Die Stoffwechseleinstellung in den frühen Lebensjahren ist von großer Bedeutung für die Langzeitprognose von Menschen, die im Kindesalter an Diabetes erkranken. Dazu ist die Unterscheidung anderer Diabetesformen von Typ-1-Diabetes für die richtige Behandlung von großer Bedeutung.

Die Prävalenz von Typ-1-Diabetes ist in Ländern mit hohem Einkommen etwa zehnmal höher als in Ländern mit niedrigem Einkommen. In Deutschland sind mehr als 37 000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren betroffen. Da es in Deutschland kein bundesweites Register für Diabetes-erkrankungen gibt, kann diese Zahl nur anhand von lokalen Registern geschätzt werden.

Bei Übergewicht an Typ-2-Diabetes denken

Die Prävalenz bei Kindern unter 15 Jahren wird in den nächsten Jahren weiter deutlich steigen. Da 40 % der weltweit 9 Millionen T1D-Fälle unter 40 Jahre alt sind, stehen die Diabetologen vor der Herausforderung, den autoimmunen T1D von anderen Diabetesformen zu unterscheiden.

Ab der Pubertät muss bei entsprechender Klinik (Acanthosis nigricans, Übergewicht, Familienanamnese) auch an einen Typ-2-Diabetes gedacht werden. Typ-2-Diabetes muss auch bei Jugendlichen im Kontext der mit Adipositas assoziierten Erkrankungen gesehen werden. In Deutschland beobachten wir einen ansteigenden Trend an juvenilem Übergewicht bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren auf 16,2 % bei Mädchen bzw. 18,5 % bei Jungen. Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozio-ökonomischen Status sind etwa 4-mal häufiger betroffen. Die zurückliegenden Restriktionsmaßnahmen im Rahmen der COVID-19-Pandemie in Deutschland haben diesen Trend noch verstärkt: Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen in der Region Hannover zeigten einen signifikanten Anstieg von Übergewicht und Adipositas von 8,9% im Jahr 2017 auf 14,4% im Jahr 2022. Störungen im Zuckerstoffwechsel bestehen bereits bei ca. 12 Prozent von Jugendlichen mit Adipositas. Die jährliche Inzidenz von juvenilem Typ-2-Diabetes zeigt ebenso einen steigenden Trend und liegt aktuell mit ca. 170 Neu-Erkrankungen noch hinter dem internationalen Spitzenreiter USA, wobei insgesamt von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Ende 2020 stieg die Prävalenz von Typ-2-Diabetes in Nordrheinwestfalen mehr als doppelt so schnell wie die von Typ-1-Diabetes an. Die rechtzeitige Diagnose eines Typ-2-Diabetes ist insbesondere auch hinsichtlich der besonders schlechten Prognose eines bereits im Jugendalter auftretenden Typ-2-Diabetes von großer Bedeutung. Die erschreckenden Ergebnisse der Nachuntersuchung der amerikanischen multizentrischen TODAY-Studie, die von 2004 bis 2011 drei Behandlungsansätze (Metformin, Metformin plus Rosiglitazon oder Metformin plus eine intensive Lebensstilintervention) bei Jugendlichen mit Typ-2-Diabetes verglichen, sollte Ansporn für eine rechtzeitige Diagnose und intensive Behandlung sein. Obwohl nach Abschluss der Studie die Teilnehmer auf Metformin mit oder ohne Insulin umgestellt wurden, wiesen am Ende der Beobachtungsphase (Januar 2020) die ca. 500 Probanden – inzwischen mit einem mittleren Alter von 26 Jahren und einer mittleren Diabetesdauer von 13 Jahren - eine kumulative Inzidenz für Bluthochdruck von 67,5 %, für Dyslipidämie von 51,6 %, für diabetische Nephropathie von 54,8 % und für Nervenerkrankungen von 32,4 % auf. Die Mehrzahl der Teilnehmer wies demnach bereits erhebliche Folgererkrankungen in jungem Alter auf.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im August 2021 die Detailarbeit zum strukturierten Behandlungsprogramm (Disease Management Programm, DMP) Adipositas aufgenommen. Die detaillierten Anforderungen will der G-BA bis zum 31. Juli 2023 beschließen. Es bleibt zu hoffen, dass es auch vordringlich Aspekte zur Adipositas bei Kindern und Jugendlichen und Prävention des Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen beinhaltet. Neben einer langfristigen Fortführung der allgemeinen Verhaltensänderungen unter Verwendung moderner Behandlungsansätze z.B. im Hinblick auf Ernährung, Bewegung, Schlaf, Medienkonsum etc. sollten angesichts der schlechten Prognose auch Aspekte einer medikamentösen Behandlung (z.B. Liraglutid, Saxenda®) Berücksichtigung finden.

Richtige Weichenstellung zur bestmöglichen Betreuung
Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter. Manchmal wird dabei übersehen, dass die Diagnose nicht stimmt und eine seltene Diabetesform dahintersteckt. Der größte Teil der seltenen Krankheiten hat einen komplexen genetischen Ursprung. Studien deuten darauf hin, dass es im Durchschnitt 6 Jahre dauert, bis eine seltene Diagnose gestellt wird, und dass eine falsche Behandlung bei seltenen Krankheiten üblich ist. Ob es bei einer Hautrötung bei Verwendung der jetzt immer mehr verwendeten Diabetestechnologie, des untypischen klinischen Bildes einer Diabetesmanifestation oder der Beratung hinsichtlich der aktuellen Studien zum Erhalt der Restfunktion – immer noch werden zu häufig die richtigen Weichen zur bestmöglichen Betreuung nicht rechtzeitig gestellt. Diese drei Themen stehen daher im Mittelpunkt des diesjährigen Schwerpunkts zur Kinderdiabetologie.

ENDO-ERN für genetische Diabetes-Formen

Eine weitere wichtige Differentialdiagnose des Typ-1-Diabetes im Kindesalter ist ein Diabetes im Rahmen genetischer Erkrankungen. Sogenannte monogene Diabetesformen werden durch eine pathogene Variante eines einzigen Gens verursacht, die autosomal dominant oder rezessiv vererbt wird. Monogener Diabetes wird klinisch in drei Hauptgruppen eingeteilt: 1) Maturity Onset Diabetes of the Young (MODY), 2) Neonataler Diabetes (NDM), der vor dem sechsten Lebensmonat auftritt, und sowie 3) andere Subtypen wie Multisystem-Syndrome (z. B. Wolfram- oder Alström-Syndrom), mitochondrialer Diabetes, der durch Mutationen in der mütterlichen mitochondrialen DNA verursacht wird, schwere Insulinresistenz und Lipodystrophie. Um hier einen raschen Zugang zu spezieller Expertise für diese seltenen Erkrankungen zu ermöglichen, wurde auf europäischer Ebene das ENDO-ERN geschaffen. Dies ist ein europäisches Referenznetz, das sich auf seltene hormonelle Erkrankungen konzentriert. Es ist in acht Untergruppen von endokrinen Oberbegriffen unterteilt. Die seltenen Diabetesformen sind in der Gruppe MTG3: genetische Störungen der Glukose- und Insulinhomöostase abgebildet. Die Hauptaufgabe des ENDO-ERN ist es, die medizinische Versorgung bei seltenen endokrinen Erkrankungen zu verbessern. Es stellt eine europaweite Vernetzung dar, um den Wissensaustausch zu fördern und so der ungleichen Verteilung von medizinischem Fachwissen und der unterschiedlichen Gesundheitsversorgung von Menschen mit seltenen endokrinen Erkrankungen entgegenzuwirken. Sie ist durch eine gleichberechtigte Mitwirkung von pädiatrischen und erwachsenen Endokrinologen gekennzeichnet.

MODY- und Neugeborenen-Diabetes

MODY ist die häufigste monogene Form des Diabetes und macht mindestens 1% aller Fälle von Diabetes mellitus aus. Epidemiologische Studien berichten von einer Häufigkeit von 1-6,5 % MODY in pädiatrischen Diabetespopulationen was ähnlich oder sogar höher ist als die Häufigkeit von Typ-2-Diabetes. Dennoch werden monogene Diabetesformen in den meisten Diabeteszentren häufig unterdiagnostiziert, wahrscheinlich weil sich klinische und Laborbefunde mit anderen Diabetestypen überschneiden können und Gentests nicht verfügbar bzw. zu kompliziert zu veranlassen sind. Bei mehreren monogenen Diabetestypen haben eine genaue Diagnose und eine anschließende, auf der Ätiologie basierende Behandlung drastische Auswirkungen auf die Patientenversorgung, da mit adäquater Behandlung die Stoffwechselkontrolle verbessert und die Lebensqualität erhöht werden kann. Die Umstellung von Insulin auf orale Wirkstoffe (Sulfonylharnstoffe) ist bei HNF1a / HNF4A-MODY und bei Neugeborenen-Diabetes aufgrund von genetischen ABCC8- und KCNJ11-Mutationen, die zu Störungen der K-ATP-Kanalkomponenten der Zellmembran betreffen, angezeigt. In der Tat kann eine frühzeitige Behandlung mit Sulfonylharnstoff bei Patienten mit K-ATP-Kanal-Mutationen, die mit Neugeborenendiabetes assoziiert sind, eine lang anhaltende Remission des Diabetes bewirken. Außerdem sollte die Remission eines vorübergehenden Neugeborenen-Diabetes ohne Hypoglykämie-Therapie eine genetische Analyse nicht ausschließen. Bei Patienten, bei denen eine GCK-Mutation diagnostiziert wurde, ist keine pharmakologische Behandlung angezeigt .

Genetische Tests zu selten

Nach den Empfehlungen der Internationalen Gesellschaft für Kinder- und Jugenddiabetes (ISPAD) ist ein Gentest unmittelbar nach der Diagnose eines Neugeborenendiabetes obligatorisch. Bei Kindern und Jugendlichen sollte ein Test auf monogenen Diabetes durchgeführt werden, wenn eine positive Familienanamnese für Diabetes vorliegt, keine typischen Diabetes-Antikörper vorhanden sind oder eine erhaltene Betazellfunktion mit sehr niedrigem Insulinbedarf vorliegt. Die Identifizierung eines monogenen Diabetes ist von Bedeutung, da sie nicht nur eine gezielte Behandlung sondern außerdem auch ein Screening von Risikoverwandten ermöglicht. Grundsätzlich wird daher bei der klinischen Diagnose eines Diabetes im Kindesalter die Bestimmung von Diabetes-Antikörpern als Grundlage für eine möglicherweise erforderliche weitere Diagnostik empfohlen.

Dennoch ist die Überweisung an spezialisierte Zentren zur Diagnose von monogenem Diabetes von Region zu Region unterschiedlich, was vor allem auf Unterschiede im Bewusstsein und im Zugang zu geeigneten Screening-Tests zurückzuführen ist. International gibt es Ungleichheiten beim Zugang zu Antikörper- oder Gentests, insbesondere dort, wo die Tests nicht im Gesundheitssystem angeboten und/oder von Kostenträgern nicht übernommen werden. Häufig werden auch Diagnosen vermutet, aber die Kliniker haben Zweifel bei den Interpretationen der vorliegenden Ergebnisse. Noch besorgniserregender sind die Probleme, die entstehen, wenn die genetische Diagnose gestellt wird, aber keine Änderungen in der klinischen Behandlung vorgenommen werden. Es bleibt die Hoffnung, dass durch die Schaffung des ENDO-ERN diese Probleme verbessert werden.


Autor:
Prof. Dr. med. Thomas Danne
Chefarzt Diabetologie, Endokrinologie und Allgemeine Pädiatrie sowie klinische Forschung
Kinderkrankenhaus auf der Bult
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover
E-Mail: danne@hka.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (11) Seite 11-13