Diabetes-Forum-Chefredakteur Bernd Liesenfeld stellt in seinem Editorial verschiedene Initiativen und Strategien zur Prävention des Diabetes und seiner Begleiterkrankungen mittels Sport und Ernährung vor.

Bewegung und Ernährung gelten gemeinhin als Eckpfeiler der Vorbeugung und Behandlung des Diabetes in all seinen Erscheinungsformen, sollte man meinen. Während pharmakologische Innovationen, wen wunderts, rasch große mediale Aufmerksamkeit bekommen, hapert es bei der Umsetzung scheinbar einfacher Konzepte, wie zuletzt der gescheiterten Einführung einer Zuckersteuer. Minister Özdemir könnte mit seinem neuerlichen Kinderschutzprogramm gegen Werbung für ungesunde Lebensmittel wiederum Schiffbruch erleiden.

Einfacher dagegen haben es Initiativen, die ohne Gegenwind von Lobbygruppen der Nahrungsmittelindustrie arbeiten können. So hat das Bundesministerium des Innern zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund die Initiative „SportNurBesser“ gegründet, die bis August 2023 über deren Webseite Gutscheine über 40 Euro zum Eintritt in einen Sportverein freier Wahl abgibt. Darüber hinaus ist die Indikation „Diabetes mellitus“ seit Januar 2023 auf dem Formular 56 zur Verordnung von Rehabilitationssport nach § 44 SGB IX explizit aufgeführt und kann ärztlich verordnet werden. Bis zu 120 Übungseinheiten Gymnastik, Schwimmen, Kraft- und Ausdauertraining können so bis zu 3-mal wöchentlich über maximal 3 Jahre in Fitness-Studios oder spezialisierten Reha-Einrichtungen ambulant ohne Zusatzkosten nach Genehmigung durch die Kassen in Anspruch genommen werden. Die Indikation „Herzinsuffizienz mit hohem kardiovaskulärem Risiko“ ist ebenso neu geschaffen worden und berechtigt viele Diabetiker nunmehr zum Eintritt in die weit verbreiteten Herzsportgruppen auch ohne manifeste KHK. Wir müssen diese Angebote bekannter machen und Patient:innen aktiv darauf hinweisen.

Auf Seiten der Ernährungstherapie für Menschen mit Diabetes gibt es bislang nur ein Formular mit dem sperrigen Namen „Ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung“, welches für einen ganzen Blumenstrauß von Erkrankungen fünf Therapiesitzungen (in Präsenz oder online) ermöglicht. Viele dieser Erkrankungen finden sich bei unseren Patienten neben dem Diabetes und erfordern eine gesonderte diätetische Behandlung (Hypertonie, Fettstoffwechsel, Gicht etc.). Wenig bekannt ist, dass jede der aufgeführten Indikationen diese fünf Sitzungen auslösen und jedes Jahr eine andere Indikation genehmigt werden kann. Anstatt also alle Erkrankungen anzukreuzen, sollte nur eine für die Behandlung führende Diagnose ausgewählt werden, um in den Folgejahren den Schwerpunkt auf eine andere der multiplen Begleiterkrankungen des Diabetes zu legen.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat 2022 in ihrem Abschlussbericht wegweisende Forderungen an die Politik zur Verbesserung der Ernährung in Deutschland formuliert. Sie empfiehlt die Sanktionierung von potentiell schädlichen Nahrungsbestandteilen (Zucker, Salz, Fett) und die Förderung von Obst- und Gemüsekonsum. Die Ernährungsbildung gerade für Menschen in prekären Lebensverhältnissen ist durch Vermittlung von Kochkompetenz und finanziellem Ausgleich bei steigenden Lebensmittelpreisen zu stärken. Die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen und Betrieben muss verpflichtende Qualitätsstandards erfüllen. Die Kulinarik des 21. Jahrhunderts ist pflanzlich orientiert und verpflichtet sich nachhaltigen Ernährungsmustern. Diese Einsicht hatte im übrigen auch schon Hippokrates („Eure Nahrung sei eure Medizin“), allerdings gut 2400 Jahre früher. Das Institut für Ernährungspsychologie der Universität Göttingen hat den Faden des Hippokrates wieder aufgenommen und bietet ein Curriculum für „Kulinarische Medizin“ an, welches medizinischem Fachpersonal praktische Anleitung zur Zubereitung gesunder Speisen gibt. Es ist klar, dass Menschen mit Kochkompetenz besser über Ernährung im Alltag beraten können als solche ohne diese Qualifikationen. Auch das Verständnis für die Aufgaben und Möglichkeiten der professionellen Ernährungstherapie wird dadurch gestärkt.

Bemerkenswert sind zwei Studien der Universität Detroit zur Verschreibung (!) des Bezugs von gesunden Lebensmitteln in Zusammenarbeit mit lokalen Märkten für Menschen mit Diabetes und prekärer sozialer Lage. Die wöchentliche Abgabe von frischem Obst und Gemüse im Wert von 10 Dollar über 8 Wochen senkte den HbA1c um 0.5 %, das entspricht ungefähr dem, was ein DPP-IV-Hemmer zusätzlich zu Metformin bewirken kann. Einige Praxen in Deutschland setzen seit Jahren das grüne Rezept ein, um nebenwirkungsarme Präparate, die der Patient bislang selbst zahlt, zu empfehlen. Es signalisiert, dass der Arzt diese Präparate für notwendig und zweckmäßig erachtet. Bedarf es noch mehr guter Gründe, Obst und Gemüse ab jetzt auf das grüne Rezept zu schreiben? Hippokrates würde es sicher lieben.


Autor:
Dr. Bernd Liesenfeld
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Diabetologie, Angiologie
Oberarzt
Abteilung Innere Medizin II


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (4) Seite 5