Gleich zwei Referentenentwürfe hat das BMG im Juni vorgelegt: Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digitalgesetz durchlaufen jetzt die Mühlen der Politik. Was ist geplant?

Den ambitionierten Zeitplan kennt man vom Gebäudeenergiegesetz, im Volksmund als "Heizgesetz" bekannt und gefürchtet: Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) soll schon zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Zumindest der Referentenentwurf zu diesem Gesetz kam jetzt schneller als noch im Mai von der Bundesregierung angekündigt. Damals hatte sie auf eine Anfrage der CDU-Bundestagsfraktion mitgeteilt, den GDNG-Entwurf im Herbst vorzulegen. Nun hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits im Juni einen Referentenentwurf vorgelegt.

Die Ziele des GDNG klingen darin wie die Erfüllung ganz grundlegender Voraussetzungen: "In einem lernenden Gesundheitswesen sind der Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten Schlüsselfaktoren für eine qualitativ hochwertige Versorgung." Auf die naheliegende Frage, warum diese essenzielle Datenverwendung hierzulande noch so im Argen liegt, hat das Ministerium auch eine Antwort in den Entwurf geschrieben: "Eine Nutzung scheitert aktuell häufig an unterschiedlichen Regelungen zu Zugang und Datenschutz im Europäischen-, Bundes-, Landesrecht sowie an einer uneinheitlichen Rechtsauslegung durch Datenschutzbeauftragte und Aufsichtsbehörden."

Bereits auf dem Papier existiert das Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit. Es soll die Erschließung der Abrechnungsdaten aller gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland ermöglichen. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befindet es sich derzeit im Aufbau, dieser werde phasenweise erfolgen. "Zurzeit können leider noch keine Anträge gestellt werden, da aktuell die rechtlichen, technischen, personellen und organisatorischen Maßnahmen des neuen Forschungsdatenzentrums definiert und implementiert werden", kann man auf der Internetseite des Instituts lesen. Der Aufbau des FDZ Gesundheit wurde im Jahr 2019 durch das Digitale-Versorgung-Gesetz initiiert; die Datentransparenzverordnung (DaTraV) konkretisiert diese gesetzlichen Regelungen.

Unabhängig davon existiert auch das fast gleichnamige "Deutsche Forschungsdatenportal für Gesundheit" (FDPG), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Dort können Wissenschaftler pseudonymisierte Gesundheitsdaten und Bioproben der deutschen Universitätsmedizin beantragen. Das FDPG ist im Mai in den Pilotbetrieb gegangen. Tatsächlich arbeitet das BMBF parallel zum BMG derzeit an einem Forschungsdatennutzungsgesetz. Beide Gesetze sollen eng aufeinander abgestimmt werden – das macht das Erfüllen des GDNG-Zeitplans nicht eben einfacher.

Zentrale Ziele

Es würde von schlechter gesetzgeberischer Dramaturgie sprechen, wenn die im Referentenentwurf genannten bisherigen Hindernisse von dem geplanten Gesetz nicht angegangen werden würden. Das Ministerium fasst die wichtigsten Maßnahmen des GDNG so zusammen: Man habe das Ziel
  • dezentral gehaltene Gesundheitsdaten leichter auffindbar zu machen sowie bürokratische Hürden für Datennutzende zu reduzieren,
  • die im FDZ vorliegenden GKV-Abrechnungsdaten breiter und schneller nutzbar zu machen,
  • die Verknüpfung von Gesundheitsdaten zu erleichtern,
  • die Verfahren zur Abstimmung mit Datenschutzaufsichtsbehörden zu vereinfachen und gleichzeitig den Gesundheitsdatenschutz zu stärken,
  • umfassende und repräsentative Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) für die Forschung bereit zu stellen,
  • den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen die stärkere Nutzung ihrer eigenen Daten zur Verbesserung der Versorgung zu ermöglichen.

Zu Beginn des Referentenentwurfs steht auch eine Klarstellung: "Die Verarbeitung von Gesundheitsdaten ... sollte dabei stets dem Patienten- und dem Gemeinwohl dienen und die Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum aller Aktivitäten stellen." Dieser Anspruch ist relevant, da vom Gesetz nicht nur die Krankenkassen profitieren würden, sondern ganz bewusst auch pharmazeutische Unternehmen. Bereits in einer Diskussionsrunde des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) im November letzten Jahres hatten sich Fachpolitiker von SPD und FDP einig daran gezeigt, dass auch die Pharmaindustrie für Forschung Zugriff auf die Gesundheitsdaten erhalten solle. Die Freidemokraten in Person des digitalpolitischen Sprechers ihrer Bundestagsfraktion Maximilian Funke-Kaiser nahmen dabei bereitwillig ihre Rolle als Vertreter von Unternehmensinteressen an: Der Industrie möglichst umfassenden Zugang zu Gesundheitsdaten zu verschaffen, werde "ein wesentlicher Teil des Gesetzes sein", gab er als Devise aus. Deutlich dezenter drückte es der Hauptgeschäftsführer des BAH Hubertus Cranz aus, er forderte, dass die Arzneimittelindustrie bei der Regulierung des Zugangs zu Gesundheitsdaten gleichberechtigt mit anderen Sektoren des Gesundheitswesens behandelt werden müsse.

Krankenkassen sollen die personenbezogenen Daten ihrer Versicherten ebenfalls detailliert auswerten dürfen. Laut des Entwurfs können sie dazu datengestützte Auswertungen "zum individuellen Gesundheitsschutz" vornehmen. Das Portal netzpolitik.org nennt dafür ein konkretes Beispiel, und zwar aus der Diabetologie: Kommt eine Krankenkasse durch die Auswertung von Abrechnungsdaten zu dem Ergebnis, dass bei einem Versicherten mutmaßlich ein hohes Diabetesrisiko besteht, müsse sie den Betroffenen dann auch darüber informieren.

Koordinierung am BfArM

Der erste Schritt zur Verwirklichung der Ziele klingt unspektakulär: Beim BfArM soll eine nationale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut werden. Sie soll eine zentrale Funktion in der nationalen Gesundheitsdateninfrastruktur übernehmen. Gedacht ist die Stelle als Mittler zwischen datenhaltenden Stellen und Datennutzenden, sie übernimmt koordinierende Aufgaben bei Anträgen auf Datenverknüpfung. Die neue Stelle soll von den anzuschließenden Datenhaltern technisch und organisatorisch unabhängig sein, daher auch die Ansiedlung beim BfArM.

Der zweite im Gesetzesentwurf beschriebene Schritt belohnt, dass es im Bereich der Onkologie schon viele Vorarbeiten in Sachen Register gibt. Das GDNG soll nun ein Verfahren vorsehen, mit dem Daten des Forschungsdatenzentrums und Daten der klinischen Krebsregister anhand einer anlassbezogen erstellten Forschungskennziffer datenschutzkonform und rechtssicher verknüpft werden können.

Um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch bei einer Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten zu stärken, sollen laut Entwurf personenbezogene Gesundheitsdaten durch die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für mit Gesundheitsdaten Forschende und eines Beschlagnahmeverbots für Gesundheitsdaten geschützt werden. Die Einführung eines Forschungsgeheimnisses ermögliche zudem die strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung der Preisgabe von Informationen, die im Rahmen einer Weiternutzung von personenbezogenen Gesundheitsdaten abgeleitet werden, so das Ministerium.

Transatlantischer Austausch
Momentan ist die Forschung an internationalen Gesundheitsdaten nur schwer möglich, da es vor allem an einheitlichen Regelungen und Strukturen fehlt. Die Mitte Juni in Berlin veranstaltete "Data for Health Conference 2023" diskutierte zwei Tage lang Lösungen dieses Problems. Deutsche und amerikanische Wissenschaftler und Regierungsvertreter haben dabei vereinbart, zusammen Lösungen zum transatlantischen Datenzugang zu erarbeiten. So soll an künstlich erzeugten, sogenannten Synthetischen Daten untersucht werden, welche Auflagen es in der internationalen Forschung an Gesundheitsdaten gibt und wie diese erfüllt werden können. Ziel ist, in Folge der Konferenz Verfahren, Mustertexte und Vorlagen für rechtssicheren Datenzugang zu entwickeln, als Beispiele werden Einwilligungserklärungen, Datenschutzfolgeabschätzung und Musterverträge genannt. So sollen die Antragsprozesse vor allem für die Forscher vereinfacht und repetitive Kosten durch transatlantische Rechtsberatung reduziert werden.

Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll auch bereits erste Schritte zur Vorbereitung des deutschen Gesundheitswesens auf eine Anbindung an den Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) vornehmen. Der EHDS tritt nach Einschätzung von Experten zwar erst frühestens in zwei Jahren in Kraft, einen Verordnungsentwurf der EU-Kommission dazu verhandelt derzeit das Europäische Parlament.

Das GDNG war bereits als Teil der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen im März vom Bundesgesundheitsministerium angekündigt worden. "Moderne Medizin braucht digitale Hilfe", erklärte Minister Prof. Dr. med. Karl Lauterbach damals. Neben dem GDNG sollen die in der Strategie genannten Vorhaben vor allem durch das "Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens" umgesetzt werden, kurz "Digitalgesetz" oder, für Abkürzungsfanatiker, DigiG. Auch zu diesem Gesetz hat das Ministerium Mitte Juni einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. In ihm soll unter anderem geregelt werden, dass die ePA bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherte eingerichtet werden kann. Möglich werde dies durch das "Opt-Out" Verfahren, also das Prinzip, dass alle Versicherten eine Akte erhalten, die sich nicht aktiv dagegen entschieden haben. Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung stark vereinfacht werden.

Telemedizin soll ein fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden. Insbesondere Videosprechstunden sollen noch breiter eingesetzt und leichter genutzt werden können. Dazu soll im DigiG die bisher geltende Begrenzung der Videosprechstunden in einem ersten Schritt zunächst weiter flexibilisiert werden; zugleich werde die Vergütung künftig stärker an Qualitätsmerkmalen orientiert. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus einen neuen Leistungsanspruch der Versicherten auf "assistierte Telemedizin in Apotheken" vor, die in der Digitalisierungsstrategie hier noch genannten "Gesundheitskioske" finden sich im Entwurf nicht. Apotheken sollen die Versicherten vor allem unterstützen, ambulante telemedizinische Leistungen zu nutzen und sie vor Ort bei der Inanspruchnahme anleiten. Aber auch einfache medizinischer Routineaufgaben sollen sie zum Beispiel bei einer Videosprechstunde erbringen können. "Ziel ist es dabei, die Apotheken in die Bereitstellung des Zugangs zu einer flächendeckenden und leistungsfähigen telemedizinischen Versorgungsstruktur einzubeziehen und die Ärztinnen und Ärzte zum Wohle der Versicherten zu entlasten", so die Begründung des Referentenentwurfs.

Digital erweiterte Diabetes-DMP geplant

Die Disease-Management-Programme (DMP) sollen im Rahmen der Digitalisierungsstrategie um stärker digitalisierte Programme ergänzt werden. Im Digitalgesetz-Entwurf steht, dass als neues Angebot neben den bestehenden strukturierten Behandlungsprogrammen zukünftig solche für Typ-1- und Typ-2-Diabetes mit digitalisierten Versorgungsprozessen eingeführt werden sollen. Konkret heißt es zu diesen Diabetes-Digital-DMP: "Zur Verbesserung des Behandlungsablaufs und der Qualität der medizinischen Versorgung ist insbesondere zu regeln die Nutzung
  • der elektronischen Patientenakte,
  • des elektronischen Medikationsplans,
  • der sicheren Verfahren zur Übermittlung medizinischer Daten über die Telematikinfrastruktur,
  • ambulanter telemedizinischer Leistungen,
  • digitaler Gesundheitsanwendungen sowie
  • von Gesundheitsdaten zum Zweck der Personalisierung der Behandlung.

Das Ministerium begründet auch, warum explizit die Indikationen Typ-1- und Typ-2-Diabetes ausgewählt wurden: Bei deren Behandlung kämen bereits heute vielfältige Formen digitaler Unterstützung zum Einsatz. Die Therapie sei stark datengetrieben und habe in den vergangenen Jahren eine hochdynamische technologische Entwicklung im Bereich der Hilfsmittel und der digitalen Anwendungen für Patienten gesehen. "Es sind umfangreiche Reservoirs mit Patientendaten und vielfältige neue Möglichkeiten für die Auswertung der Daten und für die personalisierte Therapiesteuerung entstanden, welche an die technischen Systeme der Leistungserbringer bisher nicht angebunden sind und deren Nutzung für die Behandlung in den strukturierten Behandlungsprogrammen für Diabetes bisher wenig bis keinen Niederschlag gefunden haben", schreiben die Ministerialen.


Autor:
Marcus Sefrin
Chefredaktion DiabetesNews
Schmiedestraße 54
21335 Lüneburg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (7/8) Seite 6-8