Wie lange, glauben Sie, bleibt Humaninsulin bei 37 Grad Zimmertemperatur stabil? Eine Metaanalyse der Universität Düsseldorf (Richter, Cochrane Library 2023) kommt zu dem Schluss, dass Human- und Mischinsuline, unabhängig davon ob in Pen oder Patrone verpackt, problemlos 2 Monate ohne Wirkverlust bei 37 Grad haltbar sind, sogar 6 Monate bei durchschnittlich 25 Grad. Eine Studie mit Analoginsulinen kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Scapozza, PLos One 2021). Das widerspricht natürlich der gängigen Lehrmeinung und dem Beipackzettel, basiert aber auf gesicherten Daten.

Der Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit rückt uns allen nicht erst seit der Konferenz COP 28 in Dubai im letzten Jahr immer tiefer ins Bewusstsein. Erstmals gab es dort einen eigenen Gesundheitstag, zu dem sich Ministerien aus 130 Ländern trafen. Die steigenden Temperaturen setzen insbesondere Menschen mit Diabetes besonderen Risiken aus. Hierzu zählt natürlich auch die Verlässlichkeit und Lagerung der Medikation, die wir tagtäglich verschreiben, auch wenn die Cochrane-Studie primär für Länder in den Tropen gedacht war.

Unsere Behandlung hat aber weitere Folgen, die unmittelbar in diesen Kreislauf der globalen Klimaerwärmung eingreifen. Ich bin immer wieder selbst überrascht, wieviel Verpackungsmüll allein bei der Erstversorgung mit Pumpe oder Sensor anfallen. Auch die gemeinsame Verpackung von Katheterschläuchen und -kanülen in festen Gebinden ohne Rücksicht auf den Bedarf habe ich noch nie verstanden. Wird auch noch die integrierte Stechhilfe genutzt, ist der Mülleimer schnell voll. Wieviele von uns haben ein funktionierendes Verfahren für die Mülltrennung in ihren Praxen und Kliniken etabliert? Der Datenmüll wird fein geschreddert, gepresst und separiert, aber der große Rest? Unsere Patienten könnte auch noch interessieren: Reicht bei der ICT nicht 1-mal täglich Nadelwechseln je Pen? Auswahl und Pflege der Spritzstellen sind vermutlich ungleich wichtiger.

Initiativen wie "Green Diabetes", die sich in den USA 2020 zusammenfand, und die neue Arbeitsgemeinschaft "Diabetes, Umwelt und Klima" der DDG greifen diese Themen auf. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, den "diabetischen Fußabdruck" zu reduzieren. Es kommt nicht von ungefähr, dass der High-Tech-Bereich der Diabetologie hier besondere Affinität zum Thema zeigt, da hier viele neue Produkte mit entsprechendem Resourcenverbrauch anfallen. Aber einfache digitale Lösungen können gerade in diesem Umfeld zu Verbesserungen beitragen. Digitale Rezepte und Videosprechstunden können unnötige Emissionen auf dem Weg von und zur Praxis vermeiden. Das "Durchziehen" der Versichertenkarten zu Quartalsbeginn muss durch intelligentere Präsenznachweise ersetzt werden. Klappt bei Privatpatienten doch auch. Faxe müssen heutzutage nicht mehr ausgedruckt werden, sondern können komfortabel direkt in PDF umgewandelt und innerhalb des Behandlungsteams zugeordnet werden. Das schont nicht nur Papier, sondern viel Zeit für alle Beteiligten.

Wir sollten ins Handeln kommen und können unseren "diabetischen Handabdruck" selbst bestimmen. Dazu wird das Diabetes-Forum in 2024 einen eigenen Schwerpunkt zum Thema "Green Diabetes" bringen. Zuvor werden wir einzelne Artikel zum Einstieg in das Thema einstreuen, die Ihre Aufmerksamkeit für die anstehenden Aufgaben einer nachhaltigen Diabetologie schärfen sollen. Ich bin überzeugt, dass eine nachhaltige Praxis- oder Klinikführung sich zu einem wichtigen Merkmal von diabetologischen Schwerpunkteinrichtungen entwickeln wird. Natürlich werden wir Emissionen nicht komplett vermeiden können, aber alles muss auf den Prüfstand. Der unvermeidliche Rest kann z.B. durch den individuellen Erwerb von geprüften CO2-Zertifikaten für die Praxis oder die Klinik zu einer unmittelbaren und dauerhaften Trendwende beitragen. Hier ist jeder von uns gefragt. Für Interessierte sei hier auf den Ratgeber des Umweltbundesamtes verwiesen.

In der Cochrane-Studie zur Insulinhaltbarkeit stellten sich übrigens Tontöpfe als idealer, temperaturstabiler Lagerort heraus. Weniger ist manchmal mehr.


Autor:
© privat
Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (1/2) Seite 5