Schutz: Zentraler Punkt in der Diabetesforschung ist der Schutz der Betazellen. Diese Zellen sind in der Lage, Insulin zu produzieren. Am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) arbeitet die Beta Cell Academy mit Expertinnen und Experten aus der Grundlagenforschung, klinischen Forschung und dem IT-Bereich an Verfahren, um Betazellen besser zu schützen.
Die Entstehungsprozesse des Diabetes sind vielschichtig und komplex. Doch bei allen Formen der Erkrankung kommt es letztlich zu einem teilweisen oder vollständigen Funktionsausfall der insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse.
Der Schutz und die Regeneration der Betazellen ist deshalb ein zentraler Punkt in der Diabetesforschung. Nur sie sind in der Lage, das für die Blutzuckersenkung notwendige Insulin zu produzieren. Bei Typ-1-Diabetes sowie im fortgeschrittenen Stadium des Typ-2-Diabetes verschwinden oder funktionieren die Betazellen jedoch nicht mehr. Eine Möglichkeit, den Verlust der Betazellen aufzuhalten oder umzukehren, gibt es bislang nicht.
Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) arbeitet in der Beta Cell Academy mit Expertinnen und Experten aus der Grundlagenforschung, klinischen Forschung und dem IT-Bereich an Verfahren, um Betazellen besser zu schützen, sie wiederherzustellen oder zu ersetzen.
Einzigartige Biobank für pankreatisches Gewebe
Pankreatisches Gewebe und andere biologische Proben, etwa Blut oder Urin, spielen eine große Rolle in der Diabetesforschung. Ihre Analyse erlaubt es, die der Pathogenese des Typ-2-Diabetes zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen. Gesammelt werden die Bioproben in den DZD-Biobanken. Einzigartig unter ihnen ist die so genannte Human Islet Biobank, die DZD-Forscher Prof. Michele Solimena vom Paul-Langerhans-Institut Dresden (PLID) in enger Zusammenarbeit mit den chirurgischen Abteilungen der Universitätskliniken in Dresden, sowie den DZD-Partnern in Tübingen und Düsseldorf aufbaut.
Ein Großteil der Gewebeproben aus Biobanken, mit denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, stammt üblicherweise von verstorbenen Organspendern. Für diese Art von Proben fehlen aber die für die zelluläre Forschung wichtigen Informationen über die verstorbenen Spenderinnen und Spender – sei es die gesundheitliche Vorgeschichte, eingenommene Medikamente oder verschiedene Blutwerte. Die in der Human Islet Biobank eingelagerten Bioproben stammen dagegen von lebenden Spenderinnen und Spendern, denen zum Beispiel aufgrund einer Pankreatitis oder eines Pankreaskarzinoms Teile der Bauchspeicheldrüse entfernt wurden.
Frühzeitige Funktionsstörung der Betazellen nachgewiesen
Der große Vorteil für die Forschung ist, dass für diese Bioproben wichtige Informationen zu den Spenderinnen und Spendern, wie beispielsweise die Funktion der Zellen, zur Verfügung stehen. Mittlerweile enthält die Biobank mehr als 15.000 Bioproben von rund 900 Personen [Serafimidis 2008, Solimena 2017, Barovic 2019, Gloyn 2022]. Unter anderem mit Hilfe von Proben dieser Biobank konnte das DZD erstmals zeigen, dass sich bereits in einer frühen Phase des Typ-2-Diabetes die Funktion der insulinproduzierenden Betazellen verschlechtert. Das deutet darauf hin, dass eine Funktionsstörung der Betazellen eines der ersten Merkmale der Diabetesentwicklung ist [Wigger 2021].
Frühe epigenetische Marker
Zur Identifizierung von Markern, die ein Risiko für eine spätere Diabeteserkrankung anzeigen, hat das Team um Prof. Annette Schürmann zusammen mit dem von Prof. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung einen translationalen Ansatz verfolgt. Noch vor dem Auftreten erhöhter Blutzuckerwerte untersuchten sie bei Mäusen, die genetisch identisch, aber bezüglich ihrer Diabetesentwicklung unterschiedlich waren, das Expressions- und DNA-Methylierungsmuster der Zellen in den Langerhans-Inseln. Die Gene, die aufgrund veränderter DNA-Methylierung in ihrer Aktivität beeinflusst waren, analysierten sie dann in Blutzellen von etwa 500 Teilnehmenden der EPIC-Potsdam Studie. Hierbei handelt es sich um eine prospektive Studie, in der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer aus der Allgemeinbevölkerung alle fünf Jahre befragt und untersucht werden. Es zeigte sich, dass etwa 100 Gene, die in der Maus epigenetische Veränderungen aufwiesen, auch beim Menschen ca. 4-5 Jahre vor der Diabetesdiagnose Unterschiede zeigten. Solche Kandidaten könnten als Marker für die Einschätzung des Typ-2-Diabetes Risiko verwendet werden [Ouni 2020].
Wirkstoffe zum Schutz der Betazelle in der Entwicklung
Untersuchungen von Prof. Eckhard Lammert am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) zeigten, dass das bekannte Hustenmittel Dextromethorphan die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse schützen und den Blutzucker senken kann. Das DZD arbeitet nun daran, dass die Blut-Hirn-Schranke überschreitende Dextromethorphan so zu verändern, dass es antidiabetisch und Betazell-protektiv wirkt, ohne das zentrale Nervensystem zu beeinflussen [Scholz 2021].
Als effektiv zur Verbesserung der Betazellenfunktion erwies sich aber auch die Gabe eines Konjugats aus Glukagon-ähnlichem Peptid-1 (GLP-1), Östrogen und einem langwirkenden Insulin. Damit konnten bessere Erfolge als bei einer Behandlung mit den einzelnen Wirkstoffen erzielt werden. Es führte zu einer Normalisierung des Blutzuckerspiegels und der Glukosetoleranz, aber auch zu einer Erhöhung der Anzahl an Betazellen und damit auch des Insulingehalts in der Bauchspeicheldrüse [Schwenk 2015, Sachs 2020].
"Inceptor" als neuer Angriffspunkt für Therapien
Und noch eine dritte Option zur medikamentösen Verbesserung der Betazellfunktion könnte sich aus der Forschung am DZD ergeben: Forschende um Prof. Heiko Lickert vom Institut für Diabetes- und Regenerationsforschung von Helmholtz Munich haben einen bisher unbekannten Rezeptor entdeckt, den Insulin-inhibitorischen Rezeptor "Inceptor". In Experimenten mit Mäusen zeigte sich, dass Inceptor die insulinproduzierenden Betazellen vor der Aktivierung des Insulinsignalweges abschirmt. Besonders auffallend dabei war, dass Inceptor bei Diabetes hochreguliert ist – also in einer größeren Anzahl vorkommt. Dies lässt darauf schließen, dass die Blockade des Insulinsignals durch Inceptor eine Rolle für die Insulinresistenz spielt. Schalteten die Forschenden Inceptor in den Betazellen mithilfe monoklonaler Antikörper aus, stieg sowohl die Insulinsignalstärke als auch die Menge funktionaler Betazellen an. Inceptor ist daher ein vielversprechender Angriffspunkt, um die eigentliche Ursache von Diabetes, den Verlust und die Fehlfunktion der Betazellen, zu behandeln [Ansarullah 2021, Jain 2022].
Verloren gegangene Betazellen ersetzen
Ein weiterer Ansatz, den die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZD verfolgen, ist der Ersatz der bei Diabetes verloren gegangenen Betazellen, um so die körpereigene Insulinproduktion wiederherzustellen. Eine Möglichkeit dies zu erreichen, ist die Transplantation einer funktionsfähigen Bauchspeicheldrüse beziehungsweise deren Inselzellen. Doch der große Mangel an Spenderorganen und die Notwendigkeit einer dauerhaften Immunsuppression begrenzen das Potenzial dieses Therapieansatzes. Forschende des DZD arbeiten deswegen auch an der Entwicklung einer künstlichen Bauchspeicheldrüse, die gesunde funktionale Inselzellen enthält, die selbstständig den Blutzuckerspiegel messen und passgenau Insulin produzieren.
- Prävention des Typ-2-Diabetes
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- Ursachen und Behandlung der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung
- Insulinwirkung und -resistenz im Gehirn
- Schutz und Regeneration von Beta- und Inselzellen
- Typ-1-Diabetes – Autoimmunerkrankung vermeiden (hier könnte es einen Verweis auf den Artikel zu T1D geben)
Neue Zellen aus Stammzellen
Eine alternative Quelle für insulinproduzierende Betazellen, mit der sich der Organmangel umgehen ließe, sind Stammzellen. DZD-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler um Prof. Anthony Gavalas (PLID), Prof. Henrik Semb und Prof. Heiko Lickert (beide Helmholtz Munich) ist es gelungen, aus pluripotenten Stammzellen insulinproduzierende betazellähnliche Zellen zu generieren. In den Körper von Patientinnen und Patienten mit Typ-1-Diabetes transplantiert, sollen sie dort das lebensnotwendige Insulin produzieren. Dabei stießen die Forschenden allerdings auf eine Schwierigkeit: In der Suspension der insulinproduzierenden betazellähnliche Zellen befinden sich auch immer noch einige nicht ausdifferenzierte Stammzellen. Diese dürfen nicht in den Körper der Patientinnen und Patienten gelangen, da sie unter Umständen durch unkontrolliertes Wachstum das Risiko für die Entstehung von Krebs erhöhen könnten [Ameri 2017, Mahaddalkar 2020, Siehler 2021].
Zellen implantieren
Die Forschungsgruppe um Prof. Barbara Ludwig und Prof. Stefan Bornstein am PLID umgeht dieses Problem mit einem Trick: Sie haben eine Kapsel entwickelt, in die die Betazellen eingeschlossen werden können. Unter die Bauchdecke transplantiert, erlaubt dieser Bioreaktor über eine semipermeable Membran das Austreten von Insulin. Doch die Zellen selbst gelangen nicht in den Organismus. Dies hat auch den Vorteil, dass die transplantierten betazellähnlichen Zellen nicht vom Immunsystem attackiert werden können. Auf diese Weise benötigt die Patientin oder der Patient keine dauerhafte Immunsuppression [Ludwig 2013, Ludwig 2017, Podcast Ludwig]. Erste klinische Studien, in denen die Transplantation von verkapselten Stammzellen untersucht werden soll, sind bereits geplant.
Neue Pankreaszellen vom Schwein?
Ein weiterer Vorteil des Bioreaktors: Er könnte künftig nicht nur mit insulinproduzierenden betazellähnlichen Zellen befüllt werden, die aus menschlichen Stammzellen generiert wurden. Auch die Transplantation von Langerhans-Inseln aus Schweinen könnte damit möglich werden. Eine DZD-Arbeitsgruppe um Prof. Eckhart Wolf von der Ludwig-Maximilians-Universität München hat dafür Schweine gezüchtet, die humanisiert wurden, um das menschliche Immunsystem weniger zu reizen. Dieser Therapieansatz ist die modernisierte Version eines eigentlich altbekannten Weges, um Menschen mit Diabetes mit Insulin zu versorgen. Denn vor der heute üblichen rekombinanten Herstellung von Insulin wurde dieses aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen gewonnen [Buerck 2017].
Fazit
Der Diabetes ist heute eine chronische Erkrankung, mit der die Betroffenen bei optimaler Behandlung gut leben können. Dennoch müssen sie lebenslang ihre Ernährung im Auge behalten, zu gegebener Zeit Medikamente einnehmen und in vielen Fällen auch Insulin spritzen. Letztlich können nur die Symptome der Stoffwechselkrankheit behandelt werden. Die Forscherinnen und Forscher am DZD aber haben sich zum Ziel gesetzt, Präventions- und Therapieoptionen zu finden, die die Ursachen des Diabetes beheben können.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 10-14