Hilfreich für die Praxis? Dieser Frage ging der niedergelassene Diabetologe Jochen Schmidt-Walczuch in einem mit Fallbeispielen gespickten Vortrag auf der VDBD-Tagung 2022 in Frankfurt nach. Sein Ausgangspunkt: Die schwedische Studie von Ahlquist et al. "Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables", 2018 im "The Lancet" veröffentlicht.

Ziel der Cluster-Analyse von Ahlquist et al. war es, eine über die bestehende Klassifikation des Diabetes mellitus hinausgehende differenziertere Klassifikation insbesondere für den heterogenen Diabetes Typ 2 zu entwickeln, um eine individualisierte Therapie zu ermöglichen und Menschen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen zu identifizieren.

Parameter

Dafür erhoben Ahlquist et al. sechs Parameter zunächst bei 8 980 Menschen mit neu diagnostiziertem Diabetes und replizierten dies an weiteren drei Kohorten mit insgesamt 5 795 Diabetespatient:innen. Auf diese Weise ermittelten sie fünf Subklassen des Diabetes mellitus.

Diese Differenzierung der bestehenden Klassifikation umfasst im Wesentlichen eine Clustereinteilung des Diabetes basierend auf den Kriterien GAD-Antikörper (Glutamatdekarboxylase), Lebensalter bei der Diagnosestellung, BMI (Body-Mass-Index), HbA1c (glykiertes Hämoglobin) sowie HOMA-IR & -B (HOMA-Insulinresistenzindex & -Betazellfunktionsindex). Die daraus gebildeten fünf Cluster weisen jeweils ganz bestimmte Charakteristika auf und sind nach Angaben der Forscher:innen auf genetische Faktoren zurückzuführen. In Summe lassen sich aus den jeweiligen Subtypen, insbesondere des Typ-2-Diabetes, Rückschlüsse für eine personalisierte Behandlung ziehen.

Charakteristika der Subgruppen

Die erste Subgruppe ist der SAID – Schwerer Auto-Immuner Diabetes – und entspricht dem Diabetes Typ 1. Er hatte in der oben genannten Studie einen Patientenanteil von 6,4%. Charakteristisch für diese Subgruppe ist eine Diabetesdiagnose, welche schon in jungen Jahren gestellt wird und mit einem relativ niedrigen BMI einhergeht. Sie zeichnet sich weiterhin durch schlechte metabolische Kontrolle, Insulinmangel und positive Antikörper aus. Meist befinden sich diese Patient:innen schon unter einer Insulintherapie.

Bei der zweiten Subgruppe, SIDD – Schwerer Insulin-Defizienter Diabetes, die in der Studie einen Anteil von 17,5% ausmachte, kommen zu einer Diabetesdiagnose in jungen Jahren, einem geringen BMI und schlechter metabolischer Kontrolle noch eine niedrige Insulinsekretion, fehlende GAD-Antikörper sowie ein erhöhtes Risiko für Retinopathien und diabetische Neuropathien hinzu.

Die Subgruppe SIRD – Schwerer Insulin-Resistenter Diabetes – zeichnet sich durch eine ausgeprägte Insulinresistenz, einen hohen BMI sowie ein erhöhtes Risiko für diabetische Nephropathie und eine nichtalkoholische Fettleber aus. In der Studie fielen 15,3% der Teilnehmenden in diese Gruppe.

Insbesondere für Patient:innen der Gruppe SIDD scheint zu gelten, dass diese spezielle Form des Diabetes oft erst spät erkannt und damit nicht optimal therapiert wird, während SIRD bei den Patient:innen zwar richtig diagnostiziert, aber häufig nur unzureichend behandelt wird. Dies kann für die Betroffenen schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.

Für die letzten beiden Subgruppen, in die 60,8% aller Studienteilnehmer:innen fielen, sind ein hoher BMI und keine schwerwiegende Insulinresistenz (MOD – Milder Obesitasbedingter Diabetes) bzw. ein höheres Alter, geringe Stoffwechselveränderungen und keine schweren Insulinresistenzen (MARD – Milder Altersbedingter Diabetes) charakteristisch. Diese beiden Subtypen gelten als die "milden" Varianten. Die Betroffenen können oft schon mithilfe einer Lebensstilanpassung, wie eine Ernährungs- und Bewegungstherapie, ihre noch bestehende Insulinsensitivität sehr gut unterstützen und den Diabetes damit in den Griff bekommen können.

Nutzen für die praktische Arbeit?

Diabetologe Jochen Schmidt-Walczuch hat die Frage, ob die Ergebnisse dieser Studie bzw. die fünf entstanden Cluster nur ein theoretisches Gedankenspiel sind oder auch eine Relevanz für die praktische Arbeit haben, für sich und seine Praxis eindeutig beantwortet: So untersuchte er bei allen seinen Patient:innen zusätzlich GAD-Antikörper und HOMA-IR & B und leitete daraus jeweils eine individuelle Risikoeinschätzung und individualisierte Therapie sowie ein individuelles Screening für Folgeerkrankungen ab. Diese Form der Betrachtung führte dazu, dass er bei ca.10% seiner Patient:innen die richtige Therapieentscheidung schneller treffen konnte und somit keine wertvolle Zeit bei der Behandlung verloren hat. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen veranschaulichte Schmidt-Walczuch in seinem Vortrag anhand mehrerer Patientenbeispiele.

Aus Kostengründen ermittelt der Diabetologe GAD-Antikörper und HOMA-IR & B mittlerweile nicht mehr grundsätzlich bei allen Patient:innen, sondern in den Fällen, in denen eine Präzisierung für die optimale Therapieeinstellung aus seiner Sicht notwendig ist. Er plädiert dafür, dass den Subtypen des Diabetes Typ 2 zukünftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, um die Diabetesversorgung zu individualisieren und Über-, Unter- oder Fehlversorgungen zu minimieren. Für ihn ist die Studie von Ahlquist et al. ein guter Ansatz für weitere Forschungsperspektiven in diesem Bereich.


Autorin:
Ria Grosse
Referentin der Geschäftsführung
Redakteurin Online/Print
Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (11) Seite 36-37