Seidel-Jacobs E, Ptushkina V, Strassburger K, Icks A, Kuss O, Burkart V, Szendroedi J, Müssig K, Bódis K, Karusheva Y, Zaharia OP, Roden M, Rathmann W für die GDS Gruppe; Düsseldorf, Deutschland; Diabet Med. 2022;e14833. doi:10.1111/dme.

Fragestellung: Es ist unklar, ob der sozioökonomische Status (SES) mit der glykämischen Kontrolle bei Menschen mit kürzlich diagnostiziertem Diabetes zusammenhängt. In der Studie sollte untersucht werden, ob der sozioökonomische Status mit dem Hämoglobin-A1c-Wert (HbA1c) im ersten Jahr nach der Diagnose bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes assoziiert ist und ob metabolische Faktoren, die Qualität der Versorgung oder psychische Faktoren diesen Zusammenhang erklären können.

Studiendesign und Methoden: In dieser Deutschen Diabetes-Studie wurden bei Menschen mit Typ-1-Diabetes (n = 274, mittleres Alter 36 [25.; 75. Perzentil: 28; 48] Jahre) und mit Typ-2-Diabetes (n = 424, 54 [47; 60] Jahre) innerhalb des ersten Jahres nach der Diagnose die Stoffwechselwerte detailliert erfasst. Der SES wurde anhand eines standardisierten Fragebogens dokumentiert. Der Zusammenhang zwischen dem SES und dem HbA1c-Wert wurde mittels multivariabler linearer Regression und Restricted Cubic Spline-Regressionsanalysen untersucht. Zusätzliche Kovariablen waren Patientencharakteristika, Labormessungen, Gesundheitsverhalten, Qualität der Versorgung und Depressionswerte. Die Modelle wurden getrennt nach Diabetestyp, SES und dessen Dimensionen (Einkommen, Bildung, Beruf) angepasst.

Ergebnis: Ein höherer SES-Wert war bei Menschen mit Typ-1-Diabetes mit einem niedrigeren HbA1c-Wert assoziiert (–0,7 mmol/mol pro Einheit Anstieg des SES, 95 % CI: –1,1; –0,2 mmol/mol [0,1 %, 95 %CI: –0,1; 0,0 %]). Eingeschlossene Kovariablen schwächten diesen Zusammenhang nicht ab. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes lagen die Effektschätzer nahe bei Null, dies weist auf keinen relevanten Unterschied hin.

Schlussfolgerung: Sozioökonomische Ungleichheiten bezogen auf das HbA1c treten bei Menschen mit Typ-1-Diabetes bereits im ersten Jahr nach der Diagnose auf. Das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen glykämischer Kontrolle und SES bei Typ-2-Diabetes könnte auf die geringere Komplexität der Diabetestherapie im Vergleich zum Typ-1-Diabetes zurückzuführen sein.

Kommentar: Obwohl insbesondere beim Typ-1-Diabetes in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen in der Therapie durch neue Technologien erreicht wurden, zeigt diese Studie eindrucksvoll, dass davon bei weitem nicht alle Betroffenen in gleicher Weise profitieren. Vielmehr scheint – ähnlich wie beim Präventionsparadoxon – die Schere zwischen Patienten mit höherem SES und denen aus unteren sozioökonomischen Schichten bezogen auf das HbA1c weiter aufzugehen. Die Technologien helfen insbesondere denen, die ihren Typ-1-Diabetes bereits erfolgreich behandeln können, während andere weiterhin durch zu hohe Ansprüche an das Selbstmanagement überfordert sind. Zukünftige neue Entwicklungen in der Diabetestherapie sollten daher konkrete Erleichterungen und einfache Konzepte zum Ziel haben, um allen Betroffenen vergleichbare Chancen zu eröffnen.



Autorin:
Prof. Dr. rer. nat. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2022; 22 (3) Seite 48-49