Bei Therapieumstellung auf Medikamente mit hohem Hypoglykämierisiko (z.B. Insulin) oder bei Hypoglykämiewahrnehmumgstörungen ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Patient für einen bestimmten Zeitraum manche beruflichen Tätigkeiten nicht mehr ausüben sollte. Hierzu zählen z.B. das Bedienen von Maschinen oder das Führen von Kraftfahrzeugen. Für das Behandlungsteam stellt sich dann oft die Frage, ob bzw. wie lange der Patient deswegen krankzuschreiben ist, auch wenn andere Tätigkeiten noch möglich wären.

Im Rahmen einer Diabetes-Therapie kommt es immer wieder zu Situationen, bei denen eine Krankschreibung im Raume steht. So ist beispielsweise bei einer Umstellung von oralen Diabetes-Medikamenten auf eine Insulintherapie darauf zu achten, dass der Patient erst dann wieder risikobehaftete Tätigkeiten ausübt, wenn er den Umgang mit der neuen Therapie erlernt hat und die Risiken sicher einschätzen kann. Gleiches gilt, wenn eine gestörte Hypowahrnehmung vorliegt, insbesondere wenn es in den letzten 12 Monaten zu mehr als einer fremdhilfebedürftigen Unterzuckerung im Wachzustand kam. Relevant sind dabei insbesondere Tätigkeiten, die eine ungestörte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erfordern und mit besonderer Verantwortung für andere oder hohe Sachwerte verbunden sind. Auch das Bedienen gefährlicher Maschinen oder das Führen von Kraftfahrzeugen darf erst dann (wieder) erfolgen, wenn eine hinreichend stabile Stoffwechsellage vorliegt und Hypoglykämien sicher erkannt werden können.

Wann der Patient diese Tätigkeiten wieder aufnehmen kann, ist eine ärztliche Entscheidung; dieser Zeitraum kann sich durchaus über mehrere Wochen oder gar Monate hinziehen;

Für das Diabetes-Team stellt sich nun die Frage: soll der Patient solange krankgeschrieben werden, auch wenn er im Alltag ansonsten alles normal machen kann?

Wann ist eine Krankschreibung erforderlich?

Hierzu ist zunächst ein Blick auf die rechtlichen Grundlagen erforderlich. Die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine ärztliche Pflicht, die sich aus § 73 Abs. 2 Nr. 9 SGB V ergibt. Gem. § 31 Bundesmantelvertrag-Ärzte darf die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und ihrer voraussichtlichen Dauer sowie die Ausstellung der Bescheinigung grundsätzlich nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen; lediglich in Ausnahmefällen ist dies auch telefonisch möglich. Der Arzt muss seine Entscheidung nach § 630f BGB in der Patientenakte dokumentieren. Wann eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist nach den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu ermitteln; der Arzt ist an die Vorgaben der Richtlinien gebunden.

Eine Arbeitsunfähigkeit ist hiernach u.a. dann festzustellen, "wenn Versicherte auf Grund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn auf Grund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen" (§ 2 Arbeitsunfähigkeits-RL GBA)

Teilweise Krankschreibung gibt es nicht

Eine "teilweise Arbeitsunfähigkeit" im rechtlichen Sinne gibt es nicht. Wenn ein Arbeitnehmer seine vertraglich vereinbarte Haupttätigkeit krankheitsbedingt nicht ausführen kann, ist er arbeitsunfähig - auch wenn er theoretisch andere Tätigkeiten ausüben könnte.

Die Bewertung der Arbeitsunfähigkeit richtet sich daher immer nach der zuletzt ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen spezifischen Anforderungen. Aus diesem Grund kann dies bei gleicher Erkrankung bei Patienten zu jeweils unterschiedlichen Bewertungen der Arbeitsunfähigkeit führen.

Daher hängt es bei Diabetes-Patienten vor allem von der individuellen beruflichen Situation ab, ob bei einer Therapieumstellung oder aufgrund einer Hypoglykämieproblematik eine Krankschreibung zulässig ist bzw. erfolgen muss.

So darf beispielsweise ein Berufskraftfahrer bei Therapieumstellung auf Insulin bzw. bei Hypoglylämiewahrnehmungsstörung aus medizinischen Gründen solange kein Fahrzeug mehr führen, bis die Risiken kompensiert sind. Da er seine Haupttätigkeit während dieses Zeitraums also krankheitsbedingt nicht ausüben kann, müsste er krankgeschrieben werden – auch wenn dieser Zeitraum vielleicht 2-3 Monate umfassen kann. Hieran ändert sich auch nichts, wenn der Patient ansonsten Nebentätigkeiten seines Berufsbilds problemlos ausüben könnte, beispielsweise das Beladen, das Ausfüllen von Speditionspapieren oder die Wartung des LKW. Umgekehrt spielt es dagegen keine Rolle, wenn ein Auto vom Arbeitnehmer lediglich benötigt wird, um (schneller) zum Arbeitsplatz zu gelangen. In solchen Fällen liegt weiterhin Arbeitsfähigkeit vor; der Patient muss sich für den Weg zum Arbeitsplatz daher um eine Ersatzbeförderung (zB öffentlicher Nahverkehr, Fahrrad, Verwandte/Bekannte) kümmern.

Gleiches gilt, wenn die Tätigkeit nur erschwert, aber weiterhin möglich ist. So dürfte eine Krankschreibung bei reiner Bürotätigkeit meist allenfalls für die ersten Tage einer Therapieumstellung zu rechtfertigen sein; solche Tätigkeiten ohne Gefahrenpotential können grundsätzlich auch mit einer Hypo-Wahrnehmungsstörung ausgeübt werden.

Unrichtige AU kann rechtliche Konsequenzen haben

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine rechtlich relevante Urkunde, die dem Nachweis des Anspruchs auf Lohnfortzahlung dient. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer nicht arbeiten muss, der Arbeitgeber bzw. Sozialversicherungsträger den Lohn bzw. Lohnersatzleistungen dennoch (weiter-)bezahlen müssen.

Die nicht indizierte Ausstellung einer AU-Bescheinigung hat daher zur Folge, dass es zu einer Schädigung des Arbeitgebers bzw. Sozialträgers kommt, da Lohn(ersatz)zahlungen zu Unrecht erfolgen. Dies kann auch für den Arzt erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen.

Eine bewusst falsch ausgestellte AU-Bescheinigung wird gem. § 278 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet, in besonders schweren Fällen sogar mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Dazu muss man mit erheblichen berufsrechtlichen Sanktionen rechnen, die von Verwarnungen und Geldbußen bis hin zum Widerruf der Approbation reichen können.

Auch kann der Arzt von Arbeitgebern und Krankenkassen in Regress genommen werden, wenn diese aufgrund einer falschen AU-Bescheinigung zu Unrecht Entgeltfortzahlung oder Krankengeld geleistet haben. Dies setzt keinen Vorsatz voraus, sondern gilt auch schon bei einer grob fahrlässigen Falschbescheinigung.


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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 38-39