Insulin Detemir wird aus dem Handel genommen, zumindest in den USA. Das erstaunt, da bislang mit Insulin weltweit viel Geld verdient wurde und wird. Die Ankündigung des Pharmariesen Novo Nordisk ist die Konsequenz des staatlichen Eingriffs in den Marktpreis für Insulin in den USA, der sich in den letzten Jahren in schwindelerregende Höhen aufschwang. Vielerorts wurden Klagen gegen die pharmazeutischen Firmen wegen überhöhter Preise eingereicht. Als Reaktion senkten die Firmen die Preise jetzt um über 80 % (!), um Strafzahlungen zu entgehen. Insulin Glargin beispielweise kostet jetzt nur noch umgerechnet 32 Euro für einen Monatsbedarf.

Die Zuzahlungen für Insulin sprengen in den USA manchen privaten Geldbeutel. Die dortige Fachgesellschaft hat in ihren Therapieleitlinien eine eigene Spalte für Patienten, die sich teure Medikamente nicht leisten können! Hier finden sich skurrile Empfehlungen, z.B. für den primären Einsatz von Sulfonylharnstoffen bei jeglicher Form des Typ-2-Diabetes.

Anders als in Europa müssen amerikanische Patienten wesentlich mehr aus eigener Tasche zahlen, wenn Sie innovative Produkte wünschen, Insulinpumpen beispielsweise. Jahrzehntelang wurden in Deutschland Pumpen mit einer Laufzeit von vier Jahren versehen, um den Absatz zu fördern, während die identischen Modelle in den USA ohne Beschränkung weiter ihren Dienst taten und erst bei Defekten ersetzt wurden. Niemand hätte dort aus eigener Tasche ohne Not nach vier Jahren ein gut funktionierendes Produkt entsorgt – wieso auch? Erst Jahre später wurde in Europa durch den Wegfall der Monopolstellung eines Anbieters die Regelung aufgehoben und die Sperre aus der Software entfernt. Ich kann nicht feststellen, dass dies in irgendeiner Weise für unsere Patienten von Nachteil war, im Gegenteil.

Die Hersteller beginnen jetzt, ihre Portfolios in den USA zu bereinigen und stellen wegen der Preisregulierung den Vertrieb von Insulinen mit rückläufiger Nachfrage ein. Dies hat direkte Konsequenzen für Betroffenen, die umgestellt werden müssen. Hierzulande ist das bislang nur in wenigen Fällen passiert. Vielleicht erinnern sich noch einige an das zeitweise Verschwinden des Insulins Degludec, da der Hersteller den geforderten Preis nicht durchsetzen konnte. Andere innovative Produkte wie Linagliptin kamen in Deutschland als Monosubstanz aus gleichem Grund erst gar nicht auf den Markt.

Als Verordner ist uns nicht transparent, was Insulin am Ende in Deutschland kostet. Die Listenpreise stimmen von vorneherein nicht, da die Hersteller Rabattverträge mit den Kassen aushandeln, die niemand einsehen darf. Klar ist nur, das Deutschland als hochpreisiger Pharmamarkt gilt und anderen Märkten in Europa als Orientierung gilt, "was geht".

Auffallend ist, dass neue Medikamente vor allem in den hochpreisigen Segmenten auf den Markt kommen, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Neuestes Beispiel ist der sehr interessante Wirkstoff Tirzepatid, den Lilly in höchster Not ohne Fertigpen aber mit Ampullen zum Selbstaufziehen in Europa auf den Markt wirft, um den Anschluss an die Novo-Produktfamilie mit ähnlicher Indikation nicht zu verlieren. Während die gängigen GLP-Agonisten bisher bei uns mit ca. 1 000 Euro Jahrestherapiekosten pro Patient zu Buche schlagen, sollen es bei dem "Wundermedikament" Tirzepatid ca. 3 700 Euro Jahreskosten sein. Dieser Preis orientiert sich wiederum an dem Preis des Semaglutid 2,4 mg in der Indikation Adipositastherapie in Europa. Ein Wirkstoff – zwei Preise!

Der Anzahl, der in Deutschland therapiebedürftigen Menschen mit Übergewicht, steht den enormen Kosten die für die neuen Präparate aufgerufen werden, entgegen. Nicht allein deshalb dürfte sich der Weg zu einem doch so dringend notwendigen DMP Adipositas deutlich verlängern, da nur mit einer strukturierten Therapie unter Einschluss medikamentöser und operativer Optionen eine Trendwende zu schaffen sein wird – leider. Der Appell an gesunde Ernährung und Bewegung alleine wird nicht ausreichen, da es sich um eine eigenständige, therapiebedürftige Erkrankung handelt, die gemeinhin noch unterschätzt wird.

Es bleibt zu hoffen, dass Industrie, Ärzte und Patienten nicht den Ast absägen, auf dem wir letztendlich alle sitzen. Vielleicht schafft die schiere Menge an zu erwartenden, neuen Polyagonisten soviel Konkurrenzdruck, dass die Preise wieder fallen. Sonst wird die nächste Nationale Diabetesleitlinie vielleicht eine Spalte für Bedürftige enthalten, die sich die Zusatzbeiträge für innovative Behandlungen nicht mehr leisten können. Das wäre dann die vielbeschworene 2-Klassen-Medizin. Der letzte Ausweg der staatlichen Preisregulierung wie in den USA sollte sicher die absolute Ausnahme bleiben.


Autor:
© privat
Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (3) Seite 5