Typ-1-Diabetes: Wird Typ-1-Diabetes zu spät festgestellt, ist meist eine intensivmedizinische Betreuung nötig. Umso wichtiger ist, dass Forschungen betrieben werden, die Erkrankung rechtzeitig zu entdecken oder gar zu vermeiden.

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland erkranken an Typ-1-Diabetes – einer Autoimmunerkrankung, die sich im Verlauf zu einer chronischen Stoffwechselerkrankung entwickelt. Meist wird die Diagnose Typ-1-Diabetes erst gestellt, wenn bereits schwerwiegende Symptome auftreten. Im schlimmsten Fall benötigen Betroffene dann eine intensivmedizinische Behandlung und erleben die klinische Manifestation der Erkrankung als traumatisierendes Ereignis. Früherkennungsprogramme wie die Fr1da-Studie ermöglichen einen sanften Einstieg in die Erkrankung. Zudem ist eine frühe Diagnose der Autoimmunerkrankung notwendige Voraussetzung für den Einsatz neuer Therapeutika, die den Beginn der Stoffwechselerkrankung verzögern könnten.

Typ-1-Diabetes erkennen, bevor Symptome auftreten

Müdigkeit und Konzentrationsschwäche, extremes Durstgefühl, häufiger Harndrang und Gewichtsabnahme: treten diese Symptome auf, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit Diabetes vor. Bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich dabei meist um Typ-1-Diabetes, verursacht durch die autoimmunvermittelte Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Vier von 1 000 Kindern in Deutschland entwickeln die bisher unheilbare Erkrankung vor ihrem 20. Lebensjahr. Die Diagnose trifft die meisten Familien sehr überraschend: Bei fast 90 Prozent der Kinder liegt kein familiärer Hintergrund für die Erkrankung vor. Treten die oben genannten Symptome auf, ist der Autoimmunprozess bereits so weit fortgeschritten, dass die Betazellen nicht mehr ausreichend Insulin bilden und der Blutzuckerspiegel auf pathologische Werte ansteigt. Doch Typ-1-Diabetes kann schon lange vor Entwicklung der typischen Symptome erkannt werden.

Typ-1-Diabetes wird in 3 Stadien eingeteilt. In Stadium 1 ist die Autoimmunerkrankung im Blut nachweisbar, die Blutzuckerregulation ist noch normal. In Stadium 2 liegt zusätzlich zum Autoimmunprozess bereits eine Dysglykämie vor, also eine abnormale Glukosetoleranz. Stadium 3 bezeichnet den Beginn der klinisch-manifesten Stoffwechselerkrankung: Der Blutzucker ist dauerhaft hoch (Hyperglykämie) und die Patient:innen werden insulinpflichtig. Erst in Stadium 3 treten die oben genannten typischen Symptome auf, weshalb ein Typ-1-Diabetes häufig lange Zeit unentdeckt bleibt und viel zu oft erst im kritischen Zustand diagnostiziert wird.

Die Fr1da-Studie bietet seit 2015 am Helmholtz Munich in Kooperation mit Kinderarztpraxen das weltweit größte öffentliche Gesundheitsscreening-Programm zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes an. Anhand weniger Blutstropfen werden Kinder im Alter von 2-10 Jahren auf das Vorliegen bestimmter Autoantikörper im Blut getestet. Diese sogenannten Inselautoantikörper zeigen eine Autoimmunreaktion gegen die Betazellen an (siehe Infokasten). Bei noch symptomlosen Kindern, die 2 und mehr verschiedene Inselautoantikörper-Typen im Blut aufweisen, liegt bereits ein Typ-1-Diabetes im Frühstadium vor.

In der Fr1da-Studie zeigt sich, dass der Autoimmunprozess schon Monate bis Jahre vor der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes (Stadium 3) bestehen kann. Der Nachweis von Inselautoantikörpern in Kombination mit weiteren metabolischen Markern ermöglicht eine Prognose zum Voranschreiten der Autoimmunerkrankung und dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Manifestation der Stoffwechselerkrankung. Bisher haben über 180 000 Kinder am Inselautoantikörper-Screening der Fr1da-Studie teilgenommen, das derzeit in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg angeboten wird. Bundesweit können Kinder an der Untersuchung teilnehmen, wenn sie mindestens einen nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes haben.

Inselautoantikörper bei Typ-1-Diabetes
Zu den mit Typ-1-Diabetes assoziierten Inselautoantikörpern zählen: Insulin Autoantikörper (IAA), Glutamatdecarboxylase Autoantikörper (GADA), Insulinom-assoziiertes Antigen-2 Autoantikörper (IA-2A) und Zink-Transporter-8 Autoantikörper (ZnT8A).Sind 2 und mehr verschiedene Inselautoantikörper-Typen im Blut nachweisbar, liegt bereits ein Typ-1-Diabetes im Frühstadium vor, auch wenn der Blutzucker noch normal ist.

Eine Diagnose im Frühstadium hat viele Vorteile

Bei jeweils 3 von 1000 untersuchten Kindern (0,3 Prozent) wird in der Fr1da-Studie ein Typ-1-Diabetes im Frühstadium diagnostiziert. Betroffene Familien werden dann geschult und metabolische Parameter der Kinder werden in Abständen von 3 bis 12 Monaten kontrolliert. Durch diese regelmäßigen Stoffwechseluntersuchungen wird ein rechtzeitiger Beginn der Insulintherapie ermöglicht. Dadurch wird die Anzahl schwerer Stoffwechselentgleisungen mit diabetischer Ketoazidose (DKA) drastisch reduziert. In Deutschland liegt bei über 20 Prozent der Kinder, die einen klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes (Stadium 3) entwickeln, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine DKA vor. Während der Covid19-Pandemie hat die DKA-Rate in Deutschland zudem stark zugenommen: sie lag im Jahr 2020 bei über 40 Prozent. Bei den Kindern, die in der Fr1da-Studie mit einem Typ-1-Diabetes-Frühstadium am Schulungs- und Monitorprogramm teilnahmen, trat dagegen nur in etwa 2 Prozent der Fälle zum Zeitpunkt der klinischen Manifestation eine DKA auf.

In mehreren Studien konnte bereits gezeigt werden, dass die Vermeidung einer DKA zu Beginn der Stoffwechselerkrankung mit einer verbesserten Betazellfunktion (C-Peptid-Werte) und auf lange Sicht mit einer verbesserten Blutzuckereinstellung (HbA1c-Werte) einhergeht. Darüber hinaus werden möglichen DKA-bedingten Schädigungen des Gehirns mit bleibenden kognitiven Defiziten vorgebeugt. Kinder in der Fr1da-Studie hatten zum Zeitpunkt der Diagnose des Typ-1-Diabetes Stadium 3 eine besser erhaltene Betazellfunktion und einen milderen Beginn der Stoffwechselerkrankung als Kinder, die ohne vorher bekanntes Frühstadium den klinischen Typ-1-Diabetes entwickelten. Langfristig kann dies einen großen Vorteil für die Kinder und ihre Familien bedeuten. Denn eine verbesserte Restfunktion der Betazelle und die damit verbundene verbesserte Langzeitregulation des Blutzuckers tragen zur Vermeidung von diabetischen Folgeerkrankungen an Niere, Augen oder Nerven bei. Zudem war die klinische Manifestation bei Eltern von Fr1da-Kindern mit weniger Stress und psychischer Belastung verbunden.

Im Hinblick auf aktuelle therapeutische Entwicklungen bekommt die Früherkennung von Typ-1-Diabetes noch einen größeren Stellenwert für das Gesundheitssystem. Neue Medikamente ermöglichen erstmals, in den Autoimmunprozess einzugreifen, der der Stoffwechselerkrankung zugrunde liegt. Dass in den nächsten Jahren mit Entwicklungen zur Prävention und Verzögerung von Typ-1-Diabetes zu rechnen ist, zeigt unter anderem die kürzliche Zulassung des Immuntherapeutikums Teplizumab in den USA.

Typ-1 Diabetes hinauszögern durch Immuntherapie – neues Medikament in USA zugelassen

Das Ziel von Ansätzen zur Verhinderung und Verzögerung von Typ-1-Diabetes ist es, die Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen durch das körpereigene Immunsystem aufzuhalten. In den USA wurde mit Teplizumab der erste Wirkstoff zur Behandlung des Typ-1-Diabetes im Frühstadium (Stadium 2) ab dem Alter von 8 Jahren zugelassen. Teplizumab ist ein monoklonaler anti-CD3-Antikörper, der sich gegen aktivierte T-Lymphozyten richtet, die den Oberflächenmarker CD3 aufweisen. Dadurch werden auch jene T-Zellen unterdrückt, die sich gegen die Betazellen der Bauspeicheldrüse richten. Gleichzeitig steigt der relative Anteil an regulatorischen T-Zellen, die einer Autoimmunreaktion entgegenwirken. So wird der Inselautoimmunprozess eingedämmt und die Funktion der Betazellen kann länger erhalten bleiben. Es konnte gezeigt werden, dass eine Behandlung mit Teplizumab das Voranschreiten des Typ-1-Diabetes von Stadium 2 zu Stadium 3 um durchschnittlich etwa 2-3 Jahre verzögert. Das Medikament wird einmal täglich an 14 aufeinanderfolgenden Tagen als Kurzzeitinfusion in die Vene verabreicht und zeigte in klinischen Studien ein gutes Sicherheitsprofil.

Fr1da-Studie
Die Fr1da-Studie ist ein Projekt zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes. Seit 2015 untersucht die Studie Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren auf ein Frühstadium von Typ-1-Diabetes. Aktuell wird die Studie in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg angeboten. Zudem können deutschlandweit Verwandte von Personen mit Typ-1-Diabetes im Alter von 1-21 Jahren teilnehmen. Für den Test reichen wenige Blutstropfen aus und eine Probe kann im Rahmen der U-Untersuchung in der Kinderarztpraxis abgegeben werden. Als Biomarker werden bestimmte Inselautoantikörper im Blut der Kinder gemessen. Sprechen Sie ihre Kinderarztpraxis auf die Fr1da-Studie an und erfahren Sie mehr auf www.fr1da.de.

Blutdrucksenker macht Hoffnung bei Typ-1-Diabetes – Verapamil für Erhalt der Betazellfunktion?

Eine kürzlich erschienene US-amerikanische Studie bringt ein weiteres Medikament für die Behandlung von Typ-1-Diabetes ins Spiel: Hier konnten die Forschenden zeigen, dass die Einnahme von Verapamil die Funktion der Betazellen von Kindern und Jugendlichen erhalten kann. Der Kalziumkanalblocker Verapamil kommt in der Behandlung von Herzrhythmusstörungen, Herz-Krankheiten und bei Bluthochdruck zum Einsatz. Neben der Wirkung als Kalziumkanalblocker reduziert Verapamil auch die zelluläre Expression des sogenannten Thioredoxin-interagierenden Proteins. Dieses Protein ist maßgeblich am Zelltod der insulinproduzierenden Betazellen beteiligt. Darum vermuteten Forschende, dass Verapamil möglicherweise protektiv zum Erhalt der Betazellen bei bereits klinisch manifestem Typ-1-Diabetes (Stadium 3) beitragen könnte.

In einer Studie mit Erwachsenen konnte gezeigt werden, dass die tägliche Einnahme von Verapamil während des ersten Jahres nach Diagnosestellung die Restfunktion der Betazellen (C-Peptid-Spiegel) verbessert. Die aktuelle Studie untersuchte nun, ob Verapamil auch bei Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostiziertem Stadium 3 Typ-1-Diabetes die Betazellfunktion verbessern kann. Dazu erhielten 88 Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren nach Diagnosestellung über ein Jahr hinweg einmal täglich Verapamil oder ein Placebo zusätzlich zur Insulintherapie. Die Studie lieferte vielversprechende Ergebnisse: In der Verapamil-behandelten Gruppe wurde ein verbesserter Erhalt der C-Peptid-Spiegel beobachtet. Weitere Studien sind jedoch notwendig, um die optimale Anwendung von Verapamil zu ermitteln sowie potentielle Nebenwirkungen auszuschließen. Sollte sich der Nutzen des Wirkstoffs in der Therapie von Typ-1-Diabetes bestätigen, könnte Verapamil zukünftig als kostengünstige adjuvante Behandlung zusammen mit Insulintherapie dienen. Zudem könnte es immuntherapeutische Ansätze ergänzen.

Fazit

Neue Therapien zur Verzögerung der Progression von Typ-1-Diabetes im Stadium 2 und Stadium 3 könnten bald auch in Europa für die klinische Anwendung verfügbar werden. Damit Betroffene zukünftig von präventiven Therapien wie Teplizumab profitieren können, sind flächendeckende Strukturen zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes notwendig. Auch unabhängig von präventiven Therapien zeigen Programme wie die Fr1da-Studie, dass eine Diagnose im Frühstadium der Autoimmunerkrankung, gefolgt von einem Schulungs- und Monitorprogramm, mit klinischem Nutzen für die Patient:innen sowohl zu Beginn als auch im Verlauf der chronischen Stoffwechselerkrankung verbunden ist. Im Hinblick auf die steigende Inzidenz von Typ-1-Diabetes, die Gefahren einer DKA bei klinischer Manifestation und neuer therapeutischer Möglichkeiten sollte ein Inselautoantikörper-Screening für Kinder im Rahmen der Regelversorgung angeboten werden können.


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Kontakt:
Lena Schwenker, M. Sc.
Helmholtz Munich Institut für Diabetesforschung
Heidemannstraße 1
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Kontakt:
Prof. Dr. Peter Achenbach
Helmholtz Munich Institut für Diabetesforschung
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 16-21