Von den digitalen Helfern, den AID-Systemen, gibt es inzwischen eine Vielzahl. Doch was können sie leisten für die Menschen mit Diabetes. Wer profitiert von welchen Innovationen am meisten. Dr. Andreas Thomas aus Pirna mit einem Versuch der Bewertung.
Aufgrund verschiedener Entwicklungen, hardware- und softwareseitig erscheint es auf den ersten Blick nicht leicht die vorhandene Produktpalette zu überblicken und noch schwerer Menschen mit Diabetes (MmD) eines der Systeme zu empfehlen. Dem Diabetesteam stellen sich anfangs verschiedene Fragen.
Welches AID-System ist zu empfehlen?
Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede bei den AID-Systemen? Was kann welchem Patienten empfohlen werden? Was muss bei welchem System eingestellt werden? Muss ich den Algorithmus exakt kennen? Gibt es Limitierungen? Wichtig ist es deshalb zunächst zu wissen, dass die in den AID-Systemen verwendeten unterschiedlichen Algorithmen keine extrem großen Unterschiede in den erreichten klinischen Parametern zur Folge haben. Die Evidenz für diese Aussage betrifft die mit den unterschiedlichen Systemen von verschiedenen Patienten in Studien, aber auch im Alltag (Real-World-Daten) erreichten Ergebnisse. Allerdings wurden die AID-Systeme nicht "Head to Head", also direkt vergleichend untersucht. Verblindete Studien, bei denen ein Studienteilnehmer mehrere Systeme gleichzeitig trägt, von denen aber nur eines davon Insulin enthält – solche Studien wurden nie durchgeführt. Sie wären auch nicht wirklich zu verblinden. Die Grundaussage bleibt aber: es ist nicht zu erwarten, dass ein MmD mit unterschiedlichen Systemen wesentliche therapeutische Unterschiede erzielt.
Welches System ein Anwender bevorzugt, ist zunächst seinen Empfindungen geschuldet. Soll es eine Patchpump oder eine klassische Insulinpumpe sein? Wie gefallen Größe und Design der Pumpe? Wie gut lesbar ist das Display? Hat er die Daten auf der App seines Smartphones? Soll der Glukosesensor kalibrierbar sein (z.B. Dexcom G6) oder nicht (FreeStyle Libre 3 – betrifft aber nur das System mylife Loop von Ypsomed)? Was empfiehlt das Diabetesteam?
Andere Kriterien liegen eher im Blick des Diabetesteams. Sie können zum Beispiel die Handhabung oder den Algorithmus betreffen, wobei da auch eher Erfahrungswerte des Teams eine Rolle spielen. Das gleiche betrifft die Auswertesoftware. Wie schnell werden die wesentlichen Parameter sichtbar, um auf Grundlage der angezeigten Werte Details in der Glukoseregulation zu erkennen und ggf. zu modifizieren? Auch hier sind die Erfahrungen des Diabetesteams entscheidend. Der MmD, der sich für eines der AID-Systeme entscheiden muss wird in der Regel die Kriterien des Diabetesteams nicht hinterfragen, es sei denn er hat damit Erfahrungen, zum Beispiel weil er bereits ein selbst zusammengestelltes DIY (Do it yourself)* benutzt
hat.
Wichtige Fakten, die vor der Auswahl eines AID-Systems besprochen werden müssen
Was die Diabetesteams auf jeden Fall einem MmD mit Interesse an einem AID-System vermitteln müssen ist das Vertrauen in die Technik. Ist dies nicht gegeben, so wird der Anwender immer verunsichert sein, wenn sich seine Glukosewerte weit außerhalb des Zielbereiches befinden. Das kann in bestimmten Situationen der Fall sein, zum Beispiel bei fiebrigen Erkrankungen, extremen Stress usw.
Generell ist zu beachten, dass auch mit einem AID und dessen Nutzung unter den unterschiedlichsten Alltagsbedingungen selten alle Glukosewerte dauerhaft im Zielbereich liegen werden. Auch mit einem AID liegt das Behandlungsziel in der Vermeidung akuter Komplikationen (schwere Hypoglykämien, diabetische Ketoazidosen) und diabetischer Folgeerkrankungen. Entsprechend eines Konsensus-Statements einer internationalen Expertengruppe bedeutet dies, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes (MmT1D) einen Anteil der Zeit im Glukosezielbereich von 70-180 mg/dl (3,9-10,0 mmol/l), die sogenannte "Time in Range" von mindestens 70% haben sollen. Dabei soll der Anteil der Zeit unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) <4% und unter 54 mg/dl (3,0 mmol/l) < 1% sein (Tabelle 1) [1].
Wenn solche Zielwerte erreicht werden, dann wird auch der Glukose-Management-Indikator um 7% und darunter liegen. Dieser entspricht in seiner Bedeutung und Größe näherungsweise dem HbA1c, errechnet sich aber aus dem Mittelwert der mit dem Glukosesensor gemessenen Glukosekonzentration. Das Erreichen der in Tabelle 1 aufgeführten Werte ist in der Breite eigentlich nur mit AID-Systemen möglich.
Weiterhin ist wichtig zu wissen, dass die aktuellen AID-Systeme Hybrid-Systeme sind, bei denen zumindest beim Mahlzeitenbolus ein manuelles Vorgehen erforderlich ist. Ein AID-System kann und wird den Betroffenen entlasten, aber nicht von seinem Diabetes befreien. Die Therapie mit einem AID ist keine technische Heilung! Folglich muss der Träger eines AID auch weiterhin die grundlegenden Therapieprinzipien beherrschen und anwenden. Das wird so bleiben, selbst wenn einmal ein Voll-AID-System verfügbar sein wird.
Schließlich sollte immer das Bewusstsein vorhanden sein, dass das bisherige "offene" Therapieregime der ICT oder der CSII nicht gültig ist, wenn sich das AID im automatischen Modus befindet. In diesem Modus ist der Kreislauf geschlossen, der sich in der Reihenfolge CGM-Glukosemessung → Algorithmus → Insulinabgabe immer wiederholt. Der Zeitabstand zum Durchlaufen dieses Kreislaufes beträgt zum Beispiel bei den Systemen von Medtronic fünf Minuten. Das heißt, nach dieser Zeit erfolgt die erneute Gabe des Insulins als Mikrobolus auf Grundlage des gerade gemessenen Glukosewertes. Für den Anwender heißt dies, dass er darauf vertrauen kann, dass in einem gewissen Augenblick nicht adäquat erscheinende Glukosewerte in dem geschlossenen Kreislauf immer wieder automatisch auf den eingestellten Zielwert reguliert werden.
Voraussetzungen für die erfolgreiche Einstellung und Nutzung eines AID
Anders als bei pädiatrischen MmD wird bei erwachsenen MmT1D die Einstellung auf ein AID nicht die Ersteinstellung auf die Insulintherapie sein. Es sollten deshalb gewisse grundlegende Erfahrungen bzw. Kenntnisse vorliegen. Dazu gehören [2-4]:
wie bei jedem MmT1D:
- Basiskenntnis zum Management des Nahrungsbolus, d.h. Schätzung der Kohlenhydrate, Kenntnis der tageszeitabhängigen Kohlenhydrat/Insulin-Faktoren, Nutzung eines Bolusrechners
- Korrekturregeln zur Abgabe eines Korrekturbolus im Fall erhöhter Glukosewerte
Kenntnisse zum Umgang mit der Insulinpumpe:
- Kenntnisse zum Tragen und Befestigen des Gerätes
- sichere Bedienung der Insulinpumpe
- Handhabung: Befüllen der Ampullen bzw. des Pods, Ampullenwechsel (falls relevant), Umgang und Wechsel des Infusionssets (falls gegeben)
- Kenntnis der "sicheren Basalrate"
- Kenntnisse zum Umgang mit dem CGM-System:
- Anlage des Glukosesensors
- Trageoptionen
- Kalibration (wenn erforderlich)
- Kenntnis und Handling von ggf. auftretenden Hautproblemen
- Dateninterpretation
Welches System für welchen Patienten?
Aktuell kann in Deutschland zwischen folgenden Systemen gewählt werden:
- Tandem t:slimTM X2 CONTROL-IQTM (Advanced Hybrid-AID)
- MiniMedTM 780G (Advanced Hybrid-AID)
- MiniMedTM 770G (Hybrid-AID)
- mylife Loop (mit mylife Ypsopump mit dem CAM APS FX -Algorithmus)
Aktuell noch nicht verfügbar, aber erwartet:
- Insulet OmniPod 5 (Hybrid-AID)
- ViCentra Kaleido mit dem DBLG1®-Algorithmus von Diabeloop (Advanced Hybrid-AID)
Die wichtigsten Merkmale der aktuell verfügbaren Systeme sind in Tabelle 2 zusammengestellt.
Aus einigen der Eigenschaften der AID-Systeme in Tabelle 2 lassen sich Empfehlungen für die Auswahl eines Systems ableiten. Beispielsweise ist nur das mylife Loop für kleine Kinder im Vorschulalter zugelassen. Die anderen Systeme haben dafür keine Zulassung. Bei der t:slim X2 CONTROL IQ lassen sich verschiedene Aktivitätslevel einstellen, was sicher für sportlich aktive MmD von Interesse ist. Weiterhin regelt die t:slim X2 im automatischen Modus eine einprogrammierte Basalrate bedarfsgerecht nach oben oder unten. Da sich mehrere Basalraten einprogrammieren lassen, kann in Sondersituationen auf eine ggf. günstige Rate umgestellt werden. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn plötzlich eine fiebrige Erkrankung eintritt. Bei den Systemen von Medtronic erfolgt dagegen die basale Insulinregulierung im Auto-Modus ausschließlich auf Grundlage der Glukosemesswerte. Die einprogrammierte Basalrate wird dabei nicht benutzt. Allerdings muss diese trotzdem möglichst subtil eingestellt sein. Einerseits nutzt diese der manuelle Modus, andererseits wären bei einer falsch eingestellten Basalrate auch die Kohlenhydrat/Insulinfaktoren nicht richtig. Letztere werden aber im Auto-Modus genutzt. Zu beachten ist auch, dass die zum Start des AID einzugebenden Daten eine Rolle spielen. Beispielsweise ermitteln die Systeme von Medtronic die Insulinempfindlichkeit über den Tagesinsulinbedarf und die für kurzwirksame Insulinanaloge bestehende 1800er Regel (eine Einheit Insulin senkt die Glukosekonzentration um x mg/dl, wenn 1800 durch den Tagesinsulinbedarf geteilt wird). Andere Systeme wie z.B. mylife Loop berechnen dies über das Körpergewicht.
Zur Hilfe für die Diabetesprofis existieren AID-Steckbriefe für jedes verfügbare System, erstellt in der Arbeitsgemeinschaft Diabetes-Technologie der DDG (AGDT) [5]. Dort sind alle wichtigen Details hinterlegt und zwar jene, die für die Anwendung entscheidend sind. Deshalb sind diese Steckbriefe eingeteilt in die Abschnitte Berechnung, Anpassung, Rückkehr (zum manuellen Modus), Schulung und Sensor. Für die praktische Anwendung ist das absolut umfassend.
Sicher lässt sich hinterfragen, wie die Algorithmen programmiert sind. Sie sind prinzipiell beschrieben worden, offerieren dabei aber auch nicht die konkrete Programmierung [6]. Es ist auch nicht so, dass sich dahinter eine besonders komplizierte Mathematik versteckt. Die verschiedenen Algorithmen sorgen zuverlässig für eine Glukoseregulation, die bessere Stoffwechselergebnisse garantiert ist als jede beliebige andere Form der Insulintherapie. Vor allem ist dabei der MmD entlastet bei meist optimaler Therapieführung, ohne dass dazu seine ständige Aufmerksamkeit benötigt wird.
Limitierungen
Unabhängig vom vorhandenen Vertrauen in ein AID sollten dem Anwender mögliche Limitierungen bewusst sein. Diese können bedingt sein durch die Insulinpumpe und das entsprechende Zubehör, das CGM, durch den Algorithmus und auch durch Anwendungsfehler.
Bezüglich der Insulinpumpen können Limitierungen auftreten, die von der CSII her bekannt sind. Dazu zählen technische Probleme der Insulinpumpe selbst. Technik kann auch ausfallen. Weiterhin können Probleme mit dem Infusionsset auftreten, wozu Lecks, Abknicken, Verstopfungen, eine fehlerhafte Ankopplung usw. zu zählen sind. Auch das Legen des Infusionsset in Lipodystrophien / Verhärtungen kann limitierend wirken. Schließlich können auch Probleme mit dem Reservoir auftreten (Undichtheiten, Luftblasen beim Befüllen usw.). Weiterhin können dem MmD Fehler bei der Handhabung, z.B. bei "blinder Bedienung" passieren. Eindeutig keine Limitierung stellt die Dosiergenauigkeit der Insulinpumpenmodelle dar. Außerdem werden Ungenauigkeiten bei der Insulindosierung im automatischen Modus des AID durch den Algorithmus nivelliert.
Bezüglich der Glukosemessung lässt sich feststellen, dass dessen Qualität und Genauigkeit für die automatische Insulinabgabe ausreichend ist. Die Glukosesensoren dürfen gegenüber Vergleichsmessungen maximal um 10% abweichen [7]. Allerdings kann die Glukosemessung ungenau sein durch eine fehlerhafte Kalibrierung: beim Guardian 3 von Medtronic sind 2-3 Kalibrierungen pro Tag notwendig, beim Guardian 4 eine Kalibrierung vor dem Start des Auto-Modus, beim Dexcom G6 ist eine Kalibrierung optional möglich. Ein falsch kalibrierter oder generell falsch messender Glukosesensor kann eine wirkliche Limitierung sein, hängt doch von der Präzision seiner Messung die Insulinabgabe ab. Aus diesem Grund sind gelegentliche Vergleichsmessungen des Blutzuckers in einer stabilen Glukosesituation nach wie vor relevant.
Wenn bei der Hardware Limitierungen auftreten können, die auch von den Einzelkomponenten her bekannt sind, so sind diese beim Algorithmus spezifisch für das AID. Grundsätzlich ist zwar erst einmal festzustellen, dass alle Algorithmen gut getestet und sicher sind. Limitierungen können aber durch extreme Situationen bedingt sein Die meisten Algorithmen "lernen" aus der bisher erfolgten Insulinabgabe. So berechnen einige Systeme die aktuelle Insulinempfindlichkeit auf Grundlage des Tagesinsulinbedarfs der letzten Tage, also dessen Durchschnittswert. Bei extremem Stress, Bettlägerigkeit, kurzzeitige Einnahme von Cortison etc. treffen diese Durchschnittswerte aber nicht mehr zu. Ein Hybrid-AID kommt da möglicherweise an seine Grenze. Ein Advanced-Hybrid-AID kann das allerdings durch automatische Korrekturboli ausgleichen.
Zusammenfassung
Mit H-AID- und AH-AID-Systemen werden Glukosedaten erreicht, die mit bisherigen Insulintherapien in der Breite niemals denkbar waren. Das verringert enorm das Risiko für akute diabetische Komplikationen und diabetische Folgeerkrankungen. Alle AID-Systeme sind als sicher einzuschätzen. Die Wahl eines Systems durch die MmD entspricht eher ihrer persönlichen Bevorzugung. Auch die Beratung durch das Diabetesteam spielt eine Rolle. Die klinischen Ergebnisse zwischen den verschiedenen Systemen sind weitgehend vergleichbar. Obwohl die AID-Systeme durch das teilweise automatische Therapiemanagement die MmD stark entlasten, müssen diese guten Kenntnisse über dessen Anwendung besitzen. Die Limitierungen der Systeme entsprechen eher den von der "traditionellen Technik" her bekannten.
*MmD, die selbst zusammengestellte AID-Systeme nutzen, bilden die sogenannte DIY-Community. Sie werden auch als "Looper" bezeichnet.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (9) Seite 17-21
