Fällt der Blutzucker in einen zu niedrigen Bereich, sodass Symptome wie beispielsweise Schwitzen, Zittern, Hungergefühl bis hin zu Bewusstseinstrübungen auftreten, wird gemäß der Definition der amerikanischen Diabetes Gesellschaft (ADA) von einer Hypoglykämie ab Werten unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) gesprochen.

Eine feste Grenze, welches Beschwerdebild auftritt, gibt es nicht, somit aber auch keine einheitliche Definition, je nach Literatur und Toleranz der Betroffenen. Gerade bei Menschen mit Typ-1-Diabetes, die häufig Unterzuckerungen erlebt haben, kann die Wahrnehmungsschwelle im Laufe der Zeit sinken und bemerken die Unterzuckerung ggfs. sehr spät. Warnsignale von kontinuierlichen Messsysteme sind heutzutage eine sehr gute Hilfestellung.

Warum es zu einer Unterzuckerung kommen kann, sollte mit folgender Aufzählung ein unbedingter Schulungsinhalt sein:

  • Wurden im Verhältnis zur Insulingabe zu wenig Kohlenhydrate gegessen?
  • Wurde bei körperlicher Aktivität der gesteigerte Energiebedarf nicht einkalkuliert oder der Auffülleffekt des Glycogens nach der Bewegung nicht bedacht?
  • Wurde Insulin überdosiert oder das Insulinpräparat verwechselt oder wurde ein unangemessener Spritz-Ess Abstand gewählt?
  • Wurde Insulin in den Muskel gespritzt und ein schnellerer Wirkeintritt wurde provoziert?
  • Wurde bei Typ 2 Diabetes die Einnahme von oralen Antidiabetika wie Sulfonylharnstoffe eingenommen und keine Kohlenhydrate gegessen?
  • Wurde Alkohol konsumiert (Wein und Schnaps), die über Stunden das Lebergycogen blockieren? (Gefahr vor einer nächtlichen Unterzuckerung)
  • Gibt es eine verbesserte Insulinaufnahme durch Wärme, wie Sonneneinstrahlung oder Sauna?
  • Gibt es eine gesteigerte Insulinwirkung oder einen geringeren Bedarf an Insulin im Körper, z. B. in der frühen Schwangerschaft oder nach einer Gewichtsabnahme oder bei einer vorliegenden Niereninsuffiizienz ?

Was müssen Menschen mit Diabetes über auftretende Unterzuckerungen wissen?

Die körperlichen Anzeichen wie Heißhunger, zittrige Hände, Aggressivität, Clownerie, Schweißausbrüche, Herzklopfen, weiche Knie sollten von den Betroffenen richtig zugeordnet werden können. Da jeder Mensch andere Symptome empfindet oder in manchen Fällen keine körperlichen Anzeichen aufweist, ist eine Blutzuckerkontrolle zur Überprüfung unerlässlich. Die Wahrnehmung des jeweiligen Blutzuckers zu schärfen, obliegt eines Trainings, welches auch in speziellen Schulungsprogrammen erlernt werden kann.

Angehörige können wertvolle Unterstützer für das Erkennen einer Hypoglykämie sein, indem sie auf Sprachstörungen, kalter Schweiß, Unruhe, Aggressivität, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen achten.

Häufig werden Unterzuckerungen nach Schweregrad unterschieden:

Bei einer milden Unterzuckerung ist der Patient oder die Patientin in der Lage, sich durch die Einnahme von Kohlenhydraten selbst zu helfen.

Zur unmittelbaren Selbstbehandlung werden vier Plättchen Traubenzucker Dextroenergen (20g), 200 ml Saft, Zuckerlösung oder Limonade mit 20g Kohlenhydraten oder auch 10 Gummibärchen (21g Kohlenhydrate) empfohlen, um den Blutzucker um 60-80mg/ dl (3,3-4,4mmol/l) zu erhöhen.
Vgl. Haak T et al. Therapie des Typ-1-Diabetes… Diabetologie 2020; 15 (Suppl 1): S40–S50 | © 2020. Thieme. All rights reserved Tabelle S. 46

Im Anschluss sollten die Blutzuckerwerte engmaschig überprüft werden, um einem möglichen erneuten Abfall des Blutzuckers entgegen zu wirken.

Auch sollte bekannt sein, dass fetthaltige Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Schokolade, sich nicht als rasche Gegenmaßnahme bei einer Unterzuckerung eignen. Diese Tatsache begründet sich durch den Fettgehalt, welcher den Übergang der Kohlenhydrate ins Blut verzögert und somit nicht schnell genug wirken kann.

Bei einer schweren Unterzuckerung ist er oder sie hingegen auf Hilfe von anderen angewiesen, jedoch darf ihr oder ihm nichts eingeflößt werden, da dies versehentlich in die Atemwege gelangen könnte und Erstickungsgefahr droht. Der gerufene Notdienst unter 112 kann eine Glukoselösung in die Vene verabreichen, um die Werte wieder zu stabilisieren.

Zur Fremdbehandlung werden Angehörige und Betroffene für den Umgang mit Glukagon (Hypokit zum Spritzen – Notfallset) geschult. Den Umgang mit einem Glukagon-Spritzenset sollten sie sich nach Möglichkeit vorab einmal zeigen lassen, damit sie im Notfall richtig handeln können. Glukagon ist ein Gegenspieler von Insulin. Das Hormon fördert die Freisetzung von Glukose aus den Reserven des Körpers in die Blutbahnen. Das funktioniert im Körper aber nur, wenn die Leber nicht mit dem Alkoholabbau beschäftigt ist und keine Ausbelastung des Körpers zuvor stattgefunden hat (Ausdauertraining oder Marathon).

Seit März 2020 ist in Deutschland auch ein Glukagon-Notfallset als Nasenspray erhältlich. Es enthält eine Einzeldosis Glukagon und kann auch bei verstopfter Nase, Schnupfen oder vorheriger Verwendung eines abschwellenden Nasensprays eingesetzt werden. Es ist EU-weit zugelassen zur Behandlung schwerer Unterzuckerungen bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab 4 Jahren.

Die Beschwerden, mit denen sich eine Unterzuckerung äußert, können von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein.

Erste Hilfe bei Unterzuckerung (Hypoglykämie)

Ursachen erkennen: Immer nach dem Schwimmen, oder an Wochenendtagen, an denen nicht zu Mittag gegessen wird – Unterzuckerungen entstehen oft in typischen Situationen. Es hilft, für sich zu erkennen, in welchen Momenten das bei einem der Fall ist. So lässt sich rechtzeitig gegensteuern.

Hier finden Sie das Erst-Hilfe-Schema „Erste Hilfe bei Unterzuckerung (Hypoglykämie)

Therapie anpassen: Der Umstieg auf ein anderes Insulinpräparat oder ein anderes Spritzschema kann dazu beitragen, dass Unterzuckerungen seltener auftreten. Betroffene sollten über entsprechende Möglichkeiten mit dem Arzt oder der Ärztin sprechen.

Technik einsetzen: Geräte zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und Insulinpumpen können helfen, abfallende Glukosewerte und Unterzuckerungen rechtzeitig zu erkennen und die Häufigkeit von Unterzuckerungen zu verringern. Diese Hilfsmittel bekommen Patientinnen und Patienten in bestimmten Fällen von der Krankenversicherung erstattet.

Hypo-Wahrnehmungstraining besuchen: Vor allem bei langjähriger Diabetes-Dauer und häufigen Unterzuckerungen können die typischen Symptome erst bei sehr niedrigen Blutzuckerwerten auftreten oder ganz fehlen. Bei einer solchen Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung kann ein Hypo-Wahrnehmungstraining helfen, die Signale des Körpers bei Unterzuckerungen wieder wahrzunehmen und den Blick für entsprechende Situationen zu schulen.

Umfeld einbeziehen: Angehörige können erste Anzeichen einer Unterzuckerung (Abb. 1) wie Unruhe oder Gesichtsblässe oft vor dem Betroffenen selbst wahrnehmen. Menschen mit Typ-1-Diabetes sollten deswegen mit ihrem Umfeld besprechen, welche Symptome eine Unterzuckerung verursacht und wie sie im Notfall unterstützen können. (vgl. diabInfo 2022)

Erfahren Sie hier mehr zum Blutzuckermessen

Schwerwiegende Folgen

Für betroffene Menschen werden Unterzuckerungen besonders dann zum Problem, wenn sie gehäuft auftreten und/oder mit schwerwiegenden Folgen einhergehen wie Hilflosigkeit, Bewusstlosigkeit und Krampfanfälle. Probleme mit der Wahrnehmung von Unterzuckerungen können außerdem zu Belastungen im Alltag und zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen und liegen somit fern von allen Therapiezielen.

Das strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramm HyPOS – Unterzuckerungen besser wahrnehmen, vermeiden und bewältigen soll Menschen mit einem insulinbehandelten Diabetes helfen, Unterzuckerungen wieder besser wahrzunehmen, zu vermeiden und zu bewältigen.

Teilnehmende sollen…

  1. 1. ihre Selbstbeobachtung zu verbessern und die Wahrnehmung erster Unterzuckerungsanzeichen zu trainieren

  2. 2. neue Anzeichen zu entdecken und niedrige Werte früher zu erkennen

  3. 3. Angehörige und Partner einzubeziehen

  4. 4. eigene Blutzuckerzielbereiche zu überdenken

  5. 5. Ursachen niedriger Blutzuckerwerte herauszufinden

  6. 6. die eigene Insulintherapie unter die Lupe zu nehmen und zu optimieren

  7. 7. niedrige Blutzuckerwerte vermeiden

  8. 8. Unterzuckerungen gut zu bewältigen oder gut zu reagieren

  9. 9. Lernen Konflikte in Familie, Partnerschaft und Beruf zu vermeiden

  10. 10. Keine Gefährdung im Straßenverkehr durch niedrige Blutzuckerwerte riskieren

Beim Autofahren ist Konzentration gefragt und so können Hypoglykämiene am Steuer besonders gefährlich sein. Gerade bei einer bekannten Anfälligkeiten für Hypoglykämien gilt es besondere Vorsichtsmaßnahmen im Straßenverkehr einzuhalten, damit kritische Situationen vermieden werden

  1. 1. Vor der Fahrt den Blutzucker messen und bei niedrigen Werten schnelle Kohlenhydrate essen bis der Blutzuckerspiegel wieder in Ordnung ist.

  2. 2. Die Dokumentation der Blutzuckerwerte und der Behandlungsmaßnahmen ist eine rechtliche Absicherung.

  3. 3. Man sollte IMMER schnelle Kohlenhydrate für Notfälle im Auto dabei haben und bei einer beginnenden Unterzuckerung die Fahrt sofort unterbrechen bis der Blutzucker sich normalisiert hat.

Wenn Unterzuckerungen nachts im Schlaf auftreten, werden diese manchmal nicht bemerkt, jedoch am nächsten Morgen mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Kopfschmerzen beantwortet. Die körpereigene Gegenregulation und Gluconeogenese der Leber infolge von Stresshormonen wird der Blutzuckerwert am Morgen nach einer nächtlichen Unterzuckerung stark erhöht, Somogyi-Effekt genannt. Niedrige Blutzuckerwerte nach dem Aufwachen können Anzeichen einer nächtlichen Unterzuckerung sind auch möglich und sollte durch eine Blutzuckerkontrolle zwischen 2.00 und 3.00 bei Verdacht überprüft werden. Messsysteme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) erleichtern dieses Verfahren ungemein.

Die diabetische Ketoazidose ist ein Notfall und benötig vorherige Schulung

Eine diabetische Ketoazidose ist eine schwerwiegende Komplikation bei Diabetes und wird häufig mit DKA abgekürzt, bei welcher der Zuckergehalt im Blut stark ansteigt, sich Säuren bzw. Ketone bilden und im Blut ansteigen. Der chemische Haushalt des Körpers ist aus dem Gleichgewicht und muss sofort behandelt werden. Menschen mit Typ-1-Diabetes tragen ein höheres Risiko für eine DKA.

Mögliche Auslöser einer Ketoazidose auch bei gut "informierten" Patienten sind:

  1. 1. Insulininjektion vergessen und Blutzucker > 250mg/dl (13,9 mmol/l)

  2. 2. Entgleisung durch starken Infekt
  3. 3. Die Kanüle einer Insulinpumpe fällt unbemerkt ab, so dass die Insulinversorgung unterbrochen ist

  4. 4. Messgerät defekt oder die Teststreifen wurden falsch gelagert (z. B. lose im Etui), CGM oder GFM Sensor defekt oder gibt falsch niedrige Werte an

  5. 5. Der Insulinbedarf nimmt etwa durch eine Infektion, Verletzung oder Operation stark zu, ohne dass die Insulindosis angemessen erhöht wird
  6. 6. Feste feiern mit alkoholischen Getränken und geringen Kontrollen oder Korrekturen<

  7. 7. Vergessen was ein DKA ist oder nicht daran denken, wie sich das anfühlt

Betroffenen müssen die Symptome der Ketoacidose erkennen und kennen:

  1. 1. Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen im Oberbauch

  2. 2. Acetongeruch aus dem Mund, über die Haut und dem Harn

  3. 3. Tiefe und betonte Atmung (Kußmaul´sche Atmung) als Hilfsmechanismus zur Abatmung aus dem Körper

  4. 4. Bewußtseinstrübung

  5. 5. Anzeichen der Überzuckerung (Durst und trockener Mund, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit, Kraftlosigkeitv

Es wird unbedingt empfohlen, dass Betroffene mit Typ-1-Diabetes mellitus Teststreifen zur Messung der Ketonkörper im Urin oder im Blut (sofern ein geeignetes Messgerät zur Ketonmessung vorhanden ist) verfügbar haben und im Umgang mit diesen sowie der Interpretation der Messwerte geschult wurden (Tabelle 1).

Eine rechtzeitige Ketonmessung in Urin oder Blut ist im Verdachtsmoment wichtig und es muss vermittelt werden, da einige der Menschen mit Typ 1 Diabetes im entscheidenden Moment einfach nicht an eine DKA denken. Die klassischen oben genannten Körpersignale werden oft mit anderen Ursachen als mit Insulinmangel in Verbindung gebracht.

Keton-Streifen (Blut/Urin) zur Messung für zuhause sind unerlässlich. Lieber sind diese nach 2 Jahren verfallen, als das keine Streifen zur Ketonbestimmung verfügbar sind.

Ein Krankenhausaufenthalt ist meist unvermeidlich, wenn erst Erbrechen bereits eingesetzt hat.

Mögliche Verfahren zum Vorgehen sind: Ruhe Bewahren, Ursachenfahndung, Aceton messen, Korrekturinsulin spritzen nach folgendem Verfahren s.u., viel Flüssigkeit zuführen (Wasser und/ oder Tee), häufigere Blutzuckerkontrollen (stündlich)oder kontinuierlich.

Welches Verhalten ist bei einer positiven Acetonmessung wirklich wichtig?

  1. 1. Korrekturinsulin bei einfach positiver Messung: 5% mehr Insulin wie üblich

  2. 2. Zweifach positive Messung der Ketone: 10% mehr Insulin wie üblich

  3. 3. Dreifach positive Messung der Ketione: 20% mehr Insulin wie üblich und den Notarzt rufen!

  4. 4. Viel Wasser trinken, wenn keine extreme Übelkeit vorliegt

  5. 5. Keinesfalls Bewegung.

Die Ketogenese sollte keinesfalls unterschätzt werden und muss konsequent mit Gegenmaßnahmen behandelt werden. Ohne Gegenmaßnahmen und eine angemessene Insulingabe als Therapie führt eine Ketoazidose zu einem diabetischen Koma und ist lebensgefährlich.

Was sollten Sie bei Infekten (mit und ohne Fieber) oder Infektionen an Hautpartien beachten?

Als Empfehlung sollte bei Infekten der Blutzucker engmaschiger kontrolliert werden, z.B.etwa alle 3 Stunden, um eine Korrektur des Blutzuckers zu vornehmen zu können. Metformin und SGLT2-Hemmer sollten bei fieberhaften Infekten und geplanten Operationen unbedingt pausiert werden, um das Risiko einer metforminassoziierten Laktatacidose (MALA) oder eine Ketogenese zu schmälern.

Zur Prävention vor Infekten empfiehlt die ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts (STIKO) Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes sich jährlich rechtzeitig gegen Grippe impfen bzw. vor Corona bustern zu lassen. Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) finden Sie weitere Informationen zu Hygienetipps im Alltag unter www.infektionsschutz.de.

Notfallausweis sinnvoll

Ein Notfallausweis informiert Ärztinnen und Ärzte sowie Ersthelferinnen und Ersthelfer im Notfall über die bestehende Diabetes-Erkrankung und eingenommene Medikamente. Das Diabetesnetz Deutschland bietet den Diabetes-Notfallausweis in 7 verschiedenen Designs an. Von schlicht bis bunt gemustert ist für jeden etwas dabei: für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Abb. 2).


Autorin:
Dr. Nicola Haller
Vorstandsvorsitzende des Verbands der
Diabetes-Beratungs- und Schulungs-
berufe in Deutschland (VDBD)

stellv. Vorsitzende diabetesDE –
Deutsche Diabetes-Hilfe


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (10) Seite 20-23

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