Lesen Sie im Interview mit Professorin Dr. habil. Claudia Luck-Sikorski, Psychologin und Psychotherapeutin an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera und VDBD- Expertin, warum die Psychologische Begleitung während der Diabetestherapie so ist wichtig ist. Sie befasst sich mit ihrer Forschungsgruppe COPE in Gera mit dem Zusammenhang von chronischen Erkrankungen und psychischer Gesundheit.

Im Interview:
Prof. Dr. habil. Claudia Luck-Sikorski Psychologin und Psychotherapeutin an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera

VDBD: Frau Prof. Dr. Luck-Sikorski, im Juni 2022 haben Sie für die VDBD AKADEMIE ein Online-Seminar zum Thema "Akute Belastungen und Posttraumatische Belastungsstörung: Erkennen und Verstehen" durchgeführt. Was war Anlass für dieses Seminar?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Im Zuge des Ukrainekriegs sind plötzlich traumatisierte Geflüchtete auch in den deutschen Diabetesschwerpunktpraxen angekommen und benötigten schnelle Hilfe. Mit diesem Seminar unterstützte die VDBD AKADEMIE Diabetesfachkräfte dabei, mit den Betroffenen adäquat umzugehen. Daher vermittelte das Seminar, was Trauma und Traumafolgestörungen sind, wie man sie erkennen kann und was in einer nicht-psychologischen Therapie im Umgang mit diesen Patient:innen zu beachten ist.

VDBD: Was sind nach Ihren Erfahrungen die Hauptursachen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Die meisten denken bei den Ursachen einer PTBS vornehmlich an extreme Gewalterfahrungen wie Krieg, Flucht und Naturkatastrophen. Doch inzwischen ist bekannt, dass nicht nur akute Extremerfahrungen PTBS auslösen können, sondern auch dauerhafte Krisen im sozialen Umfeld dafür verantwortlich sein können.

Die Hälfte aller Deutschen trägt das Risiko, im Laufe des Lebens eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln. Etwa jeder Zehnte erkrankt tatsächlich daran. Die Ursachen einer PTBS sind vielzählig. Auch chronische Erkrankungen, wie ein Diabetes mellitus, können sie begünstigen. Umgekehrt kann aber auch eine traumatisierende Situation Risiko für einen Diabetes Typ 2 sein.

Da chronisch Erkrankte sehr häufig mit Vorurteilen, Diskriminierung und Mobbing konfrontiert sind, sei das PTBS-Risiko bei ihnen höher als bei ihren gesunden Mitmenschen. Umso wichtiger ist es, diese Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren und einer geeigneten Psychotherapie zuzuführen.

VDBD: Inwiefern können Stigmatisierung und fehlende Inklusion PTBS auslösen?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Beispielsweise stehen Menschen mit einem Typ-1-Diabetes häufig unter einem Rechtfertigungsstress, da ihnen fälschlicherweise die Mitschuld an der Erkrankung durch einen schlechten Lebensstil gegeben wird.

Schon im Kindesalter erfahren viele Stigmatisierung und Diskriminierung durch Ausschluss von Klassenfahrten und anderen sozialen Aktivitäten. Hinzu kommt oft, dass Betroffene aufgrund einer gescheiterten Eingliederung (Inklusion) in Schule und Gesellschaft einen Bildungs- und Berufsweg einschlagen, der nicht den persönlichen Fähigkeiten oder Interessen entspricht.

Nicht zu unterschätzen sind aber auch potentiell traumatisierende Erlebnisse wie etwa eine lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung, die diabetische Ketoazidose. Sie ist bei Kindern häufig Anlass zu einer Diabetesdiagnose.

Welche Möglichkeiten hat eine Diabetesberaterin, wenn sie eine PTBS vermutet?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Wichtig ist sicherlich, die eigenen Grenzen zu erkennen und der/dem Patient:in Unterstützung anzubieten, einen Weg in die psychotherapeutische Hilfe zu finden. Mit vorsichtigem Ansprechen und über Krankenkassen und Berufsverbände können qualifizierte Psychotherapeut:innen gefunden werden, die dann auch helfen können.

Wie stehen Sie zu der Aussage von PTBS als Ursache und Folge eines Diabetes Typ 2?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Noch häufiger scheinen Menschen mit einem Typ-2-Diabetes von PTBS betroffen zu sein. Das liegt vermutlich daran, dass PTBS zugleich Ursache als auch Folge eines Diabetes Typ 2 sein kann.

Einerseits sind Betroffene noch häufiger als Menschen mit Diabetes Typ 1 Diskriminierung und Mobbing ausgesetzt, da die Stoffwechselerkrankung meist auch mit Übergewicht oder gar Adipositas einhergeht. Das schafft einen erheblichen Leidensdruck.

Andererseits können traumatisierende Erfahrungen nachweislich einen Diabetes Typ 2 entstehen lassen. Es gibt inzwischen viele Hinweise darauf, dass sozial und emotional belastende Situationen auf Dauer auch körperliche Beeinträchtigungen, wie chronische Erkrankungen, nach sich
ziehen.

Wie gefährlich ist das Zusammenspiel von PTBS und Diabetes?
Prof. Dr. Luck-Sikorski:
Klassische Symptome einer PTBS sind Vermeidungshaltungen, Flashbacks oder Alpträume. Betroffene sind durch diese ständigen Belastungen in ihrem sozialen und beruflichen Alltag sehr eingeschränkt.

Auch auf die Stoffwechsellage hat dies einen gefährlichen Einfluss: Patientinnen und Patienten können sich oft kaum noch auf ein gutes Diabetesmanagement einlassen, vernachlässigen ihre Therapie und riskieren damit schwere gesundheitliche Schäden.

In einer Verhaltenstherapie versuchen wir, Betroffene aus dieser Spirale herauszuholen. Das ist nicht nur wichtig, um die emotionale Schieflage zu korrigieren, sondern auch, um die Diabetestherapie gewissenhaft weiterführen zu können. PTBS ist sehr gut behandelbar – aber nur, wenn eine geeignete Therapie frühzeitig eingeleitet wird.

Frau Professorin Luck-Sikorski, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Interview:
Ria Grosse
Referentin der Geschäftsführung
Redakteurin Online/Print
Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (9) Seite 31-32