukturierte Schulungsprogramme gehören zur Basis des Diabetes-Selbstmanagements. Die Programme sind evaluiert und zertifiziert. In Zeiten der Digitalisierung sowie Technologisierung müssen jedoch Anpassungen vorgenommen werden.

Die strukturierte Diabetes-Schulung ist und bleibt eine wichtige Basis der Diabetestherapie und des Diabetes-Selbstmanagements. In Deutschland gibt es die komfortable Situation, eine große Auswahl an strukturieren Schulungs- und Behandlungsprogrammen zu haben, sowohl für den Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes sowie für spezielle Therapieoptionen.

Viele dieser Programme wurden aufwändig in wissenschaftlichen Studien evaluiert und sind daher von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifiziert und vom Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) zur Abrechenbarkeit zugelassen. Doch bis strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme tatsächlich abrechenbar sind, haben sie meist einen langen Weg von bis zu 3-6 Jahren hinter sich, in denen die Programme auch nicht mehr groß angepasst werden dürfen.

Mit dem schnelllebigen Zeitalter der Digitalisierung und Technologisierung der Diabetestherapie ist dieser lange und starre Weg der Schulungs- und Behandlungsprogramme oft nicht vereinbar. Wie kann also die Diabetes-Schulung ins digitale Zeitalter geholt werden? Das Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) und der Kirchheim-Verlag Mainz arbeiten daher an einem digitalen Ökosystem Schulung.

Der lange Weg zur Abrechenbarkeit von strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogrammen

Die Entwicklung eines neuen strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogrammes kann grob in sechs Phasen eingeteilt werden:
  1. Planung und Vorbereitung: Hier werden die groben Rahmenbedingungen festgelegt, die genaue Zielgruppe und Anzahl der Kurseinheiten definiert sowie eine Themensammlung erstellt. Auch das Design, Aussehen und Layout des Programms werden hier festgelegt.
  2. Erstellung: Die längste Phase ist die tatsächliche Ausarbeitung der Inhalte und die Erstellung der Folien. Dies geschieht in enger Abstimmung mit Experten*innen (z.B. Diabetologen*innen, Diabe­tesberater*innen), die die Folien kritisch kommentieren und Feedback zur Überarbeitung geben. Zudem findet in dieser Phase das Fotoshooting statt, um das Programm auch ansprechend aussehen zu lassen. Am Ende dieser Phase steht die Studienversion des Schulungs- und Behandlungsprogramms fest.
  3. Evaluation: Die Studienversion wird dann in einer wissenschaftlichen Studie hinsichtlich Effektivität getestet, häufig mit einer randomisierten kontrollierten Studie mit einem mind. 6-monatigen Follow-up. Am Ende dieser Phase kann das Schulungs- und Behandlungsprogramm nochmals leicht angepasst werden, inhaltlich darf jedoch nichts Grundlegendes verändert werden. Mit Ende der Evaluation liegt das Schulungs- und Behandlungsprogramm in seiner finalen Fassung vor.
  4. Publikation: Wichtige Voraussetzung für die Zertifizierung des Schulungs- und Behandlungsprogramms ist die Veröffentlichung der Studienergebnisse in einem peer-reviewed Journal.
  5. Einreichung bei DDG und BAS: Nach der Veröffentlichung der Studienergebnisse, kann das Schulungs- und Behandlungsprogramm direkt vom Entwickler bei der DDG zur Zertifizierung eingereicht werden. Die Einreichung beim BAS darf jedoch nicht direkt durch den Entwickler des Programms, sondern muss über eine Krankenkasse erfolgen, die vorher das Programm selbst nochmals prüft. Das BAS prüft das Schulungs- und Behandlungsprogramm gemäß ihrer Disease-Management-Programme-Anforderungen-Richtlinie (DMP-A-RL) und entscheidet über die Abrechenbarkeit im Rahmen der DMP-Vereinbarungen.
  6. Abrechenbarkeit: Mit einem positiven Beschluss des BAS ist das Schulungs- und Behandlungsprogramm jedoch nicht automatisch abrechenbar. Hierfür muss das Programm erst in die regionalen DMP-Vereinbarungen der Kassenärztlichen Vereinigungen aufgenommen werden.

Diese Aufstellung soll Ihnen zeigen, dass zwischen der Erstellung der Folien eines neuen Schulungs- und Behandlungsprogramms und der prinzipiellen Abrechenbarkeit eine längere Zeit von ca. 18-34 Monaten liegen kann – diese Zeitspanne wird noch größer, wenn man die tatsächliche Abrechenbarkeit in regionalen DMP-Vereinbarungen zählt.

Bisher: Auflagengesteuerter Aktualisierungsrhythmus der Schulungs- und Behandlungsprogramme

Schulungs- und Behandlungsprogramme werden klassisch als sogenannter Schulungskoffer vertrieben, der alle Materialien für die Anwender sowie Beispielexemplare der Patientenmaterialien enthält: Hierzu zählen das Schulungsmanual, die Arbeitsmaterialien, das Patientenbuch und die Schulungsfolien auf einen USB-Stick für die Präsentation mit Beamer. Von diesen Materialen wird dann eine größere Auflage produziert.

Dies bedeutet, dass Aktualisierungen des Schulungs- und Behandlungsprogramms bisher nur dann möglich waren, wenn die aktuelle Auflage abverkauft war und eine neue Auflage erstellt werden muss. Neue Entwicklungen der Diabetestherapie (z.B. Leitlinienaktualisierung, Verfügbarkeit neuer Insuline, Medikamente, neue Glukosemesssysteme) können daher erst mit einer gewissen Verzögerung in bestehende Schulungs- und Behandlungs­programme aufgenommen werden.

Dieser auflagengesteuerte Aktualisierungsrhythmus machte es bisher schwer, die Programme aktuell und „up-to-date“ zu halten. Wichtig hierbei zu beachten ist jedoch, dass einmal evaluierte Schulungs- und Behandlungsprogramme nicht grundsätzlich verändert werden dürfen, da sonst eine Neu-Evaluierung bzw. Neu-Zertifizierung nötig werden.

Auf aktuelle, strukturelle Veränderungen der Schulungslandschaft, wie z.B. durch die Corona-Pandemie ausgelöst, kann derzeit nicht schnell reagiert werden. So konnten z.B. Hilfsmittel zur verbesserten Video-Schulung nicht in die bestehenden Schulungs- und Behandlungsprogramme eingebaut werden und sind daher nur bedingt für Video-Schulung geeignet. Dies zeigte auch ein Ergebnis des Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes 2021, bei der nur knapp 39% der Befragten angaben, dass mit den zertifizierten Schulungs- und Behandlungsprogrammen eine Video-Schulung möglich sei.

In Zukunft: Digitales ­Ökosystem Schulung

Der Aufbau eines digitalen Ökosystems für die Diabetes-Schulung soll hier nun Abhilfe schaffen. Erster Schritt ist die Umstellung der aktuellen Schulungs- und Behandlungsprogramme auf eine Cloud-Lösung. Mit diesem Schritt kann der auflagengesteuerte Aktualisierungsrhythmus durchbrochen und Aktualisierungen können schneller vorgenommen werden. Unser Ziel ist es hierbei, Ihnen nicht nur moderne Schulungsinhalte, sondern auch umfangreiche Funktionalitäten immer aktuell zum Download über die Cloud anbieten zu können.

Möglichkeiten dieses digitalen Ökosystems sind z.B.:
  • Schneller auf Veränderungen der Diabetestherapie reagieren können: z.B. Aktualisierung von Behandlungsleitlinien, Aufnahme neuer Therapieoptionen
  • Aktualisierung von Folien: z.B. Aufnahme neuer Insuline oder Wirkstoffe, Austausch von veralteten Bildern
  • Einsatz neuer Schulungstools: z.B. zur einfacheren Durchführung von Video-Schulungen
  • Anbieten von Zusatzmaterialien rund um die Schulung/Schulungsorganisation: z.B. Infoflyer für ein Schulungs- und Behandlungsprogramm, Abrechnungsinformationen, Einladungsflyer für die Schulung, spezialisierte Informationen zu einzelnen Themen
  • Erweiterung von Schulungstools: z.B. Hinzufügen von Videos der Erklärungsmodelle oder neue Protagonisten-Videos
  • Neue Funktionalitäten: z.B. Folien animierbar machen
  • Technische Updates: z.B. bei Software-Updates von Systemprogrammen

Im Rahmen dieses digitalen Ökosystems Schulung gibt es verschiedene Modelle, aus denen Sie wählen können. Um die verschiedenen Bedürfnisse jeder Praxis, jedes Nutzers und jeder Nutzerin abzudecken, haben wir uns für 3 Modelle entschieden (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Drei Modelle für den Zugriff auf Schulungs- und Behandlungsprogramme von FIDAM im Kirchheim-Verlag Mainz.

Folgende drei Schulungsmodelle werden angboten

  1. Das „Lizenz“ Modell: Mit einer Jahreslizenz erhalten Sie vollen Zugriff auf das digitale Ökosystem Schulung mit allen Zusatzmaterialien und automatischem Zugriff auf alle Updates zu dem in der Lizenz enthaltenen Schulungs- und Behandlungsprogramm. Zu Beginn der Lizenz erhalten Sie den Schulungskoffer mit allen Anwendungsmaterialien.
  2. Das „Update“ Modell: Nach dem einmaligen Kauf eines Schulungs- und Behandlungsprogramms erhalten Sie die Möglichkeit bei Verfügbarkeit eines Updates, sich dieses Update getrennt zu kaufen. Sie erhalten dann per Download die aktualisierten Schulungsfolien und sind bezüglich der Folien auf dem neuesten Stand.
  3. Das „alles-bleibt-so-wie-es-ist“ Modell: Sie können sich auch weiterhin für den einmaligen Kauf des Schulungs- und Behandlungsprogramms entscheiden. Sie erhalten dann wie gehabt den Koffer mit allen Anwendungsmaterialien. Das Schulungsprogramm können Sie sich mit einem Code herunterladen. Sie haben keine Verpflichtung ein Update in Anspruch zu nehmen oder sich für die Lizenz zu entscheiden!

Neu: Schulungs-Bundle

  • Im Rahmen des Lizenz-Modells wird es erstmalig auch sogenannte Schulungs-Bundle geben. Ein Schulungs-Bundle ist eine Zusammenfassung mehrerer Schulungs- und Behandlungsprogramme in einer Lizenz.
  • Typ-2-Bundle: In diesem Bundle sind die Programme MEDIAS 2 BASIS, MEDIAS 2 ICT, MEDIAS 2 BOT+SIT+CT sowie das SGS-Programm enthalten. Zusatzmaterialien werden sich auf die Typ-2-Therapie und neue Medikamente konzentrieren.
  • Typ-1-Bundle: In diesem Bundle sind die Programme PRIMAS, INPUT und HyPOS enthalten. Zusatzmaterialien werden sich auf die Typ-1-Therapie und neue Diabetes-Technologien fokussieren. Gesamt-Bundle: Alle Programme des Typ-1- und Typ-2-Bundle sind hier zusammengefasst.

Mit dem Abschluss einer Lizenz für ein Schulungs-Bundle haben Sie somit Zugriff auf alle Schulungs- und Behandlungsprogramme innerhalb dieses Bundles, sowie auf alle Aktualisierungen und Zusatzmaterialien für diese Programme. Ein Schulungs-Bundle bietet Ihnen daher ein hohes Maß an Funktionalität, wie z.B. Interoperabilität der Schulungsfolien untereinander, umfangreiche Downloads und Komfort bei der Durchführung von Schulungen.

Coming soon

Das digitale Ökosystem Schulung wird gerade aufgebaut und soll sukzessive um Funktionen erweitert werden. Aktuell umfasst es nur die von FIDAM entwickelten bzw. betreuten Schulungs- und Behandlungsprogramme. Geplant ist, ihnen Teile dieses digitalen Ökosystems Schulung bereits zur Herbsttagung der DDG zur Verfügung stellen zu können. Wir werden Sie hierüber natürlich weiterhin auf dem Laufenden halten.


Autor:
Dr. Dominic Ehrmann
Diplom-Psychologe
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie
Mergentheim (FIDAM)
Theodor-Klotzbücher-Straße 12
97980 Bad Mergentheim
Website: www.fidam.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (9) Seite 54-56