Erziehung und Familienmanagement erfordern von allen Eltern einen hohen Einsatz. Wie belastet sind Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes, und wie können wir das schnell erfassen?

Die täglichen Herausforderungen durch familiäre und berufliche Aufgaben können bei Eltern zu Überlastung und erhöhtem Stress führen.

Viele Eltern sind besorgt über das Verhalten ihrer Kinder oder fühlen sich durch die Vielzahl an Anforderungen überfordert. So klagen heute 40% aller Eltern über "Mental Load", also eine psychische Belastung durch die Organisation der vielfältigen Alltagsaufgaben. Mütter sind dabei besonders betroffen. Nach wie vor tragen sie häufig zusätzlich zu ihrer beruflichen Tätigkeit den Hauptanteil an der Bewältigung der familiären Aufgaben.

Diabetes - eine zusätzliche Lebensaufgabe

Die Diagnose eines Typ-1-Diabetes (T1D) bei einem Kind stellt eine zusätzliche Belastung für Familien dar. Eltern erleben die Diagnose häufig als traumatisch und die damit einhergehenden Anforderungen erscheinen zunächst nur schwer zu bewältigen zu sein. So zitieren Whittemore und Kollegen (2012) den Elternteil eines Kindes mit T1D mit den Worten: "Es war, als hätte man ein riesiges Telefonbuch ausgehändigt bekommen und müsste alle Namen auswendig lernen, bevor man nach Hause geht." Die emotionale Belastung ist für Eltern gerade in der ersten Zeit nach der Diagnosestellung hoch. Ein Großteil der betroffenen Eltern weist im ersten Jahr nach Diagnosestellung eine auffällige depressive Symptomatik auf. Ein Teil erfüllt dabei die Diagnosekriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung, besonders dann, wenn das Kind initial mit einer schweren Ketoazidose intensivmedizinische behandelt werden musste.

Diabetes Distress

Die Symptome gehen in der Regel im ersten Jahr nach Manifestation deutlich zurück. Allerdings liegt auch noch Jahre später der Anteil klinisch auffälliger Angst- und erhöhter depressiver Symptome bei Eltern von Kindern mit T1D über demjenigen in der Allgemeinbevölkerung. Viele Eltern berichten von erhöhtem Diabetes-Distress, d.h. einer Stressreaktion aufgrund von krankheitsspezifischen Belastungen. Hierunter fällt z. B. die emotionale Belastung aufgrund der lebenslangen Erkrankung und der Sorge um Folgeerkrankungen eines Kindes. Über verschiedene Studien hinweg berichten ca. 30% der Eltern unter Diabetes-Distress zu leiden.

Der Hauptanteil an der Behandlung des T1D liegt im Familienalltag. Bei jüngeren Kindern wird die Therapie vollständig von den Eltern verantwortet und diese zusätzliche Aufgabe im Erziehungsalltag wird oft als sehr belastend erlebt. Eine wichtige Möglichkeit für alle Eltern Stress zu reduzieren und eigene Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen, ist es, Zeit für sich oder die Partnerschaft zu haben. Entlastung finden Eltern im Allgemeinen häufig durch gegenseitige Unterstützung. Wenn Kinder sich untereinander verabreden, ergibt sich für Eltern wechselseitig die Möglichkeit, "kinderfreie Zeit" zu nutzen. Dies kann eine große Entlastung und Hilfe im Familienalltag darstellen. Diese Unterstützungsmöglichkeit erleben Eltern von einem Kind mit Typ-1-Diabetes häufig als nur eingeschränkt möglich. Wodurch sich Regenerationszeiten reduzieren.

Die täglichen Anforderungen durch die Diabetesbehandlung nehmen für Eltern ab, wenn die Kinder älter werden und die Behandlung Schritt für Schritt selbst übernehmen. Eine Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover konnte zeigen, dass dagegen die emotionale Belastung der Eltern, z. B. Sorgen und Ängste, nicht weniger werden, wenn die Kinder älter werden. Bis zu 60% der Eltern gaben in dieser Studie eine hohe emotionale Belastung an, die sich nicht mit dem Alter der Kinder bzw. Jugendlichen reduzierte.

Herausforderungen bei der Betreuung in Kita und Schule

Die Diagnose eines T1D bei einem Kind wirkt sich nicht nur auf die subjektive Belastung der Eltern aus. Familien sind auch objektiv belastet: für viele Familien ergibt sich nach der Diagnose die Notwendigkeit, die berufliche Tätigkeit einzuschränken., um das Diabetesmanagement im Alltag erfolgreich zu bewältigen. Laut Studien sind es nahezu immer Mütter, die ihre berufliche Tätigkeit reduzieren, um ein Kind mit T1D bestmöglich zu versorgen. Dies hat neben kurzfristigen finanziellen Einbußen auch Konsequenzen für die langfristige finanzielle Situation der Familie und insbesondere der Mütter.

Besonders schwierig kann die Betreuung von Kindern mit T1D in Kindergarten und Schule sein. Gefragt nach ihren Wünschen, sprach sich ein Großteil der Eltern in einer Studie für mehr und qualifizierte Unterstützung in Kindergarten und Schule aus. Da die wenigsten Schulen in Deutschland über ständige Gesundheitsfachkräfte verfügen, greifen in der Regel individuelle Versorgungskonzepte, die von Eltern häufig ein hohes Maß an Engagement erfordern. Erzieherinnen und Lehrkräfte müssen informiert und geschult werden, Notfallkonzepte erarbeitet und abgestimmt werden. Im Einzelfall muss eine individuelle Schulbegleitung organisiert werden. Dies sind zusätzliche Aufgaben, die nicht alle Elternteile bewältigen können. Erschwerte Bedingungen haben z. B. Eltern, die auf wenig soziale Unterstützung zurückgreifen können oder sich mit der deutschen Sprache und dem Umgang oder der Kontaktaufnahme mit Institutionen schwertun. Insbesondere alleinerziehende Elternteile tragen die Organisationslast häufig ohne soziale Unterstützung. Hilfreich sind hier die Unterstützungs- und Informationsangebote der pädiatrischen Diabetesteams. Informations- und Schulungsmaterialien für Lehrer:innen, Erzieher:innen und Eltern finden sich z. B. auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische und adoleszente Endokrinologie und Diabetologie (DGPAED) (https://dgpaed.de).

Zusammenhang: elterliche Gesundheit und HbA1c des Kindes

Die Art und das Ausmaß an möglichen zusätzlichen Belastungen für Eltern von einem Kind mit T1D sind wie dargestellt vielfältig. In vielen Studien zeigen sich Zusammenhänge zwischen einer hohen psychosozialen Belastung der Eltern und einem ungünstigen Erziehungsverhalten. Zusammenhänge konnten auch für ein erhöhtes Ausmaß an Diabetes-Distress und Erziehungsverhalten gefunden werden. Wenig hilfreiches Erziehungsverhalten wiederum geht häufig mit einer unzureichenden Stoffwechseleinstellung und einem erhöhten Risiko für stationäre Krankenhausaufenthalte der Kinder einher. In vielen Studien war das Vorhandensein von depressiven Symptomen oder Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei den Eltern direkt mit einer unzureichenden Stoffwechseleinstellung der Kinder verbunden.

Aber nicht immer spiegelt sich eine erhöhte psychische Belastung der Eltern in den HbA1c-Werten der Kinder wider. Häufig scheinen Eltern ihre eigene Befindlichkeit zurück zu stellen, um zugunsten der Kinder "zu funktionieren" und sich gut um die Diabetesbehandlung zu kümmern.

Fokus auf das Befinden der ganzen Familie

Langfristig ist sowohl für die Eltern selbst als auch für Kinder und Geschwisterkinder eine stabile psychosoziale Situation wichtig. Deshalb wird empfohlen, auch bei Müttern und Vätern von Kindern mit T1D regelmäßig zu erfassen, wie hoch ihre psychische Belastung ist. Dies kann zum einen durch direkte offene Nachfragen im ärztlichen Gespräch geschehen.

Offene Nachfragen im Gespräch mit den Eltern
"Mir ist aufgefallen, dass…" "Sehen Sie das auch so?" "Machen Sie sich Sorgen um zu hohe/zu niedrige Glukosewerte…?" "Was meinen Sie genau mit…?" "Wie haben Sie es geschafft, mit dem Diabetes umzugehen..." "Viele Eltern erleben ...wie ist das bei Ihnen" "Wie können Sie nachts schlafen?" Das AID-System scheint viel Einsatz von Ihnen zu fordern..."

Zum anderen können Screening-Fragebögen für Eltern zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um kurze Fragebögen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit belastete Personen identifizieren können. Für Eltern von Kindern mit T1D sind z. B. solche geeignet, die eine auffällige Angst- oder Depressionssymptomatik erfassen oder solche, die diabetesspezifische Belastung der Eltern erfragen.

Screeninge-Fragebögen im Internet
Screening-Fragebögen zum Wohlbefinden von Eltern und Kindern mit T1D Weitere Fragebögen, z. B. zur Hypoglykämieangst oder Angst vor Folgeerkrankungen unter: www.diabetes-psychologie.de

Hilfen für Eltern

Für den Fall, dass Eltern stark belastet sind, sollte ihnen weiterführende psychologische oder psychotherapeutische Unterstützung angeboten werden. Hierbei kann es sich z. B. um Beratungsangebote handeln, die auf unterschiedliche Bereiche spezialisiert sind (siehe Kasten unten). Beratungsstellen bieten in der Regel kurzfristige Unterstützung an. Je nach Problemlage können spezifische Beratungsstellen für Erziehungsfragen, Partnerschaftsprobleme oder soziale Fragestellungen aufgesucht werden.

Beim Vorliegen einer klinisch relevanten psychischen Störung sollte Eltern eine psychotherapeutische Behandlung angeboten werden. Hier ist zunächst der Hausarzt der erste Ansprechpartner, um eine Diagnose zu stellen und eine Grundversorgung anzubieten. Verschiedene Anlaufstellen führen darüber hinaus Verzeichnisse über psychotherapeutische Versorgungsmöglichkeiten in der jeweiligen Umgebung (siehe Kasten rechts). Da im Fall einer auffälligen psychischen Belastung häufig schnelle Unterstützung gesucht wird, ist es hilfreich, sich als Diabetes-Team bereits im Vorfeld zu informieren, welche Versorgungsmöglichkeiten vor Ort zur Verfügung stehen und auch mit einzelnen Praxen oder Beratungsstellen in Kontakt zu treten und sich über Zugangsmöglichkeiten und Wartezeiten zu informieren. Ein sehr schneller Zugang zu Hilfen bei den häufigsten psychischen Problemen bieten digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die von Ärzten oder psychologischen Psychotherapeuten verordnet werden können. Eine Liste der zugelassenen DiGA und Beschreibungen der Inhalte sind auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) (https://www.bfarm.de).

Fazit

Nicht nur für Kinder mit T1D ist es wichtig, gesunde Eltern zu haben. Eltern haben einen herausfordernden "Job", und Eltern von einem chronisch kranken Kind müssen sich mit zusätzlichen Anforderungen und Herausforderungen auseinandersetzen. Eine frühzeitige psychosoziale Unterstützung ist nicht nur sinnvoll für die Bewältigung momentaner familiärer Herausforderungen, sondern auch im Hinblick auf mögliche langfristige psychische Beeinträchtigungen von Eltern und ihren Kindern. Der pädiatrische Diabetologe Prof. Dr. Fergus Cameron schrieb dazu: "Motivation, family support, mental health, and access to care are clearly important factors in the attainment and maintenance of excellent metabolic control in type-1-Diabetes."



Autoren:
© privat
Dr. Heike Saßmann
Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Weiterer Autor:
Prof. Karin Lange


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (11) Seite 28-30