Der Klimawandel macht auch vor der Diabetologie nicht halt. So sind Patienten mit Diabetes ebenso wie die übrige Bevölkerung von den mannigfaltigen gesundheitlichen Folgen des Klimawandels betroffen. Mehr noch, sie gelten explizit als besonders vulnerable Risikogruppe. Warum dies so ist, erläutert unsere Serie "Klimawandel und Diabetes", hier der erste Teil.
Der Klimawandel ist ein medizinischer Notfall [1]. Er stellt die Menschheit vor die wohl größte Herausforderung der Zukunft. Die rasanten klimatischen Veränderungen zeigen bereits jetzt massive und komplexe Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Gesundheit. Personen mit Diabetes zählen neben anderen gesundheitlich Beeinträchtigten, Älteren und Kindern hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zu den wichtigsten Risikogruppen [2].
Ab dieser Ausgabe der Zeitschrift diabetes-forum wird dem Klimawandel deswegen eine Artikelserie gewidmet. Als Einstieg in die Thematik wird in dem hier vorliegenden ersten Beitrag zu dieser Serie das gesamte Spektrum gesundheitsrelevanter Folgen des Klimawandels skizziert und systematisiert. In den nächsten Ausgaben folgen dann Beiträge zu spezifischen diabetologischen Aspekten und zu Möglichkeiten für den Klimaschutz in der Diabetologie.
Hauptrisiko Hitze
In den Medien wird der Klimawandel vor allem als Anstieg der globalen Jahresdurchschnittstemperatur thematisiert. In Deutschland etwa ist diese in den letzten 140 Jahren um etwa 1,6 °C gestiegen. Hierzulande wird bis Mitte des Jahrhunderts ein weiterer Anstieg um +1 bis +3 °C und bis Ende des Jahrhunderts um +2 bis +4 °C prognostiziert. Für die Gesundheit der Bevölkerung im Allgemeinen und insbesondere der Risikogruppe der Personen mit Diabetes wesentlich bedeutsamer als ein höheres Jahresmittel ist allerdings die absehbare Zunahme, Ausprägung und Dauer von kurz- bis mittelfristigen Hitzewellen. Es wird prognostiziert, dass sich in Deutschland die Zahl sogenannter "heißer Tage" mit Temperaturen von über 30 °C bis zum Ende dieses Jahrhunderts verdreifachen wird und Tal- und Kessellagen von Hitzewellen besonders betroffen sein werden [3].
Höhere Außentemperaturen belasten das Herz-Kreislauf-System, das Atmungssystem und den Stoffwechsel [4]. Grundsätzlich erhöht Hitze die Gefahr einer Dehydrierung, wenn der erhöhte Flüssigkeitsbedarf nicht rechtzeitig und ausreichend gedeckt wird. Ist der Körper durch Überhitzung dehydriert oder gar exsikkiert, steigt das Risiko für Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Herzrhythmusstörungen deutlich. Wenngleich die Körperkerntemperatur nicht direkt von der Außentemperatur abhängt, ist die Thermoregulation insbesondere bei körperlicher Belastung (wie Sport oder körperlicher Arbeit), gleichzeitig hoher Außentemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit gefährdet. Da eine hohe Luftfeuchtigkeit die Schweißabgabe behindert, verbleibt die Hitze im Körper und erhöht die Körperkerntemperatur [5]. Ohne intakte Hitzebalance kann die Thermoregulation des Körpers entgleisen und zu einer akuten Notfallsituation führen. Typische gesundheitliche Folgen einer Hyperthermie sind Hitzschlag, Hitzekollaps, Hitzeerschöpfung und Hitzekrämpfe. Neben einer beruflich bedingten Freiluftexposition (etwa bei Außenbeschäftigten) hängt die individuelle Vulnerabilität zusätzlich vom Alter (Kinder, Ältere) und von Vorerkrankungen (Personen mit Diabetes, multimorbide Personen mit einem geschwächten Thermoregulationssystem oder mit chronischen kardiovaskulären Erkrankungen) ab. So können sich bereits bestehende Vorerkrankungen durch Temperaturextreme verschlimmern. Der gesunde menschliche Körper reagiert auf derartige thermophysiologische Belastungen mit einer Akklimatisation, indem das Plasmavolumen zunimmt, die Schweißproduktion eher einsetzt und die Schweißrate ansteigt [5]. Zur Akklimatisation ist aber typischerweise ein Zeitraum erforderlich, der die Dauer der meisten hiesigen Hitzewellen übertrifft.
Damit sind die grundsätzlichen gesundheitlichen Folgen langandauernder Hitzeexposition zumindest ansatzweise beschrieben. Die ganz spezifischen Folgen für Patienten mit Diabetes werden gegen Ende dieses Beitrages kurz angerissen und in der nächsten Ausgabe dieser Zeitschrift dann ausführlich thematisiert.
UV-Strahlung und Extremwetter als weitere direkte Risiken
Der absehbare Temperaturanstieg ist aber nur eine Folge des Klimawandels. Als weitere direkte Folge dürfte der Klimawandel für breite Bevölkerungsschichten die Menge an individuell aufgenommener ultravioletter Strahlung (die sog. UV-Exposition) mindestens aus drei Gründen erhöhen: Erstens führt der durch Treibhausgase verursachte anhaltende Abbau der stratosphärischen Ozonschicht durch sog. Ozonlöcher zu einer Zunahme der bodennahen UV-B-Strahlung. Zweitens erhöht sich im Zuge des Klimawandels die Zahl sonniger Tage. Und drittens dürfte aufgrund milderer Winter die Aufenthaltsdauer im Freien insgesamt zunehmen [6]. Abgesehen von einer besseren Vitamin-D3-Synthese als die einzig bekannte positive Wirkung umfassen die akuten Folgen einer übermäßigen, ungeschützten UV-Exposition vor allem das UV-Erythem (Sonnenbrand) sowie allergisch oder phototoxisch bedingte Photodermatosen (polymorphe Lichtdermatose). Als chronische Folgen einer langjährigen UV-Exposition können aktinische Keratosen, maligne Melanome und nichtmelanozytärer Hautkrebs (Basalzellkarzinome, Plattenepithelkarzinome, sog. "weißer Hautkrebs") entstehen [7]. Darüber hinaus forciert eine verstärkte bzw. häufigere Exposition gegenüber UV-Strahlung die Lichtalterung der Haut (Photoaging) und sowohl lokal begrenzt als auch systemisch eine Unterdrückung des Immunsystems.
Neben Hitzewellen und erhöhter UV-Exposition ist eine Beschleunigung des Wasserkreislaufes mitsamt einer Erhöhung der Niederschlagsmengen die dritte direkte Folge des Klimawandels. Diese verteilt sich allerdings nicht gleichmäßig über das Jahr. Vielmehr werden sich vermehrte Niederschläge in den Winterhalbjahren als mehr Regen und weniger Schnee zeigen, während im Sommer dagegen mehr Sonnentage und akute Starkregenereignisse auftreten werden. Demzufolge werden – teils mit starken regionalen Unterschieden – mehr sommerliche Dürren, Brände, Flusshochwasser und Sturmfluten erwartet. Nicht nur die Flutkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt, dass in der Folge neben Todesopfern und Verletzten auch traumatisierte Personen und Schäden an der Infrastruktur zurückbleiben. Aus medizinischer Sicht kommen bei Hochwasserereignissen gesundheitliche Sekundärrisiken, etwa während der anschließenden Aufräumarbeiten durch schadstoff- und keimbelastete Wasser- und Schlammmassen hinzu. In Bergregionen führen u.a. abtauende Gletscher- und Permafrostgebiete zu Murenabgängen, Felsstürzen, Gletscherspalten und Lawinen als immer schwieriger kalkulierbare Risiken [8].
Luftbelastung und Infektionen als indirekte Risiken
Der Klimawandel hat neben direkten Effekten auch mannigfaltige indirekte Effekte auf unsere Gesundheit.
So kommt es im Zuge der milderen Witterung zu einem früheren Beginn und zu einem späteren Ende des Pollenflugs. Neben dieser Spreizung der Pollensaison führen steigende Temperaturen, Regenmengen und CO2-Anteile in der Luft (sog. CO2-Düngeeffekt) auch zu höheren Pollenkonzentrationen und –allergenitäten [9]. Die klimatischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte begünstigen außerdem tierische Allergenproduzenten wie den Eichenprozessionsspinner und gebietsfremde Arten (sog. Neophyten) mit allergenem Potenzial. Neben dem Götterbaum, dem Glaskraut und dem Olivenbaum ist in diesem Zusammenhang vor allem die hoch allergene beifußblättrige Ambrosia zu nennen. All dies dürfte künftig zu häufigeren und stärkeren Sensibilisierungen in der Bevölkerung führen.
Darüber hinaus beeinträchtigt der Klimawandel durch höhere Ozon- und Feinstaubwerte die Qualität unserer Atemluft. So sind zwar in den letzten Jahrzehnten die Spitzenbelastungen durch das Reizgas Ozon zurückgegangen, die mittlere Belastung ist aber hierzulande weiter angestiegen. Die prognostizierte Zunahme stabiler Hochdruckwetterlagen, höhere Durchschnittstemperaturen sowie Perioden extremer Hitze begünstigen diese Entwicklung. Ozon führt – intraindividuell höchst unterschiedlich – zu Entzündungsprozessen, Schleimhautreizungen, Husten, Müdigkeit und reduzierter Leistungsfähigkeit.
Auch die Belastung durch Feinstaub wird durch Klimawandel spezifische Wetterlagen begünstigt. Trotz in den letzten Jahren abnehmender Durchschnittswerte könnten Hitzewellen, Dürren, Vegetationsbrände und Inversionswetterlagen temporär zu deutlichen Feinstaubbelastungen führen. Ultrafeine Partikel (Nanopartikel) dringen bis zu den gasaustauschenden Alveolen vor, gelangen in den Blutkreislauf und verursachen oxidativen Stress sowie entzündliche Reaktionen in Organen, Stoffwechsel und Gehirn [8].
Prinzipiell bietet der Klimawandel auch günstigere Ausbreitungs- und Überlebensbedingungen für zahlreiche Vektoren. Gesundheitlich besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Zecke. Milde Winter begünstigen bereits im Frühjahr eine hohe Dichte und Aktivität heimischer Zeckenarten. In Deutschland gilt der am Weitesten verbreitete Holzbock (Ixodes ricinus) u. a. als Vektor für Lyme-Borreliose, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), granulozytäre Anaplasmose, Neoehrlichiose und Babesiose. Nicht zuletzt bedeuten mildere Winter auch, dass einheimische Mückenarten ebenso wie aus dem Mittelmeerraum vordringende Arten Vektorkompetenz für Erkrankungen erlangen können, die in Deutschland bisher keine Rolle gespielt haben (z. B. die Asiatische Tigermücke, die Japanische Buschmücke und die Koreanische Buschmücke). Parallel verändert der Klimawandel die Flugrouten von Zugvögeln, die als Reservoirorganismen dienen. Die mit dem Klimawandel einhergehenden häufigeren Starkregenereignisse generieren stehende Oberflächenwasser als ideale Brutstätten für Mücken. Neben bspw. dem West-Nil-Virus können in diesem Zusammenhang auch Bakterien, Protozoen, Parasiten und Helminthen übertragen werden [10].
An dieser Stelle kann nur kurz erwähnt werden, dass auch weitere Gesundheitsrisiken wie lebensmittelassoziierte Infektionen durch Salmonellen und Campylobacter, Infektionen mit dem Hantavirus sowie wasserbürtige Infektionen durch den Klimawandel begünstigt werden.
- Direkte Effekte des Klimawandels sind die Zunahme der Durchschnittstemperaturen, die Zunahme der UV-Belastung und die Zunahme von Extremwetterereignissen.
- Zu den indirekten Effekten des Klimawandels zählen die Zunahme allergischer Belastungen (z. B. durch Pollen), Veränderungen der Schadstoffbelastung der Luft sowie erhöhte Infektionsrisiken (z. B. durch Vektoren wie Zecken und Stechmücken sowie durch wasserbürtige Infektionen).
- Besonders Hitzewellen werden künftig deutlich häufiger, länger und heißer sein. Hieraus resultieren zahlreiche Risiken speziell für Patienten mit Diabetes.
Mentale Belastungen als psychische Folgen des Klimawandels
Zunehmend wird erkannt, dass der Klimawandel auch die mentale Gesundheit auf mannigfaltige Weise zu beeinträchtigen vermag. Zum einen wirken die Klimaveränderungen unmittelbar. So verstärkt Hitze das Stresserleben. Stickoxide und Ozon können Stress- und Angsterleben beeinflussen. Akut erlebte Katastrophen – wie die bereits angesprochene Flutkatastrophe im Ahrtal - können Anpassungsstörungen, affektive Störungen und Traumafolgestörungen (posttraumatische Belastungsstörungen) zur Folge haben. Zum anderen kann die Wahrnehmung einer langfristigen Bedrohungslage nichtpathologische Belastungen wie Klimakummer (sog. climate grief) und Klima-Angst (sog. climate anxiety) sowie pathologische Angststörungen, Klimadepressionen und Solastalgie auslösen [8].
Direkte und indirekte Effekte des Klimawandels.
Hitze als Hauptproblem in der Diabetologie
Betrachtet man das gesamte Risikospektrum in der nebenstehenden Abbildung (Abb. 1), wird deutlich, dass der anhaltende Temperaturanstieg und die absehbare Zunahme massiver Hitzewellen aus diabetologischer Sicht das Hauptrisiko für betroffene Patienten darstellen. Aus diesem Grund wird der nächste Beitrag dieser Serie schwerpunktmäßig erörtern, was dies konkret bedeutet und warum beispielsweise Patienten mit Diabetes eine verringerte Hitzeverträglichkeit bei gleichzeitig höherer Vulnerabilität gegenüber Stoffwechselentgleisungen, Hitzestress und Hitzeerkrankungen aufweisen. Da Insulin und Teststreifen selbst hitzeempfindlich sind, finden sich dort neben Hinweisen zur Dosisanpassung auch Hinweise zum Umgang mit Medikamenten, Infusionssets, Insulinpumpen, Messgeräten und Teststreifen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (12) Seite 30-33