Ob der weibliche Monatszyklus, die Pubertät, Schwangerschaft oder die Menopause – der weibliche Organismus ist auch hinsichtlich der Hormone durch viele spezifische Eigenschaften geprägt. Doch allzu häufig finden frauenspezifische Aspekte keinen oder zu wenig Eingang in die Versorgung und Therapie von Patientinnen. Auch in der Diabetes-Therapie erfahren beispielsweise hormonelle Schwankungen im weiblichen Organismus häufig keine große Beachtung, dabei können sie maßgeblich die Insulinwirkung beeinflussen. Die Lösung: eine geschlechtersensible Versorgung.

Geprägt durch die historische Entwicklung der Gesundheitsforschung und -lehre, in der vorrangig Männer präsent waren, gilt bis heute der männliche Organismus als Norm in der medizinischen Forschung und Versorgung – und das, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass sich Symptome, Verläufe und Risiken etlicher Erkrankungen je nach Geschlecht unterscheiden.

Geschlechtsspezifische Indikationen insbesondere bei Schlaganfällen

Ein viel benanntes Beispiel sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere Schlaganfälle. Zwar lässt sich das Risiko für einen Schlaganfall bei Frauen und Männern zu einem Großteil auf die gleichen Faktoren zurückführen, dennoch gibt es auf beiden Seiten geschlechtsspezifische Indikationen.

Bei Frauen sind das beispielsweise eine spät eintretende Menopause und Bluthochdruck in der Schwangerschaft; bei Männern erhöht eine erektile Dysfunktion das Risiko für einen Schlaganfall [1]. Auch hinsichtlich der Genesung arbeiten der weibliche und der männliche Organismus unterschiedlich – Frauen erholen sich tendenziell schlechter von einem Schlaganfall [2].

Obwohl das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer geschlechtersensiblen Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren gewachsen ist, dominieren nach wie vor der Blick auf den männlichen Körper und die sich daraus ableitenden Behandlungsmethoden.

Das hat zum einen damit zu tun, dass Männer in der Gesundheitsforschung nach wie vor stärker vertreten sind, zum anderen auch mit der Unterrepräsentanz von weiblichen Protagonistinnen in medizinischen Studien. Der sogenannte Gender Data Gap beschreibt diesen „blinden Fleck“ in der Erforschung von Erkrankungen, bezieht sich aber auch auf viele andere wissenschaftliche Erhebungen, in denen zu wenige Daten zu Frauen erhoben werden oder gänzlich fehlen – und das, obwohl Frauen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen [3].

Geschlechterspezifische Bedürfnisse – und damit ist nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht gemeint, mit dem sich ein Mensch identifiziert – müssen demnach paritätisch berücksichtigt werden, um eine gleichberechtigte Gesundheitsversorgung aller Menschen zu gewährleisten.

Geschlechtsspezifischen Besonderheiten und Diabetesberatung

Was bedeutet das für die Diabetesberatung? Diabetes-Teams sollten sich mit den verschiedenen geschlechtsspezifischen Besonderheiten auseinandersetzen – sprich gleichermaßen mit denen des männlichen und des weiblichen Organismus. Diese Bewusstseinsförderung hilft, um Patientinnen und Patienten aus einer geschlechtersensiblen Perspektive heraus beraten und betreuen zu können und auch die Betroffenen selbst aufzuklären.

So kann auch in der Prävention bereits auf individuelle Risikofaktoren und Spezifika eingegangen werden. Bei Frauen mit Diabetes spielt beispielsweise der Hormonspiegel hinsichtlich Insulinwirkung und -resistenz eine größere Rolle als bisher angenommen: ein Abfall oder sprunghafter Anstieg der Hormone Östrogen und Progesteron kann zu deutlichen Blutzuckerschwankungen führen.

Lebensphasen, in denen der weibliche Hormonspiegel stark schwanken kann, sind beispielsweise Schwangerschaften, die Menopause oder die Pubertät. Letzteres bewirkt insbesondere bei weiblichen Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 häufig stärkere Blutzuckerschwankungen, gepaart mit einem gleichzeitig auftretenden Prämenstruellen Syndrom (PMS).

Dieses kann vielschichtige Auswirkungen auf den Organismus und die Emotionen der Betroffenen haben und tritt im Rahmen des Menstruationszyklus mehrere Tage vor der Regelblutung ein. Hier sind von Dia­betes-Teams Sensibilität und ein genauer Blick auf die Insulindosis gefragt. Auch eine Schwangerschaft erfordert aufgrund hormoneller Schwankungen besondere Berücksichtigung in der Beratung von Diabetespatientinnen.

Hinzu kommt, dass in der Schwangerschaft eine Diabeteserkrankung neu auftreten kann. Gestationsdiabetes mellitus zählt zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Damit die Erkrankung nach der Entbindung nicht chronisch wird, werden Kontrolltermine zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels empfohlen. Auch außerhalb der Diabetologie sind medizinische Teams demnach gefordert, geschlechtsspezifisch zu beraten und zu betreuen.

Die Geschlechterperspektive ist nicht nur in der Diabetesberatung, sondern im gesamten Gesundheitswesen unumgänglich, um in Versorgung, Forschung und Therapie die Bedürfnisse von Frauen gleichberechtigt zu achten und aktiv unser Gesundheitssystem so zu gestalten, dass jedem Menschen gleich welchen Geschlechts bestmöglich geholfen wird, gesund zu werden und zu bleiben.


Quellen

Autorin:
Asja Harder
Assistenz der Geschäftsführung, Redaktion Digitale Medien
VDBD sowie VDBD AKADEMIE
Tel.: 030 847 122-495


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (6) Seite 46-47