Kinder mit Diabetes benötigen oft eine Begleitperson, die während des Unterrichts bzw. auf Klassenfahrten die medizinischen Maßnahmen durchführt bzw. auf das Kind zusätzlich aufpasst. In diesem Beitrag erläutern wir den Hintergrund und geben Tipps für die Verordnung.
Eine Begleitperson ist grundsätzlich eine Leistung der Krankenkasse und konnte bislang als spezielle Krankenbeobachtung verordnet werden. Eine Änderung der Vorschriften führt jedoch aktuell zu erheblichen Verunsicherungen; in manchen Fällen haben Kassen auch schon die entsprechenden Leistungen unter Hinweis auf die neue Rechtslage eingestellt.
Moderne Hilfsmittel wie beispielsweise rtCGM und Insulinpumpen tragen dazu bei, dass eine Diabetes-Erkrankung deutlich besser und risikoärmer "gemanagt" werden kann. Auch Kinder und Jugendliche bekommen aufgrund des Diabetes daher immer seltener Probleme in Kindergarten bzw. Schule. In den meisten Fällen sind Lehrkräfte bzw. Betreuungspersonal engagiert und nach Kräften bemüht, eine reguläre Teilnahme in Kindergarten bzw. Unterricht zu ermöglichen. Allerdings gibt es leider trotzdem Ausnahmen, denn Kindergartenpersonal und Lehrer sind nicht verpflichtet, medizinische Maßnahmen wie das Bedienen bzw. Überwachen von rtCGM oder Insulinpumpe zu übernehmen. In solchen Fällen wird eine Begleitperson benötigt, welche während des Unterrichts bzw. auf Klassenfahrten diese medizinischen Maßnahmen durchführt bzw. auf das Kind zusätzlich aufpasst.
Eine solche Begleitperson bei Kindern mit Diabetes wurde bislang regelmäßig als Leistung der häuslichen Krankenpflege angesehen (sog. "Sicherungspflege" in Form der speziellen Krankenbeobachtung, § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V), die vom Arzt formlos oder unter Verwendung des Formularvordrucks 12 (https://www.kbv.de/html/28888.php) verordnet werden kann.
"§ 37 Abs. 2 SGB V: Häusliche Krankenpflege (Sicherungspflege)
(2) Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist"
Die verordnungsfähigen Leistungen hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der der Richtlinie für häusliche Krankenpflege (HKP-RL) vorgegeben. In der dortigen Anlage unter Nr. 24 waren die spezielle Krankenbeobachtung als Leistung der häuslichen Krankenpflege aufgeführt
"Nr. 24 HKP-L (alte Fassung) Krankenbeobachtung (spezielle)
Leistungsbeschreibung:
- kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen
- Dokumentation der Vitalfunktionen wie: Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut, Schleimhauteinschließlich aller in diesem Zeitraum anfallenden pflegerischen Maßnahmen.
Die Leistung ist verordnungsfähig,
- wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können oder
- wenn über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden festgestellt werden soll, ob die ärztliche Behandlung zu Hause sichergestellt werden kann oder ob Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Die Verordnung ist nur begründet, wenn aufgrund schwerwiegender akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Kontrolle der Vitalfunktionen erforderlich ist und erst aufgrund des über den gesamten Betrachtungszeitraum zu führenden Verlaufsprotokolls die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder des Verbleibs zu Hause getroffen werden kann.
Die spezielle Krankenbeobachtung setzt die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraus. Zur speziellen Krankenbeobachtung gehören auch die dauernde Erreichbarkeit der Ärztin oder des Arztes und die laufende Information der Ärztin oder des Arztes über Veränderungen der Vitalzeichen."
Im Rahmen einer Gesetzesänderung wurde mit § 37c SGB V ein neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege (AKI) eingeführt. Die verordnungsfähigen Leistungen richten sich dabei nach der ebenfalls neuen "Richtlinie über die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege" (AKI-RL). Die AKI ersetzt den bisherigen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V i. V. m. der HKP-RL. Seit 01.11.2023 sind Verordnungen von außerklinischer Intensivpflege daher nur noch gemäß AKI-RL möglich. Die Verordnung erfolgt gem. Muster 62b und 62c. Zudem wurde in der HKP-RL die bisherige Nummer 24 des Leistungsverzeichnisses gestrichen, welcher die "Spezielle Krankenbeobachtung" regelte.
§ 37c Abs. 1 SGB V: Außerklinische Behandlungspflege
"(1) Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben Anspruch auf außerklinische Intensivpflege. Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist. [..]
Im Unterschied zum Anspruch auf häusliche Krankenpflege, welcher auch durch eine Pflegekraft ohne formale Qualifikation erbracht werden kann, setzt die außerklinische Intensivpflege den Einsatz einer qualifizierten Pflegefachkraft voraus. Gem. § 4 Abs.1 AKI-RL ist Voraussetzung für eine Verordnung von AKI, dass ein "intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft notwendig ist, weil eine sofortige ärztliche oder pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar erforderlich ist, wobei die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können",
Diese Voraussetzungen sollen nach der Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes (Begutachtungsanleitung AKI vom 26.9.2023, Nummer 2.4.2.6) bei Kindern mit Diabetes jedoch "in der Regel nicht erfüllt" sein. Bei der Begutachtung sei daher von folgendem auszugehen: "Unter der Voraussetzung einer ausreichend stabilen Diabeteseinstellung mit Gewährleistung von regelmäßigen, engmaschigen Blutzuckerkontrollen, Insulingaben nach Dosierschema und Beachtung der diätetischen Maßnahmen kann es nur selten zu Blutzuckerentgleisungen kommen, die als unmittelbar lebensbedrohlich zu bewerten sind. Diese Sondersituationen begründen nicht die Notwendigkeit einer permanenten pflegerischen Interventionsbereitschaft im Sinne einer außerklinischen Intensivpflege." Sofern Einzelleistungen der Behandlungspflege – beispielsweise der Einsatz eines rtCGM oder eine Insulinpumpe – nicht ausreichten, sei daher nicht (mehr) die Krankenkasse zuständig: "Die Eltern können einen Antrag auf Schulbegleitung stellen (§ 112 SGB IX). Kostenträger für die Schulbegleitung ist der Eingliederungshilfeträger (§ 112 SGB IX Leistungen zur Teilhabe an Bildung)"
Konsequenz: Krankenkassen lehnen AKI oft ab
Vor diesem Hintergrund kommt es in der Praxis nun oft zu Problemen. Verordnungen von häuslicher Krankenpflege gem. Muster 12 werden von Krankenkasse oft mit der Begründung abgelehnt, dass es den bisherigen Anspruch auf "spezielle Krankenbeobachtung" gem. § 37 Abs. 2 SGB V nicht mehr gebe und stattdessen eine AKI gem. § 37c SGB V beantragt werden müsse. Wird jedoch eine Verordnung von AKI eingereicht, dann wird diese oft mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen bei Kindern mit Diabetes hierzu nicht vorlägen.
Abb. 1: Ablehnungsschreiben zu AKI.
Einschränkung des gesetzlichen Leistungsanspruchs ist nicht zulässig
Nach meiner Einschätzung ist dies jedoch nicht rechtmäßig. Zunächst dürfte fraglich sein, ob es sich bei der benötigten speziellen Krankenbeobachtung tatsächlich um Leistungen einer außerklinischen Intensivpflege handelt, denn es bestehen hier doch erhebliche Unterschiede. Es wäre dann aber weiterhin die HKP-RL anwendbar. Die dortige Streichung der "Speziellen Krankenbeobachtung" kann meiner Auffassung auch nicht dazu führen, dass die Krankenkasse die Leistungen nicht erbringen darf. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt die HKP-RL keinen abschließenden Leistungskatalog dar: Wenn Maßnahmen der Behandlungspflege im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind, besteht auch außerhalb des Leistungsverzeichnisses der HKP-RL eine Leistungsverpflichtung der Krankenkassen (vgl. Urteil vom 26.01.2006, Az. B 3 KR 4/05 R). Der Gemeinsame Bundesausschuss, der für die Richtlinien verantwortlich ist, hat in seinen tragenden Gründen für die Änderungen daher auch klargestellt, dass, dass die spezielle Krankenbeobachtung im Sinne der bisherigen Regelungen auch weiterhin erforderlich und wirtschaftlich sein kann und in diesem Fall auch weiterhin verordnet und von den Krankenkassen erbracht werden darf.
Dies ergibt sich auch aus § 1 Abs. 4 der aktuell gültigen HKP-RL. Dort ist zwar geregelt, dass "nicht aufgeführte Maßnahmen [..] grundsätzlich nicht als häusliche Krankenpflege verordnungs- und genehmigungsfähig" sind. Allerdings gilt dies nicht kategorisch, denn Ausnahmen sind ausdrücklich möglich: "Nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V sind in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des von der Verordnerin oder dem Verordner erstellten Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen."
Tipps zur Vorgehensweise
Ich empfehle daher, zunächst wie bislang zu verfahren und eine Verordnung über die spezielle Krankenbeobachtung gem. § 37 Abs. 2 SGB V auf Grundlage der HKP-RL auszustellen (gem. Muster 12). Dies hat auch den Vorteil, dass schon eine frühe Kostenübernahme möglich ist: sofern die Verordnung innerhalb von vier Arbeitstagen bei der Krankenkasse vorliegt, dann muss diese Kosten so lange übernehmen, bis sie abschließend über die Genehmigung entschieden hat (§6 Abs. 5 HKP-RL).
Abb. 2: Vorschlag für eine Verordnung der HKP. Wichtig ist der Hinweis auf die „Notwendigkeit einer jederzeitigen Interventionsmöglichkeit“ sowie die Angabe der Maßnahmen.
Zur Begründung sollte angeführt werden, dass für die Zeit des Kindergarten- bzw. Schulbesuchs eine ständige Begleitung aus medizinischer Sicht zwingend erforderlich ist, um die ordnungsgemäße Durchführung der Insulintherapie sowie die Überwachung der Stoffwechselsituation zu gewährleisten. Dazu sollte eine schriftliche Bestätigung von Kindergarten bzw. Schule vorgelegt werden aus der hervorgeht, dass die erforderlichen medizinischen Maßnahmen bzw. eine Beobachtung des Kindes von dort nicht geleistet bzw. gewährleistet werden können. Weiterhin empfehle ich, eine detaillierte Stundenaufstellung bzw. einen Stundenplan einzureichen, aus denen sich die Zeiten ergeben, für welche die Hilfe benötigt wird. Zusätzlich sollte bei der Begründung auf die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 4 S. 3 HKP-RL verwiesen werden.
Wird der Antrag von der Krankenkasse mit der Begründung abgelehnt, dass eine Verordnung von "Außerklinische Intensivpflege" unter Verwendung der Vordrucke Muster 62b und 62c erforderlich sei, dann würde ich hiergegen sofort Widerspruch einlegen. Für alle Fälle sollte der Arzt dann aber gleich die geforderte Verordnung für Außerklinische Intensivpflege ausstellen. Da es relativ lange dauern kann, bis die Krankenkasse den Widerspruch bearbeitet, könnte eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht beantragt werden. Es empfiehlt sich, hierzu anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Abgrenzung Eingliederungshilfe / Krankenkassenleistung
Die Abgrenzung zwischen einer Eingliederungshilfe – hierfür wäre das Integrationsamt zuständig - und einer solchen von der Krankenkasse zu übernehmenden (Behandlungs-)Sicherungspflege hängt davon ab, wofür die Hilfe hautsächlich benötigt wird. Das Integrationsamt ist zuständig, wenn Hilfe zur Bewältigung von Anforderungen des Schulalltags (Integrationshelfer/Teilhabeassistent) benötigt wird. Handelt es sich aber "um die Notwendigkeit, die körperliche Situation zu beobachten und ggf. in medizinisch-pflegerischer Hinsicht zu intervenieren", dann wäre die Krankenkasse zuständig (SG Darmstadt, Beschluss vom 26.08.2021, S_17_SO_115_21_ER; vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 15. März 2017, L 4 SO 23/17 BER, juris, Rn. 8).
Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege umfasst auch Hilfe außerhalb des Haushalts, z.B. in Schulen und Kindergärten. Hierzu gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Typisch dabei ist, dass es sich nicht um ärztliche Leistungen handelt, sondern diese in der Regel medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Die Behandlungspflege umfasst Maßnahmen verschiedenster Art, wie z.B. Injektionen, das Setzen von Kathetern, die Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes, zur Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 14 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. März 2021, L 4 KR 3741/20 ER-B, juris, Rn.39). Die bei Kindern mit Diabetes benötigte Schulbegleitung dient primär der Versorgung der Diabetes-Krankheit. Blutzuckermessungen und Insulingaben kann man auch nicht vorab auf Vorrat vor Unterrichtsbeginn machen; nicht zuletzt wegen der im Tagesverlauf unvorhersehbar häufig schwankenden Blutzuckerwerte ist es notwendig, dass jederzeit eine Intervention möglich ist. Die Kinder benötigen deshalb auch während des Schulbesuchs eine ständige Beobachtung, damit in den jeweiligen unvorhersehbar auftretenden Situationen die medizinisch geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um Über- oder Unterzuckerung zu vermeiden. Da diese Hilfe mit der Schule speziell nichts zu tun hat, sondern ja auch außerhalb der Schulzeit notwendig ist (dort wird das von den Eltern sichergestellt), liegen die Voraussetzungen einer Sicherungspflege vor.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (6) Seite 44-47