Deutschlandweit gibt es ca. 8,5 Millionen Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus, dazu kommen jährlich mehr als 500 000 Neudiagnosen. Davon leiden 95 % an einem Typ-2-Diabetes. Aufgrund der Altersentwicklung der Bevölkerung ist mit einer Zunahme der Diabetes-Neudiagnosen um mehr als 50 % in den kommenden 15 Jahren zu rechnen. Die Prävalenz ist altersabhängig, ebenso sind Männer häufiger betroffen als Frauen (Abb. 1). Örtliche Unterschiede zeigen geschlechterunabhängig eine höhere Prävalenz des Diabetes mellitus in den östlichen Bundesländern (Abb. 2).
Die Komorbiditäten bei Diabetes mellitus sind vielfältig. Neben der arteriellen Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Adipositas und Nierenerkrankungen ist die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), auch Schaufensterkrankheit genannt, eine typische Begleiterkrankung. Diese tritt bei Diabetiker ≥65 Jahren in 25 % der Fälle auf. Da jedoch die pAVK lange klinisch unbemerkt bleiben kann, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen [Kröger 2017].
Das diabetische Fußsyndrom stellt eine schwerwiegende Komplikation nach langjährigem Diabetes dar, welche durch eine Sensibilitätsstörung der unteren Extremität auf dem Boden einer diabetischen Polyneuropathie teils unbemerkte Ulzerationen nach sich ziehen kann. Eine Revaskularisationsmaßnahme mittels einer Katheteruntersuchung, bei der Ballonaufdehnungen und Stentimplantationen die Gefäßstrecke wiedereröffnen, kann die Abheilung der Wunden unterstützen und das Risiko für eine Amputation einer Gliedmaße deutlich reduzieren.
Grundsätzlich ist die pAVK mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko vergesellschaftet, welches durch das Vorliegen eines Diabetes mellitus noch um das 2,5-fach gesteigert wird (Abb. 3). Insbesondere das Risiko für Myokardinfarkte und Schlaganfälle trägt zur erhöhten Sterblichkeit dieser Patienten bei.
Medikamentöse Sekundärprävention
Gemäß der europäischen Leitlinie zur Behandlung der pAVK sollten sowohl eine Lebensstilanpassung sowie der absolute Verzicht auf Nikotinprodukte im Vordergrund stehen. Medikamentöse Therapieoptionen umfassen die Gabe eines CSE (Cholesterinsyntheseenzym)-Hemmers, einer Plättchenaggregationshemmung wie beispielsweise ASS (Acetylsalicylsäure) oder Clopidogrel sowie die Gabe eines ACE (angiotensin converting enzyme)-Hemmers [Frank 2019].
Lipidmodifizierende Medikation
Die Applikation von Statinen sollte mit einem hochpotenten Präparat (Atorvastatin ≥40 mg oder Rosuvastatin ≥20 mg) in der höchstmöglichen verträglichen Dosis erfolgen, um einen LDL-C(low density lipoprotein cholesterol)-Zielwert <55 mg/dl und eine mindestens 50 % Reduktion vom LDL-C-Ausgangswert gemäß der aktuellen ESC/EAS-Leitlinie zur Behandlung der Dyslipidämie zu erreichen [Mach 2020]. Wird der LDL-C-Zielwert <55 mg/dl trotz maximal verträglicher hochpotenter Statindosis weiterhin überschritten, ist eine Ergänzung der lipidmodifizierenden Therapie um den Cholesterinabsorptionshemmer Ezetimib angezeigt, da dieser - komplementär zur Cholesterinsynthesehemmung durch die Statine - die Cholesterinaufnahme im Darm hemmt und somit einen wichtigen Baustein zur Erreichen der Zielwerte darstellt [Mueller 2022]. Hier hat sich das Konzept einer Fix-Dosis-Kombination von Ezetimib mit einem Statin hinsichtlich der Zielwerterreichung als überlegen erwiesen [Katzmann 2022].
Da pAVK-Patienten ein Hochrisiko-Kollektiv darstellen, könnte durch diese Strategie bei mangelhafter LDL-C-Zielwerterreichung im klinischen Alltag dieses bisher unausgeschöpfte Potenzial adressiert werden [Ray 2020].
Plättchenaggregationshemmung und Antikoagulation
Bezüglich der Plättchenaggregationshemmung ist ASS oder der P2Y12-Inhibitor Clopidogrel bei allen symptomatischen pAVK-Patienten angezeigt. Eine Ausnahme stellen Patienten dar, die aus anderen Gründen eine dauerhafte effektive Antikoagulation (z. B. aufgrund einer Kunstklappe am Herz oder Vorhofflimmern) erhalten. Bei diesen wird eine zusätzliche Plättchenaggregationshemmung lediglich temporär nach einer endovaskulären Revaskularisation verordnet, um eine optimale Abheilung der behandelten Gefäßstrecke sowie der ggf. platzierten Stents zu ermöglichen.
Für pAVK-Patienten, insbesondere für solche mit Diabetes mellitus als Komorbidität, hat sich die Kombination aus ASS 100 mg und Rivaroxaban 2 × 2,5 mg als vorteilhaft hinsichtlich einer weiteren Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen und insbesondere auch der major adverse limb events (MALE) erwiesen, zu denen dringliche Revaskularisationen aufgrund einer kritischen Extremitätenischämie und gefäßbedingte Amputationen gehören [Anand 2018].
Antihypertensive Medikation
In 92 % der Patienten mit pAVK und Diabetes mellitus liegt eine arterielle Hypertonie als Komorbidität vor [Korosoglou 2022]. Eine Therapie mit einem ACE-Hemmer bzw. einem Angiotensin-Rezeptor-Blocker hat sich wegen der Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen als günstig erwiesen und sollte daher ein fester Bestandteil der antihypertensiven Therapie sein. Aufgrund der häufigen Nierenfunktionseinschränkungen im Rahmen des Diabetes mellitus kann hier bei Gabe der ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-Rezeptor-Blocker ebenso eine Progression der Niereninsuffizienz verzögert werden, so dass dieser Medikationsklasse ein doppelt günstiger Effekt auf die Komorbiditäten bei pAVK und Diabetes mellitus zufällt [Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators 2000; ONTARGET Investigators 2008; Ostergren 2004].
Diabetestherapie bei Atherosklerose-Erkrankungen
Natrium-Glukose-Cotransporter 2 (SGLT2)-Inhibitoren
Mit den Substanzen Empagliflozin und Dapagliflozin stehen zwei SGLT2-Inhibitoren zur Verfügung, die unabhängig vom HbA1c-Wert unter anderem zu einer Reduktion der Gesamtsterblichkeit, der kardiovaskulären Mortalität sowie der Nierenfunktionsverschlechterung führen und daher Eingang in die Nationale Versorgungsleitlinie Typ-2-Diabetes [Bundesärztekammer 2021] als Komedikation zu Metformin gefunden haben [Heerspink 2020; Wanner 2016; Wiviott 2019; Zinman 2015].
Das im Rahmen einer klinischen Studie mit dem in Deutschland nicht erhältlichen SGLT2-Inhibitor Canagliflozin aufgefallene erhöhte Risiko für eine Amputation der unteren Extremität konnte für die hier verfügbaren Substanzen Empagliflozin und Dapagliflozin nicht bestätigt werden, so dass auch pAVK-Patienten mit Diabetes mellitus von dieser sicheren Therapie profitieren [Heyward 2020; Neal 2017].
GLP (Glucagon-like Peptide)-1-Agonisten
Dulaglutid, Liraglutid und Semaglutid sind subkutan zu verabreichende GLP1-Agonisten, die sich ebenfalls positiv auf die kardiovaskulären Ereignisraten auswirken, wobei Liraglutid den Endpunkt kardiovaskulären Tod wie auch die Gesamtsterblichkeit signifikant senkt. Als Nebeneffekt führen diese Substanzen auch zu einer Gewichtsreduktion, welche die Stoffwechsellage positiv beeinflusst [Gerstein 2019; Marso 2016; Marso 2016 ]. Insbesondere die Patienten mit einer vorbestehenden chronischen Nierenschädigung profitieren von der Gabe eines GLP1-Agonisten, welcher das Voranschreiten einer Nierenfunktionsverschlechterung verzögern kann [Shaman 2022].
Risikofaktormanagement = Polypharmazie?
Aufgrund der vielfältigen Komorbiditäten, die es als Risikofaktoren einzustellen gilt, sind die betroffenen Patienten nicht nur multimorbide, sondern oft auch durch eine Vielzahl an Medikamenten belastet. Je höher die Anzahl der einzunehmenden Medikation, desto schlechter ist die Adhärenz der Patienten.
In einer retrospektiven Analyse von Verordnungsdaten aus dem Einzugsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe wurde deutlich, dass pAVK-Patienten eine völlig unzureichende Dauermedikation mit für die Sekundärprävention notwendigen Medikamenten (Plättchenaggregationshemmer/Antikoagulanzien, lipidmodifizierende Medikation, ACE-Hemmer) erhielten (Abb. 4). So bekamen lediglich 29 % der Patienten eine lipidmodifizierende Medikation und nur 7 % eine Kombination aus lipidstoffwechselwirksamen Medikamenten, Thrombozytenaggregationshemmern/Antikoagulanzien und ACE-Hemmern. Fast jeder zweite (46 %) erhielt keine der drei genannten Substanzklassen [Gebauer 2021].
Zwar konnte jüngst durch eine Datenanalyse des RECCORD-Registers eine deutlich bessere Versorgung der pAVK-Patienten nach einer endovaskulären Revaskularisation mittels sekundärpräventiven Medikamenten dargelegt werden (Tab. 1, [Stella 2022]), allerdings müssen sich solche Therapieregime auch in die Langzeit-Präventionsstrategien übersetzen, durch die nicht nur die Patienten profitieren, sondern auch unter sozioökonomischen Gesichtspunkten das Gesundheitssystem durch weniger Behandlungsnotwendigkeiten im ambulanten wie stationären Sektor entlastet wird. Denn eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen durch eine suffiziente Sekundärprävention wirkt nachhaltig.
Polypille als Erfolgsstrategie für bessere Adhärenz?
In der randomisierten SECURE-Studie wurde eine Kombinationspille mit ASS, Ramipril und Atorvastatin gegenüber der Standardtherapie bestehend aus drei einzelnen Pillen mit den jeweiligen Substanzen bei Patienten nach Myokardinfarkt getestet und hinsichtlich der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und dringliche Revaskularisation) untersucht [Castellano 2022]. Dabei hatten die Patienten mit Polypilleneinnahme signifikant weniger Ereignisse (−24 %) und ebenso eine bessere Adhärenz als die mit den Einzelkomponenten-Pillen (Abb. 5a + b).
Fazit
Eine dauerhafte Sekundärprävention ist bei Patienten mit atherosklerosebedingter kardiovaskulärer Erkrankung essentiell für den langfristigen Therapieerfolg invasiver Maßnahmen. Eine Kombinationsmedikation mit mehreren Wirkstoffen in einer Pille könnte ein Schritt sein, dieses Ziel nachhaltig zu erreichen.
Danksagungen:
Frau Dr. Gebauer erhält Fördermittel aus dem Clinician Scientist Programme der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Ich bedanke mich bei Frau Dr. Christiane Engelbertz für die redaktionelle Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts.
Interessenkonflikte:
Die Autorin deklariert den Erhalt von Honoraren von den Firmen Amgen, Novartis, Daiichi-Sankyo, Sanofi-Aventis und Bayer Vital.
Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (3) Seite 137-141