Wer sich mit der Geschichte der Evolution des klinischen Begriffs "Metabolisches Syndrom" beschäftigt, findet 2005 eine Zäsur, die darin bestand, dass die Internationale Diabetes-Gesellschaft das Vorhandensein eines Metabolischen Syndroms zwingend an die Kategorisierung von Übergewicht und zwei weiteren Risikofaktoren (Triglyceride, HDL, Blutdruck oder Nüchternglukose) knüpfte. Die gleichzeitige Schwellenabsenkung des Taillenumfanges (bei Männern auf 94 cm, bei Frauen auf 80 cm) konnte sich allerdings epidemiologisch nicht durchsetzen, während der Faktor Übergewicht als prospektiver Risikotreiber des Metabolischen Syndroms seither generell anerkannt ist.
Übergewicht bei Metabolischem Syndrom Risikogradient für kardiovaskuläre Endpunkte
In der Folge hat es viele teils erbittert geführte Diskussionen über die richtige Graduierung und Feststellung des Faktors Übergewicht gegeben. Neben dem klassischen Body-Mass-Index (BMI) wurden der Taillenumfang und weitere Indikatoren der qualitativen Körpergewichtszusammensetzung in die Diskussion eingeführt. Nicht verwunderlich hat es entlang dieser unscharfen Definition Diskussionen über die prospektive Risikokopplung gegeben, die unter dem Begriff "Obesity Paradox" bekannt geworden sind. Diese Diskussion konnte mit der Veröffentlichung der weltweit geführten Metaanalyse zum Body-Mass-Index dem Konsens zugeführt werden, dass Übergewicht transethisch jenseits eines BMI von 25 mit einem linearen Risikoanstieg für klinisch relevante Endpunkte wie koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Atemwegserkrankungen und sogar Malignome als gesichert angenommen werden kann. Allerdings gilt ein J-kurvenförmiger Zusammenhang, der auf einen starken Risikoanstieg unterhalb eines BMI von 20 beruht. Tritt Übergewicht allerdings im Rahmen eines Metabolischen Syndroms auf, ist von einem deutlich steileren Risikogradienten mindestens für kardiovaskuläre Endpunkte auszugehen. Häufig wird vergessen, dass die Diagnose "Metabolisches Syndrom" auch ohne manifesten Diabetes erreicht werden kann. Bereits eine prädiabetische Dysglykämie ist als definitorisches Kriterium bei der Linearität der Variable "Glukose" ausreichend. Dies hat vor allem epidemiologisch große Bedeutung, wenn es um die Identifikation von Risikoindividuen und die daraus abgeleitete Notwendigkeit einer Intervention geht. Bisher besteht der Behandlungsauftrag in der patientenindividuellen Korrektur der nummerisch festgestellten Risikofaktoren mit den hierfür zugelassenen Substanzen oder Verfahren.
Idealerweise holistischer Therapieansatz bei Behandlung des Metabolischen Syndroms
Gleichwohl sei der Hinweis erlaubt, dass zum Verständnis der überschießenden Risikokopplung des Metabolischen Syndroms mit Übergewicht an entsprechende Endpunkte ein ganzer Strauß metabolischer und zellbiologischer Veränderungen anzuführen ist, wie Inflammation oder prothrombotischer Zustand. Dies lässt die Strecke zum finalen Erkrankungsendpunkt verstehen und geht weit über quantitative Veränderungen einzelner Faktoren wie etwa Blutlipid- oder Glukosespiegel hinaus. Es ist daher eine attraktive und faszinierende Perspektive, der Behandlung des Metabolischen Syndroms mit einem breiteren, idealerweise holistischen Therapieansatz zu begegnen, der die o.g. Veränderungen integral adressiert und hieraus eine globale Prognoseverbesserung, die über die Korrektur der Einzelfaktoren hinausgeht, erwarten lässt. Hier gibt es aus der Perspektive herzkranker Patienten gute neue Nachrichten.
Metabolisches Profil durch Inkretin-Intervention über alle Risikokategorien günstig beeinflusst
In der prospektiven SELECT-Studie [1] bei übergewichtigen Patienten mit bestehender koronarer Herzkrankheit ohne manifesten Diabetes wurde die Wirkung von präventiv verabreichtem GLP-1-Agonisten Semaglutide in hoher Dosis auf die prospektiven Erkrankungsinzidenzen getestet. Zusammengefasst konnte der primäre kardiovaskuläre Composite-Endpunkt um 20 % hochsignifikant reduziert werden. Auch wenn der HbA1c-Level mit ca. 5,8 % nahezu normal war, lagen doch zwei Drittel der eingeschlossenen Population über 5,7 % im formal prädiabetischen Bereich, was nach den eingangs gemachten Formulierungen nicht überrascht. Cum grano salis wurde das metabolische Profil durch die Inkretin-Intervention über alle Risikokategorien günstig beeinflusst, wobei der Nettogewichtsvorteil nach zwei Jahren knapp 9 kg betrug. Die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen war gering und entsprach den Erwartungen aus den Therapieerfahrungen mit GLP-1-Agonisten bei Menschen mit manifestem Diabetes.
Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die präventive Verordnung von Semaglutide bei übergewichtigen Koronarkranken eine günstige Modifikation der Erkrankungsprognose mutmaßlich über Gewichtsreduktion mit Verbesserung des globalen metabolischen Risikoprofils ermöglicht. Dies sind gute Nachrichten, die zusammen mit den exzellenten Daten zu GLP-1-Rezeptoragonisten in der Therapie von Menschen mit Diabetes eine Vorverlagerung des Interventionszeitpunktes in prädiabetische Stadien ermöglicht, mindestens bei übergewichtigen koronarkranken Patienten. Eine Optimierung der Indikationsstellung unter Wahrung der vorliegenden Evidenzkriterien wird der nächste Schritt bei der Umsetzung in die Versorgung sein.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2024; 33 (1) Seite 24-25