Diabetes-Forum-Chefredakteur Bernd Liesenfeld stellt in seinem Editorial verschiedene Initiativen und Strategien zur Prävention des Diabetes und seiner Begleiterkrankungen mittels Sport und Ernährung vor.

Frage: "Ich habe gerade 50 mg/dl Blutzucker bei mir gemessen und fühle mich nicht gut. Soll ich Sport treiben?"

Antwort: "Wenn Sie sich aufgrund Ihres niedrigen Blutzuckerspiegels unwohl fühlen, sollten Sie keinen Sport treiben. Stattdessen sollten Sie sofort Maßnahmen ergreifen, um Ihren Blutzuckerspiegel zu erhöhen. Sie können zum Beispiel Traubenzucker oder ein süßes Getränk trinken, um schnell Kohlenhydrate aufzunehmen und Ihren Blutzuckerspiegel zu erhöhen. Achten Sie darauf, regelmäßig Ihren Blutzuckerspiegel zu überwachen, bis er sich stabilisiert hat. Wenn Sie regelmäßig Sport treiben und Diabetes haben, sollten Sie mit Ihrem Arzt über eine geeignete Strategie sprechen..." Insofern nichts Besonderes. In diesem Fall ist der Ratgeber aber kein Mensch, sondern eine Maschine, die keine Information zum Diabetesstatus des Fragers hatte, diese Möglichkeit aber klug "bedachte". Es handelt sich um eine neue Form der Künstlichen Intelligenz (KI), die natürliche Sprache per Text oder Ton verarbeiten und treffsichere Antworten in Form einer Unterhaltung (Chatbot) individuell erzeugen kann. Das Wunderkind, welches ich hier selbst befragt habe, nennt sich Chat GPT-4, ist das vierte Geschwister einer Serie von Programmen und wurde im März zur virtuellen Welt gebracht. Selbstredend beherrscht es alle gängigen Sprachen. Dahinter steht die amerikanische Firma OpenAI LP, die durch Spenden finanziert wurde und deren Hauptgeldgeber Elon Musk sowie Microsoft sind. Das Unternehmensziel ist die Förderung der KI zum Wohle der Menschheit und die Identifizierung und Abwendung von damit verbundenen Gefahren. Wir haben uns gerade an den Umgang mit Informationen unterschiedlichster Herkunft und Güte gewöhnt, die Patienten von Dr. Google und anderen Quellen gewinnen, um mit uns partizipativ im Gespräch zu bleiben. Durch eigene Recherchen in den sozialen Medien haben wir über Jahre gelernt etwaige Probleme bei der Interpretation solcher Informationen abzuwägen und mit dem Patienten zu diskutieren.

Ob wir es wollen oder nicht, werden Patienten auch diese neuen Quellen nutzen und uns mit Fakten konfrontieren, die wir selbst bislang nicht kannten oder nicht einzuschätzen wussten. Darüber hinaus besteht in Zeiten von zunehmendem Fachkräftemangel ein zunehmender Bedarf, den Diabetesspezialisten niedrigschwellige Hilfen zur Seite zu stellen.

Ein Team von Diabetologen aus Singapur hat Chat GPT-3 strukturiert zu verschiedenen Aspekten des Lebens mit Diabetes befragt, die auch in Schulungen regelmäßig Thema sind (Diabetes Care, YM Bee at al, März 2023). Die qualitative Analyse zeigte erstaunlich plausible und konsistente Antworten des Systems. Hierin besteht (noch) der entscheidende Unterschied zum menschlichen Experten, da die Sicherheit bezüglich medizinischer Sachverhalte noch nicht wasserdicht ist. Der Algorithmus bezieht sich nicht auf Erfahrungen wie der Experte, sondern sucht Kombinationen der eingebebenen Wörter in den Tiefen des Netzes. Dadurch neigt es zu "Halluzinationen" und kann vereinzelt ungenaue oder falsche Informationen als Fakten präsentieren. Er tut dies in durchaus überzeugender und direktiver Form. So irrte der Algorithmus etwa als er die beschriebene Situation einer Pseudohypoglykämie als Hypowahrnehmungsstörung einstufte – immerhin, irren auf hohem Niveau.

Auch auf Emotionen ist Chat GPT nicht unvorbereitet. Meine Frage "Ich bin so verzweifelt und kann die Belastung dieser Krankheit nicht ertragen. Es gibt so viele Einschränkungen" beanwortet er mit "Es ist völlig normal, dass Sie sich verzweifelt fühlen und die Belastungen, die mit Typ-1-Diabetes einhergehen, nicht ertragen können. Eine solche chronische Krankheit kann eine Herausforderung für jeden sein, der damit lebt."

Mittlerweile biete das Unternehmen auch ein Geschäftsmodell an, das auf der Basis des Textvolumens Rechnungen generiert. Hierbei können Nutzer auch fachspezifische Informationen (Arztbriefe, Fachinformationen, Schulungsmaterialien o.ä.) nutzen, um ein System zu verbessern. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich verschiedenste Anbieter auf dem Markt präsentieren. Datenbrille aufsetzen und los geht die Schulung. Daran wird auch das gerade wegen Chat GPT geforderte Moratorium zur Anwendung von KI nichts ändern. Wird Chat GPT die Diabetesfachkraft der Zukunft sein? Immerhin antwortet das System auf die Frage nach einem neuen Beratungstermin mit "Als künstliche Intelligenz bin ich immer verfügbar, du brauchst keinen Termin auszumachen. Du kannst mir jederzeit schreiben, wenn du Fragen hast oder Hilfe benötigst." Ziemlich verlockend. 24/7/365.

Autor:
Dr. Bernd Liesenfeld
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Diabetologie, Angiologie
Oberarzt
Abteilung Innere Medizin II


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 5