Die fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen führt zu tiefgreifenden Veränderungen in der Arzt-Patienten-Beziehung und der Medikamentenversorgung.

Ein durchaus relevantes Thema für Ärzte und Praxispersonal ist die zunehmende Möglichkeit für Patienten, rezeptpflichtige Medikamente legal über das Internet zu beziehen. Diese Entwicklung wird durch verschiedene Faktoren begünstigt, darunter Schwierigkeiten bei der Terminvergabe, mangelnde Akzeptanz telefonischer Rezeptbestellungen und die Scham mancher Patienten, offen über gesundheitliche Probleme wie Impotenz zu sprechen.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Risiken

Manchmal ist es für Patienten mit größerem Aufwand bzw. längeren Wartezeiten verbunden, bis sie ein Rezept für ein Arzneimittel bekommen. Das Internet scheint für solche Situationen die ideale Lösung: es gibt dort eine Vielzahl von Online-Anbietern, bei denen man alle möglichen Medikamente bestellen kann. Allerdings dürfen verschreibungspflichtige Medikamente wie Viagra oder die "Pille danach" in Deutschland nur über zugelassene Apotheken oder Versandapotheken bezogen werden; erforderlich ist immer auch ein ärztliches Rezept.

Wer rezeptpflichtige Medikamente bei nicht als (Versand-)Apotheke zugelassenen Anbietern kauft, begeht eine Ordnungswidrigkeit, welche mit einer Geldbuße bis 25 000 EUR geahndet werden kann. Handelt es sich bei dem gelieferten Arzneimittel um eine Fälschung, dann macht man sich in der Regel sogar strafbar. Internet-Anbieter, die verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept anbieten, sind daher in aller Regel unseriös. Die von dort gelieferten Produkte sind oft gefälschte Arzneimittel mit unbekannter Zusammensetzung, die im besten Fall wirkungslos, im schlimmsten Fall gesundheitsschädlich sein können. Nicht selten erhält man auch gar keine Ware – und das Geld ist unwiederbringlich verloren.

Meinungen und Empfehlungen von Experten

RA Oliver Ebert, Stuttgart/Balingen:
Wenn Patienten sich das Rezept in eine nahgelegene Apotheke liefern lassen und das Medikament dort abholen und bezahlen können, ist die Arzneimittelsicherheit gewährleistet.
Allerdings sollte man bedenken: der Arzt, der das Rezept ausstellt, sitzt im Ausland. Führt das Medikament zu Komplikationen, dann müssten etwaige Haftungsansprüche gegen den Arzt – beispielsweise wegen unzureichender Aufklärung - im Ausland und nach dortigem Recht durchgesetzt werden. Rechtschutzversicherungen greifen in solchen Fällen nicht.
Ein weiterer Aspekt: die sensiblen Gesundheitsdaten werden im Ausland verarbeitet; bei etwaigen Datenschutzverstößen sind die dortigen Aufsichtsbehörden zuständig. Grundsätzlich gilt innerhalb der EU zwar das gleiche Datenschutzniveau – nicht in jedem Land sorgen die Behörden aber auch für eine strenge Umsetzung.

Prof. Dr. med. Thomas Haak, Bad Mergentheim:
Wir haben in Deutschland eine exzellente Versorgung mit Arzneimitteln. Die strengen Gesetze des Arzneimittelrechts garantieren, dass die Medikamente wirksam sind und vor dem Verkauf ausreichend überprüft wurden. Es macht also wenig Sinn, sich Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen und ein hohes Risiko damit einzugehen.
Verständlich ist, dass manche Medikamente mit einer gewissen Scham behaftet sind und man daher Potenz-steigernde Medikamente nicht bei der befreundeten Apothekerin um die Ecke kaufen möchte.
In diesem Falle kann man ja auch eine andere Apotheke wählen, bevor man risikoreiche Produkte aus dem Ausland bezieht. Unabhängig davon besteht bei Apothekern wie bei Ärzten eine Schweigepflicht, so dass man auch nicht befürchten muss, mit seiner Medikation Stammtisch-Gespräch zu werden.

Caspar Spindler, Inhaber Stadtapotheke Schömberg und Mitglied des Vorstands im Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg:
Unabhängig von der Rechtslage: Aus heilberuflicher Sicht muss man beim online-Arzt zumindest zur gesteigerten Vorsicht raten und von dubiosen online-Apotheken dringend abraten. Das besondere Risiko besteht in gefälschten Medikamente, die man als Laie nicht unbedingt erkennen kann. Hier besteht mitunter Lebensgefahr. Das muss nicht sein!
In der Apotheke vor Ort wird jedes einzelne Medikament über seine Seriennummer auf Echtheit hin überprüft. Arzneimittelsicherheit ist das oberste Gebot in unseren Apotheken. Darauf sollte niemand aus Scham oder Bequemlichkeit verzichten, denn es geht um die eigene Gesundheit.
Hinzu kommt: Die Apotheken-Teams beraten zu möglichen Risiken oder Komplikationen - eine zusätzliche, unverzichtbare Sicherheit, besonders wenn das Rezept von einem online-Arzt kommt.

Grenzüberschreitende Beschaffung und ihre Tücken

Eine wachsende Zahl von Patienten nutzt die Möglichkeit, Medikamente im benachbarten Ausland zu erwerben. Manche Arzneimittel, die bei uns nur auf Rezept erhältlich sind, kann man in bestimmten (Nachbar-)Ländern rezeptfrei erhalten. Viagra & Co, bestimmte Arzneimittel gegen Hauterkrankungen und gynäkologische Beschwerden gibt es beispielsweise in der Schweiz ohne Rezept; man kann einfach in eine dortige Apotheke gehen und das Medikament dann rezeptfrei und anonym kaufen. Dies gilt auch umgekehrt: so sind beispielsweise Schlafmittel mit Melatonin in der Schweiz generell rezeptpflichtig, während in Deutschland solche Produkte in jedem Drogeriemarkt erhältlich sind.

Auch im Urlaub werden oft Medikamente gekauft. Tatsächlich ist die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland legal, sofern diese in kleineren Mengen und für den persönlichen Bedarf bestimmt sind. Zulässig ist dabei eine Bedarfsmenge für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, unter Berücksichtigung der Dosierungsempfehlung für das jeweilige Arzneimittel. Voraussetzung ist aber, dass es sich um Original-Medikamente handelt –gefälschtes Viagra als Urlaubsmitbringsel ist auch für den Eigenbedarf nicht zulässig.

Dies birgt für Patienten nicht unerhebliche Risiken: Unterschiedliche Regulierungen und Qualitätsstandards in verschiedenen Ländern können zu Problemen bei der Medikamentensicherheit führen. Vor allem in afrikanischen oder asiatischen Ländern gibt es oft keine strenge Arzneimittelüberwachung. Selbst in dortigen "Apotheken" –diese sind mit deutschen Apotheken vielmals nicht vergleichbar – werden mitunter nachgemachte bzw. gefälschte Arzneimittel verkauft, die mit dem Originalprodukt nichts zu tun haben.

Online-Privatrezepte aus EU-Ländern: Chance oder Risiko?

Seit einiger Zeit zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: Es gibt die Möglichkeit, bei Ärzten aus anderen EU-Ländern per Internet ein Online-Privatrezept zu "bestellen", welches dann in einer Apotheke eingelöst werden kann.

Hier wird durchaus trickreich das EU-Recht ausgenutzt: in einigen EU-Ländern ist es nämlich – anders als in Deutschland – zulässig, dass Ärzte eine reine Online-Behandlung vornehmen und Rezepte ausstellen, ohne den Patienten persönlich zu kennen oder diesen zuvor gesehen oder gesprochen zu haben. Auch Patienten aus Deutschland können sich von einem Arzt aus einem solchen EU-Land behandeln lassen und von dort ein Privatrezept über die benötigten Medikamente erhalten.

Diese Rezepte sind EU-weit gültig und können dann auch in deutschen Apotheken eingelöst werden – aufgrund der Übermittlung per e-Rezept fallen auch keine nennenswerten Wartezeiten an.

Auf Basis dieser Rechtslage gibt es zwischenzeitlich seriöse Anbieter, die über den Umweg einer "Online-Behandlung" eine legale Medikamentenbestellung per Internet ermöglichen.

Der Ablauf ist grundsätzlich wie folgt:

  • Zunächst wählt der Patient das gewünschte Medikament sowie die Dosierung und Packungsgröße aus. Anschließend füllt er online einen medizinischen Fragebogen aus; dieser wird dann von einem Arzt in einem anderen EU-Land (z.B. Irland) bewertet.
  • Etwaige Fragen des Patienten werden per email oder Chat beantwortet
  • Sofern die Indikationen zum Rezept passen und anhand der im Fragebogen gemachten Angaben keine medizinischen Bedenken bestehen, stellt der Arzt ein Privatrezept aus.
  • Das Rezept wird an eine zugelassene Versandapotheke übermittelt, von dort aus wird das Medikament dann per Post verschickt. Bei manchen Anbietern kann der Patient auch eine Apotheke aus seiner Nähe auswählen und das Rezept dorthin elektronisch übermitteln lassen. So kann man dann das Medikament oft schon am selben Tag in einer nahgelegenen Apotheke abholen.

Pro & Contra

Manche Menschen schämen sich, mit dem Diabetes-Team offen über manche gesundheitlichen Probleme wie Impotenz oder Hautausschläge zu sprechen. Hinzu kommt, dass nicht alle Hausarztpraxen bzw. diabetologische Praxen eine telefonische Bestellung von Rezepten akzeptieren, so dass der Patient persönlich vorstellig werden muss. Und wenn die eigene Praxis im Urlaub ist, dann ist der (Um-)Weg in die Vertretungspraxis für die Patienten oft mit erheblichen Wartezeiten verbunden. Dort hat man aber keinen Zugriff auf die Patientenakte und wird daher womöglich nur eingeschränkt Rezepte ausstellen. Gerade in solchen Fällen ist es für Patienten nicht immer einfach, einigermaßen unkompliziert an ein benötigtes Medikament zu kommen. Es besteht dann durchaus die Gefahr, dass Patienten sich die Arzneimittel unkontrolliert aus dem Bekanntenkreis ausborgen oder womöglich bei unseriösen Anbietern im Internet beschaffen. In solchen Fällen könnte der legale Bezug über einen Online-Arzt tatsächlich eine akzeptable bzw. vertretbare Alternative sein.

Umgekehrt ist zu bedenken: Patienten haben auf diese Weise zwar einen einfacheren Zugang zu Medikamenten, Die Qualität der Online-Beratung und die Sicherheit der Verschreibung ohne persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient können aber durchaus fraglich sein. Zudem besteht die Gefahr, dass wichtige Aspekte der Patientengeschichte oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten übersehen werden. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass für die Ausstellung des Rezepts eine Behandlungsgebühr fällig wird, meist zwischen 15,00-30,00 EUR, und auch das Medikament selbst bezahlt werden muss, wobei die Krankenkasse in der Regel keine dieser Kosten erstattet.


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Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 34-36