Die Lage der Diabetologie in Deutschland wird zusehends unübersichtlich. Auf der einen Seite haben wir es in Praxis und Klinik mit zunehmend älteren Menschen zu tun, die unserer vermehrten Aufmerksamkeit bedürfen, wohingegen die Zahl der Fachkräfte auf allen Ebenen zu sinken scheint. Dennoch gab es nie zuvor mehr Frauen und Männer die den ärztlichen Beruf in Deutschland ausüben, wenn auch viele in Teilzeit. Die Diabetesfachberufe haben sich fest in den Strukturen etabliert und von anderen Berufsgruppen emanzipiert. Die Idee der Schulung wurde erstmals in Deutschland flächendeckend umgesetzt. Nicht zuletzt unsere Patient:innen und wir haben davon sehr profitiert.
Andererseits ist seit vielen Jahren erstmals ein enorm starker politischer Wille zur Änderung der Struktur des Gesundheitswesens erkennbar, der in der Person von Karl Lauterbach seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Mit atemberaubenden Tempo folgt eine Reform, ein Gesetz dem anderen, die oftmals auch für Eingeweihte schwer zu durchschauen sind. Karl Lauterbach studierte "Public Health" in Harvard und begreift das Gesundheitswesen aus der Vogelperspektive. Anders ist seine neueste Idee zur breiten Streuung der Statine in der Bevölkerung nicht zu verstehen. Da können kleine Fächer wie die Diabetologie schon mal übersehen werden. In den USA gehen die Menschen mit Diabetes eben zu Ihrem "Endo" sprich Endokrinologen und meinen damit synonym ihren Diabetologen, denn das ist im angloamerikanischen Sprachraum, anders als im deutschsprachigen Raum, der fachärztliche Diabetesspezialist in Abgrenzung zum Hausarzt. Da kann im Eifer des Gefechts schon mal die Leistungsgruppe "Endokrinologie und Diabetologie" ungeprüft ins Klinikgesetz (KHVVG) rutschen, die überwiegend hausärztlich tätigen Diabetologen im Versorgungsgesetz (GSVG) plötzlich aus der hausärztlichen Vergütungsstruktur herausfallen (ups!) und Kliniken mit langjähriger Diabetestradition im "Atlas" einfach verschwunden sein (Transparenzgesetz). In der Folge bangen Fachkliniken um Ihren Fortbestand, niedergelassene Schwerpunktpraxen schlagen Alarm.
Haben wir die Probleme nicht kommen sehen? Die völlig unterschiedlichen regionalen Konzepte der diabetologischen Versorgung der Bundesländer habe ich über Jahrzehnte beobachtet und nie wirklich einen gemeinsamen Gestaltungswillen erkennen können. Auch von unser aller Fachgesellschaft, der DDG, kamen praktisch keine Initiativen zur Angleichung der Verhältnisse. Im Gegenteil, der Status quo schien nicht wirklich zu stören. Während aber in Rheinland-Pfalz stationäre Schulungen in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts quasi abgeschafft wurden, sind sie im benachbarten Baden-Württemberg bis heute vielerorts möglich. Die Vergütungen in Schwerpunktpraxen für ein und dieselbe Leistung an Fuß oder Stoffwechsel variiert je nach Bundesland in geradezu abenteuerlicher Weise, die jeglichem ökonomischen Verständnis widerspricht. Dies gilt sowohl für Verträge mit großen bundesweit agierenden Krankenkassen, wie auch für kleine regionale Kassen. Die Anerkennung eines Facharztes oder einer Zusatzbezeichnung Diabetologie wurde in Ost und West lange völlig unterschiedlich gehandhabt und erstere zuletzt ad acta gelegt.
Der goldene Weg der DDG hingegen lag in der Schaffung eines Biotops einer Zertifzierungslandschaft, die gleiche Standards überall in der Republik ausrollte, wohlwissend das dies je nach Bundesland völlig unterschiedliche Auswirkungen haben musste. Jetzt muss sie erkennen, das die Zertifikate i.R. der neuen Gesetzgebung vermutlich ohne Bedeutung sein werden und das
IQTIG nur die höchsten Qualitätsstandards mit Audits anerkennen wird, wenn überhaupt.
Partikulare Interessen innerhalb der Berufsverbände innerhalb der Diabetologie haben ein geschlossenes Auftreten in der Vergangenheit oft verhindert. Wie kann es sein, dass sich der BVND immer noch nicht als einziges Sprachrohr aller Schwerpunktpraxen bundesweit etablieren konnte und sich den Platz mit anderen Landesfürsten teilen muss? Nur gemeinsam kann man mit Kassen faire Verträge verhandeln, und nur gemeinsam kann man politisch Druck ausüben.
Im Diabetes-Forum werden wir ab diesem Jahr die Berufsverbände VDBD, BVND und BVKD bündeln und deren gemeinsame oder auch unterschiedliche Positionen darstellen. Wir werden an gemeinsamen Aktionen arbeiten, um die gewachsene Versorgungslandschaft der deutschen Diabetologie im Reformprozess zu unterstützen. Es wird nicht unbedingt besser, sondern anders sein. Gelingen wird es aber nur zusammen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (9) Seite 5