Die Entwicklung eines nicht-invasiven Messverfahrens zur kontinuierlichen Bestimmung der Glukosekonzentration im Blut oder Gewebe hätte großes Potential den Alltag von Menschen mit Diabetes zu erleichtern und ist deshalb seit vielen Jahrzehnten Gegenstand der Forschung in Wissenschaft und Industrie. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021 wurden insgesamt 34 in Entwicklung befindlichen Produkte zur nicht-invasiven Glukosemessung identifiziert. Allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Produkte eine CE-Kennzeichnung [Shang 2022, Klonoff 2021].
Unseres Wissens nach hat sich diese Situation bis Anfang 2024 nicht wesentlich verändert und eine genaue, zuverlässige und sichere Technologie für die nicht-invasive Glukosemessung ist derzeit nicht verfügbar [Litvinova 2023]. Prominente Beispiele aus der Vergangenheit für Armbanduhr-ähnliche, nicht-invasive Messsysteme, die aufgrund fehlender Zuverlässigkeit wieder vom Markt genommen wurden, waren das Pendra-System der Firma Pendragon Medical aus der Schweiz und die GlucoWatch G2 Biographer der Firma Cygnus aus den USA [Klonoff 2021].
Zusammenfassung
Einleitung: Seit einiger Zeit werden Smartwatches mit angeblicher, nicht-invasiver Glukosemessfunktion angeboten. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, diese Funktion zweier solcher Geräte zu untersuchen.Methodik: In einem Pilotversuch trug eine Person mit Typ-1-Diabetes an jedem Handgelenk je eine der beiden Smartwatches an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Währenddessen wurden Messungen mit einem konventionellen CGM-System durchgeführt. Am dritten Tag wurden die Smartwatches an einer Banane befestigt.
Ergebnisse: Die von den Smartwatches aufgezeichneten Glukoseverläufe zeigten über die drei Tage hinweg jeweils nahezu identische Verläufe, inklusive dem Tag an dem die Geräte an einer Banane befestigt waren. Zwischen den beiden Smartwatches hatten die Glukoseprofile eine gewisse Ähnlichkeit mit drei Anstiegen zu den für Hauptmahlzeiten typischen Uhrzeiten. Eine klinisch relevante Ähnlichkeit zu den an den ersten beiden Tagen gleichzeitig aufgezeichneten CGM-Daten war bei beiden Geräten nicht zu erkennen.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse des Pilotversuchs zeigten, dass die beiden untersuchten Smartwatches über keine tatsächliche Glukosemessfunktion verfügten, wodurch weitere Untersuchungen nicht notwendig waren. Da dies auch bei ähnlich vermarkteten Geräten, die nicht als Medizinprodukte zugelassen sind der Fall sein kann, sollten Ärzte ihre Patienten ausdrücklich vor der Benutzung solcher Geräte zur Diabetestherapie warnen. Schlüsselwörter
Smartwatch; Nicht-invasive Glukosemessung
Beware of using smartwatches with alleged glucose monitoring functionality
Summary
Aims: For a while, online retailers have been offering smartwatches with an alleged functionality to non-invasively monitor glucose levels. The aim of this work was to assess this functionality in two such devices.
Methods: In a pilot study, a person with type 1 diabetes wore, on each wrist, the two acquired devices on two consecutive days. Measurements with a conventional CGM system were carried out simultaneously. On the third day, the smartwatches were attached to a banana.
Results: The glucose profiles recorded by the smartwatches were almost identical from day to day, including when they were attached to the banana. Comparing the glucose profiles between smartwatches also showed some similarities with peaks following the usual timing of breakfast lunch and dinner. A clinically relevant similarity to the simultaneously recorded CGM data on the first two days could not be identified.
Conclusions: The results of this pilot study demonstrated that the two examined smartwatches possessed no actual functionality to non-invasively measure glucose levels, which made further examinations unnecessary. Health care professionals should therefore warn their patients of the use of such devices for diabetes management, as these findings may also apply to similarly marketed smartwatches that are not labeled as medical devices. Keywords
smartwatch; non-invasive glucose monitoring
Die große Mehrheit der aktuell entwickelten Technologien basiert auf optischen Verfahren, also der Erfassung bestimmter optischer Eigenschaften des Gewebes in Abhängigkeit von der Glukosekonzentration. Allerdings führen die Komplexität des Gewebeaufbaus sowie die Vielfalt an Substanzen, die ähnliche optische Eigenschaften wie Glukose haben, zu großen technischen Herausforderungen [Tang 2020]. Somit liegt die berichtete Genauigkeit der meisten nicht-invasiven Systeme im Bereich dessen, was CGM-Systeme vor ca. 20 Jahren leisten konnten [Litvinova 2023, Lubinski 2021, Pleus 2021].
Während also noch keine nicht-invasive Glukosemesstechnologie die Marktreife erlangt hat, ist die Verfügbarkeit und Verbreitung von Smartwatches mit der Fähigkeit zur Aufzeichnung von Herzfrequenz, Aktivität, Hauttemperatur, EKG und Sauerstoffsättigung in den letzten Jahren stark gewachsen [Dunn 2018, Escobar-Linero 2023]. Begünstigt durch diese Entwicklung und verschiedene Ankündigungen namhafter Technologiefirmen könnte deshalb außerhalb von Fachkreisen der falsche Eindruck entstanden sein, dass eine ähnliche Technologie zur Glukosemessung mit Smartwatches kurz bevorstehe oder sogar bereits verfügbar sei. Tatsächlich werden im Onlinehandel seit einiger Zeit verschiedene Smartwatches mit integrierter Glukosemessfunktion angeboten. Aufgrund der zuvor beschriebenen Situation bezüglich aktueller, nicht-invasiver Glukosemesssysteme gibt es jedoch starke Zweifel daran, dass solche Smartwatches eine ernstzunehmende Alternative zu konventionellen Glukosemessmethoden bieten können. Ziel dieser Arbeit war es deshalb, die grundlegende Fähigkeit zur Glukosebestimmung zweier Smartwatches mit angeblicher Glukosemessfunktion zu untersuchen.
Methodik
Bei den untersuchten Geräten handelt es sich um zwei Smartwatches (SM1 und SM2), die beide im Juni 2023 im Onlinehandel (Amazon.de) erworben wurden, wobei beide Geräte mittlerweile bei diesem Anbieter nicht mehr verfügbar sind. Beide Geräte besitzen einen optischen Sensor der beim Tragen Kontakt zur Hautoberfläche hat. Neben der angeblichen Glukosemessfunktion bieten diese Smartwatches auch u.a. die Möglichkeit Herzfrequenz, EKG, Sauerstoffsättigung, Aktivität, Körpertemperatur und Blutdruck zu bestimmen. Es handelt sich dabei nach Herstellerangaben nicht um Medizinprodukte mit dem Hinweis, dass die Messergebnisse nicht für medizinische Zwecke verwendet werden dürfen. Die Ergebnisse können direkt auf den Geräten angezeigt werden, jedoch sind für beide Geräte auch eigene Smartphone-Applikationen zur Aufzeichnung und Anzeige der Messergebnisse verfügbar.
Zur Überprüfung der Glukosemessfunktion wurde ein Pilotversuch mit einer Person mit Typ-1-Diabetes durgeführt. Hierzu wurden die beiden Geräte gleichzeitig, je Handgelenk eines, von ca. 09:00 Uhr bis 22:00 Uhr an zwei aufeinanderfolgenden Tagen getragen. Währenddessen wurden auch Messungen mit einem konventionellen CGM-System (Guardian 4, Medtronic Inc., Northridge, CA, USA) durchgeführt. Am dritten Tag wurden die Smartwatches an einer Banane befestigt (Hauptbild). Anschließend wurden die von den entsprechenden Smartphone-Applikationen aufgezeichneten Glukosedaten ausgelesen und visuell inspiziert.
Ergebnisse
Die aufgezeichneten Glukoseverläufe an den drei Versuchstagen sind in Abbildung 2 dargestellt. Wie zu erkennen ist, waren die von beiden Smartwaches erfassten Glukoseverläufe an allen drei Tagen jeweils nahezu identisch, mit Anstiegen zu für die Hauptmahlzeiten üblichen Uhrzeiten um ca. 09:00 Uhr, 13:00 Uhr und 19:00 Uhr. Allerdings zeigten sich Unterschiede zwischen den Geräten. So waren die von SM2 aufgezeichneten Anstiege mit Spitzenwerten von ca. 160 mg/dl deutlich höher als die entsprechenden Spitzen von SM1 von ca. 130 mg/dl. Obwohl die Werte der Smartwatches und des CGM-Systems zeitweise übereinstimmten, z.B. bei SM2 an Tag 1 von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr, oder für SM1 an Tag 2 von 18:00 Uhr bis 19:00 Uhr, war eine klinische aussagekräftige Ähnlichkeit zwischen den Werten der Smartwatches und denen des CGM-Systems nicht zu erkennen. Somit ist nicht verwunderlich, dass an Tag 3, als die Geräte an einer Banane befestigt waren, ebenfalls ein nahezu identischer Glukoseverlauf wie an den beiden Tagen zuvor aufgezeichnet wurde.
Abb. 2: Aufgezeichnete Glukoseverläufe der beiden Smartwatches (SM1 und SM2) sowie des CGM-Systems an den drei Versuchstagen.
Diskussion
Die Ergebnisse dieses Pilotversuchs zeigen, dass die von den getesteten Smartwaches aufgezeichneten Glukosewerte keine klinische Aussagekraft besitzen. Vielmehr lässt sich annehmen, dass die Geräte ein tageszeitabhängiges, festes Glukoseprofil anzeigen, welches dem einer Person ohne Diabetes ähneln soll. Auch eine, wie in der Literatur bereits beschriebene [Bent 2021], indirekte Schätzung der Glukosewerte auf Basis anderer Signale wie Herzfrequenz oder Aktivität scheint aufgrund der nahezu identischen Verläufe von Tag zu Tag nicht durchgeführt zu werden. Offensichtlich erfolgte nicht einmal eine grundlegende Erkennung, ob die optischen Sensoren Kontakt mit lebendem Gewebe haben. Eine weitergehende, systematische Untersuchung der Messfunktion wurde auf Basis dieser Ergebnisse deshalb nicht als sinnvoll erachtet.
Ähnliche Ergebnisse wurden in einem kürzlich veröffentlichten Fallbericht aus der Schweiz beschrieben [Gamarra 2024]. Hier wurde von einer Frau mit Typ-2-Diabetes berichtet, die von einem hohen HbA1c von 11.9% überrascht war, da dieser Befund offensichtlich nicht zu den von einer Smartwatch angezeigten Blutzuckerwerten im Bereich zwischen 108 mg/dl und 126 mg/dl passte. Weiterhin ist uns durch anekdotische Berichte von Ärzten in Deutschland bekannt, dass es Patienten gibt, die von der Aussagekraft der von Smartwatches angezeigten Glukosewerte überzeugt waren.
Allerdings gibt es Möglichkeiten, wie auch Anwender im Selbstversuch die Glukosemessfunktion abschätzen können. Erste Anhaltspunkte können bereits gewonnen werden, indem der Tagesablauf z.B. durch Anpassung der Mahlzeitenzufuhr so variiert wird, dass die Glukosespitzen zu unterschiedlichen Uhrzeiten erwartet werden können. Bildet die im Einzelfall verwendete Smartwatch diese Unterschiede nicht ab, liegt wahrscheinlich keine Messfunktion vor. Ansonsten ist die vorübergehende Nutzung eines CGM-Systems oder Blutzuckermessgeräten und -teststreifen für viele Menschen auch auf eigene Kosten erschwinglich, sodass zeitgleich stattfindende Kontrollmessungen durchgeführt werden könnten. Dabei ist darauf zu achten, dass es, wie in diesem Pilotversuch, Phasen geben kann, in denen die Smartwatches zufälligerweise einen korrekten Glukosewert anzeigen. Solche Kontrollmessungen müssten also ausreichend häufig erfolgen. Zuletzt gäbe es natürlich die Möglichkeit, wie hier dargestellt, die Smartwatch an einer Frucht anzubringen, und das Verhalten zu beobachten.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse unseres Pilotversuchs konnten zweifelsfrei zeigen, dass die beiden untersuchten Smartwatches über keine tatsächliche Glukosemessfunktion verfügen und damit keinen klinischen Nutzen für die Diabetestherapie haben. Diese Erkenntnisse lassen sich wahrscheinlich auch auf andere Geräte, die nicht als Medizinprodukte zugelassen sind und ähnlich vermarktet werden, übertragen. Ärzte sollten deshalb ihre Patienten ausdrücklich vor der Benutzung solcher Geräte zur Diabetestherapie warnen und könnten ihre Patienten auf einfache Möglichkeiten zur Kontrolle der Glukosemessfunktion hinweisen.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2024; 33 (2) Seite 102-104