Die Revolution findet nicht statt. Die vom Gesundheitsminister ursprünglich für den 1. Januar 2024 angekündigte Umsetzung der Krankenhausreform blieb irgendwo zwischen Bundesländern, Vertretern der Standesorganisationen und politischen Parteien stecken. Obwohl sie doch dringend geboten ist und sinnvolle Impulse für die Versorgung von Menschen mit Diabetes in Kliniken geben sollte.

Nach aktuellem Stand der Dinge wird die stationäre diabetologische Versorgung in der jetzigen Form so nicht mehr zu halten sein. Die zukünftige Zuteilung der Leistungsgruppe "Endokrinologie und Diabetologie" im Krankenhaus entspricht quasi einer staatlichen Zertifizierung, die allein zur Abrechnung diabetologischer Leistungen berechtigt. Der Haken: geprüft wird im Wesentlichen nur ein Kriterium, das vorgehalten werden muss: mindestens zwei Ärzt:innen mit der Qualifikation Endokrinologie und Diabetologie. Verwundert mögen Sie sich die Augen reiben und sich fragen wann Sie zuletzt einen Vertreter dieser leider aussterbenden Spezies leibhaftig in Ihrer Klinik gesehen aber. In Deutschland gab es laut Bundesärztekammer Ende 2022 insgesamt circa 334 berufstätige Ärzte mit dieser Qualifikation, von denen aber fast die Hälfte im ambulanten Bereich arbeitet. Das bedeutet in etwa ein Spezialist im Krankenhaus auf über 400 000 Einwohner! Hat da jemand in der Schule beim kleinen Einmaleins geschlafen?

Kein Wort jedoch wird in den Reformpapieren über die Heerscharen diabetologisch versierter Fachberufe verloren, die jetzt schon den Großteil der Versorgung an den Kliniken stemmen: Diabetesberater:innen, Diabetesassistent:innen, Diätassi-stent:innen, Wundexpert:innen, Podolog:innen und spezialisiertes Pflegepersonal auf den Stationen, die in langwierigen Schulungsprozessen in den Einrichtungen herangezogen wurden.

Die Emanzipation der Diabetesfachberufe von der Pflege führte in den Kliniken zur budgetären Weiterentwicklung dieser Berufsgruppe in die Bereiche Verwaltung oder Funktionsabteilungen. Damit wurden sie dem Pool der Pflege wie geplant entzogen. Das fällt den Beteiligten jetzt aber auf die Füße, da diese Stellen durch Erlöse refinanziert werden müssen. Die Pflegestellen andererseits werden seit einiger Zeit aber komplett separat finanziert werden und sind durch Reformen weniger oder kaum bedroht. Ein echtes Dilemma. Einige Kliniken treten jetzt den Rückzug an und gliedern die Diabetesfachberufe wieder in die Pflege ein, was verständlicherweise zu Verärgerung und Unmut bei den Betroffenen führt. Nicht jeder möchte als zahlendes Mitglied einer Pflegekammer "zwangsrekrutiert" werden. Zumal die hochspezialsierte Beratungstätigkeit inhaltlich eher nicht der unmittelbaren Pflege am Bett zuzuordnen ist und dies einer ernsthaften Prüfung auch nicht entgehen wird.

Dennoch wird diese personelle Umwidmung aktuell für viele Häuser der einzige Weg sein Diabetesteams zu erhalten, wenn die notwendige Leistungsgruppe dem Haus nicht zugewiesen wird oder der Erlös nicht zur Personalstruktur passt. Der dringende Ausbau der technischen Infrastruktur zur Versorgung von Menschen mit Diabetes in den Kliniken wird da hintangestellt werden. Die Integration von Hilfsmitteln wie Pumpen, Sensoren oder SmartPens in die Klinikdokumentationssysteme kostet Geld. Die Softwarehersteller haben uns diese Arbeit leider noch nicht abgenommen. Wer, wie ich, momentan mit der Umstellung der Dokumentation in der Klinik auf digitale Prozesse konfrontiert ist wird feststellen, das es für die Diabetologie praktisch keine Blaupause gibt – es herrscht kreatives Chaos. Jeder versucht in seinem Haus irgendwie klarzukommen. Dabei ist das Potential der Digitalisierung gerade in unserem Fachgebiet besonders beeindruckend und effektiv. Ich wünsche mir die Zeiten verschmierter oder vergessener Tagebücher jedenfalls nicht zurück.

Was wir jetzt benötigen, ist die Berücksichtigung realistischer diabetologischer Personalstrukturen an Kliniken der Grund- und Maximalversorgung sowie im Bereich der Rehabilitation. Ebenso die Standardisierung des Austauschs diabetesbezogener Daten über die geplanten digitalen Patientenakten und Kliniksysteme hinweg. Klappt bei der sensiblen Banküberweisung doch auch. Die 30 % Patient:innen mit Diabetes in den Kliniken haben ein Anrecht darauf.


Autor:
© privat
Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (5) Seite 5