Huisman SD, Hendrieckx C, Bot M, Pouwer F, Nefs G; Leiden, Niederlande; Diabet Med. 2022;10.1111/dme.14953. doi:10.1111/dme.14953.

Einführung: Untersuchung der Prävalenz und der Gesundheitsrisiken in Folge von Essanfällen bei Menschen mit Diabetes.

Methode: Es wurden Selbstberichte einer Unterstichprobe (n = 582 Typ-1-Diabetes und n=735 Typ-2-Diabetes) der Online-Umfrage Diabetes MILES - Niederlande analysiert. Die Prävalenz von Essanfällen wurde je nach Diabetestyp und Behandlung sowie zwischen Teilnehmern mit und ohne Essanfälle in Bezug auf Stil des Essverhaltens, Diabetesbehandlung und -ergebnisse, Gewicht, BMI und psychologische Komorbidität verglichen. Assoziationen zwischen Binge-Eating, HbA1c, BMI und Diabetes-Belastung wurden mittels hierarchischer linearer Regressionsanalysen untersucht.

Ergebnisse: 23 % (n = 308) der Teilnehmer berichteten über Essanfälle, davon 16 % mindestens monatlich und 6 % mindestens wöchentlich. Prävalenz und Häufigkeit der Essanfälle unterschieden sich nicht abhängig vom Diabetes-Typ oder der Behandlung. Personen, die über Essanfälle berichteten, erzielten höhere Werte bei der Einschränkung der Nahrungsaufnahme sowie beim emotionalen und externen Essen. Sie gaben ein höheres Gewicht und einen höheren BMI an als Personen ohne Essanfälle. Nur Personen mit Typ-1-Dia­betes und Essanfällen hatten einen höheren HbA1c-Wert. Hierarchische Regressionsanalysen zeigten, dass Essanfälle unabhängig voneinander mit einem höheren HbA1c-Wert (β = 0,12, p = 0,001) und BMI (β = 0,13, p < 0,001), nicht aber mit der Dia­betes-Belastung verbunden waren.

Schlussfolgerungen: In dieser Studie wurde festgestellt, dass Binge-Eating mit Essstilen, BMI und HbA1c assoziiert ist. Die Querschnittsdaten lassen jedoch keine Rückschlüsse auf die Kausalität zu. Künftige Studien könnten die Richtung dieser Zusammenhänge und ihre klinischen Auswirkungen weiter untersuchen.

Kommentar: Das Binge-Eating, d. h. Essattacken, aber auch ständiges unkontrolliertes Essen („grazing“), ist gegenüber der sehr viel bekannteren Anorexia nervosa eine häufige Störung des Essverhaltens, die oft lange Zeit nicht diagnostiziert wird. Die Essattacken sind meist schambesetzt, finden diskret statt und werden verheimlicht. Schwankende Glukosewerte und Übergewicht sind Hinweise, aber auch die Ablehnung eines Glukosesensors. Um Betroffene zu unterstützen, sollten Essattacken nicht wertend erfragt, in ihrer Ausprägung erfasst und ggf. therapeutische Hilfen angeboten werden. Ansätze zur kognitiven Verhaltenstherapie in Kombination mit einer adäquaten Ernährungsberatung haben sich hier bewährt.



Autorin:
Prof. Dr. rer. nat. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2022; 22 (5) Seite 49