Wang M-T, Huang Y-L, Lai J-H et al; Diabetes Care 2022: 45(5): 1276 – 1287.
Fragestellung: Frühe Studien haben eine Intraklassendifferenz für bedeutende kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) bei Sulfonylharnstoffen gezeigt. In vitro- und ex vivo-Studien berichteten über hochaffine Blockaden von kardialen mitochondrialen ATP-sensitiven Kaliumkanälen (mitoKATP) bei manchen Sulfonylharnstoffen und eine Interferenz mit ischämischem Präkonditionieren, der wichtigsten kardialen Selbstprotektion. Allerdings untersuchten keine Studien, ob diese variierenden Bindungsaffinitäten der Sulfonylharnstoffe ihre Intraklassendifferenzen von MACE erklären könnten. Es wurden verglichen Sulfonylharnstoffe mit hohen Affinitäten für mitoKATP-Kanäle mit solchen mit niedrigen Affinitäten hinsichtlich des MACE-Risikos unter real-world-Bedingungen.
Studiendesign und Methoden: Es wurden Patienten mit Typ-2-Diabetes aus dem Datensatz des nationalen Gesundheitsversicherungssystems Taiwans in die Kohortenstudie eingeschlossen, die zwischen 2007 und 2016 eine Sulfonylharnstoff-Monotherapie begonnen hatten. Insgesamt wurden 33 727 Nutzer von Sulfonylharnstoffen mit hoher mitoKATP-Kanalaffinität (Glyburid und Glipizid) und Nutzer von Sulfonylharnstoffen mit niedriger Affinität (Gliclazid und Glimepirid) nach einem 1:1 propensity score matching identifiziert. Cox proportional hazard-Modelle dienten zur Erfassung der hazard ratios (HR) und des 95 % CI.
Resultate: Sulfonylharnstoffe mit einer hohen Affinität zu mitoKATP-Kanälen waren mit einem signifikant höheren Risiko für 3-Punkt-MACE (aHR 1,21 [95 % CI 1,03 – 1,44]), ischämischen Apoplex (aHR 1,23 [95 % CI 1,02 – 1,50]) und kardiovaskulären Tod (aHR 2,61 [95 % CI 1,31 – 5,20]), aber nicht mit dem für Myokardinfarkt (aHR 1,04 [95 % CI 0,75 – 1,46]) assoziiert. Die Analyse der Dauer – Reaktion zeigte das höchste MACE-Risiko innerhalb von 90 Tagen der Therapie (aHR 4,67 [95 % CI 3,61 – 6,06]).
Schlussfolgerung: Sulfonylharnstoffe mit hoher Affinität zu kardialen mitoKATP-Kanälen sind assoziiert mit erhöhtem MACE-Risiko verglichen mit Sulfonylharnstoffen mit niedriger Affinität in der nationalen Population mit Diabetes.
Kommentar: Sulfonylharnstoffe galten viele Jahre als Therapie mit kardiovaskulärem Risiko, besonders diejenigen mit langer Wirkdauer, vor allem auch wegen gehäufter schwerer Hypoglykämien. Etliche Studien und zusammenfassende Metaanalysen haben später die Sulfonylharnstoffe rehabilitiert als kardiovaskulär neutral, zwar ohne Benefit für das kardiovaskuläre System, aber auch ohne zusätzliches Risiko. Dass kürzer wirkende „moderne“ Sulfonylharnstoffe bei kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten günstiger sind mit weniger kardiovaskulären Ereignissen, konnte ebenfalls belegt werden, vermutlich bedingt durch weniger schwere hypoglykämische Episoden. Die vorliegende Studie belebt nun das „alte Sulfonylharnstoff-Problem“ wieder. Die Autoren bleiben aber Daten über die Einstellungsqualität und die Hypoglykämiefrequenz der beiden Therapie-Gruppen schuldig.
Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2022; 22 (3) Seite 44-45