Ist COVID-19 eine Gefäßerkrankung? Anfangs als reine Lungenkrankheit betrachtet, deuten immer mehr Studien darauf hin, dass eine COVID-19-Erkrankung die Blutgefäße schädigt und Gefäßerkrankungen wie Thrombosen, Lungenembolien oder Schlaganfälle begünstigt. Mögliche Ursachen und der aktuelle Stand der Forschung waren die Themen einer Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG). Die DGG-Experten diskutierten außerdem über eine Zunahme von Fußamputationen als Folge der Corona-Pandemie.

Immer mehr Studien belegen, dass COVID-Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen haben. „Dazu zählen Thrombosen, Lungenembolien oder schwere Durchblutungsstörungen in Beinen und Armen“, sagt Professor Dr. med. Markus Steinbauer. Im schlimmsten Fall können diese sogar tödlich verlaufen. „Die Sterblichkeit von COVID-Patienten mit Thrombose, die intensivmedizinisch betreut wurden, lag in einer Studie bei rund 50 Prozent“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg.

Gefäßerkrankungen und Thrombosen gehäuft bei Verstorbenen mit COVID-19

Untersuchungen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf von Verstorbenen mit COVID-19 ergaben zudem, dass mehr als 58 Prozent einen Verschluss der Unterschenkelvenen aufwiesen, die zuvor im klinischen Befund nicht aufgefallen waren. Ein Drittel der Patienten verstarb an einer Lungenembolie. „Warum sich bei COVID-Patienten Gefäßerkrankungen und vor allem Thrombosen häufen, ist noch nicht klar“, sagt Steinbauer. Die genauen Ursachen für die Gefäßschädigungen müssten erst noch wissenschaftlich aufgearbeitet werden, so der DGG-Experte.

Bei COVID-19-Patienten Einsatz von Blutverdünnern erwägen

Als eine Möglichkeit diskutieren Experten, dass das Blut bei Infizierten stärker gerinnt. Außerdem schädigt das Virus offenbar die innere Zellschicht der Blutgefäße und führt zu Entzündungen oder sogar zum Absterben der Gefäße. „Bei der Behandlung von COVID-Patienten, insbesondere auf Intensivstationen, sollte daher besonders auf Gefäßerkrankungen geachtet und auch der Einsatz von Blutverdünnern erwogen werden“, erläutert der Regensburger Gefäßchirurg. Erste Studienergebnisse deuten Steinbauer zufolge an, dass eine solche Therapie die Sterblichkeit unter COVID-Patienten deutlich reduzieren kann.

Zunahme von Fußamputationen aus Angst vor Corona-Infektion

Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und Kapazitäten in den Krankenhäusern zu schaffen, wurden ab März dieses Jahres nicht unbedingt notwendige Untersuchungen und Behandlungen zunächst aufgeschoben. „Aus Angst vor einer Sars-CoV-2-Infektion haben leider auch viele Patienten mit chronischen Durchblutungsstörungen der Beine Vorsorgetermine nicht wahrgenommen“, sagt Professor Dr. med. Dittmar Böckler, Präsident der DGG. Die Folgen seien in manchen Fällen schwerwiegend. „Zahlreiche Kliniken berichten davon, dass sich Patienten mit Durchblutungsstörungen so spät vorgestellt haben, dass eine Fußamputation nicht mehr zu umgehen war“, erklärt der Ärztliche Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Experte betont große Bedeutung der Vorsorgeuntersuchungen

Vor diesem Hintergrund betont der DGG-Experte die große Bedeutung der Vorsorgeuntersuchungen für Patienten mit chronischen Durchblutungsstörungen, wie sie etwa bei einem Diabetischen Fußsyndrom (DFS) auftreten. „Allein das DFS führt hierzulande jährlich zu über 40 000 Amputationen. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich leider im oberen Bereich“, sagt Böckler. Viele dieser Eingriffe könnten durch eine konsequente Prävention, die rechtzeitige Diagnostik und eine interdisziplinäre Therapie verhindert werden.

Keine Amputation ohne vorherige Untersuchung durch Gefäßchirurgen

Um die Prävention von Amputationen wegen DFS in der Praxis zu verbessern, unterstützt die DGG zudem den kürzlich eingeführten „Fuß-Pass“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Der Pass gibt Auskunft über das individuelle DFS-Risiko eines Patienten, sodass die Untersuchungsintervalle entsprechend gestaltet werden können. Außerdem habe jeder Patient vor einer Amputation das Recht, eine unabhängige Zweitmeinung einzuholen. „Unabhängig von der Pandemie-Situation sollte keine Amputation ohne eine eingehende Untersuchung der Gefäße durch einen Gefäßmediziner oder Gefäßchirurg vorgenommen werden,“ fordert DGG-Präsident Böckler. Denn die Gefäßchirurgie bietet vielfältige Methoden, um die Durchblutung etwa eines Beines wieder zu verbessern und so eine Amputation zu verhindern.

Ballondilatation, Bypassoperation, plastisch-rekonstruktive Operationen - die rechtzeitige Anwendung zählt

„Die Durchblutung des Beines kann mit verschiedenen Eingriffen verbessert werden – dafür stehen Bypassoperationen, aber auch katheterbasierte minimalinvasive Verfahren wie die Aufweitung eines verschlossenen Gefäßes mithilfe eines Ballons („Ballondilatation“) zur Verfügung,“ erläutert der DGG-Präsident und betont: „Für die Bypassoperation liegen uns vom Schenkel bis zum Fuß sehr gute Langzeitergebnisse vor.“ Die Verfahren könnten dem Patienten für sich allein, manchmal in sogenannten Hybrideingriffen kombiniert, überaus effektiv angeboten werden. Hinzu kämen fußchirurgische Eingriffe sowie plastisch-rekonstruktive Operationen, bei denen Haut verpflanzt wird, um Wunden zu schließen, die den Knochen angreifen. Diese Therapien sollten aber möglichst rechtzeitig angewendet werden.

Team: interdisziplinär - Therapie: individuell

Welches Verfahren am Ende infrage kommt, muss individuell für jeden Patienten anhand dessen Risikoprofil, dessen Gefäßdarstellung und Wundbefund von einem interdisziplinären Behandlungsteam entschieden werden. In einem solchen Team sollten Gefäßchirurgen vertreten sein, aber auch Angiologen, Radiologen, Hausarzt oder Diabetologe, Orthopäden sowie nicht ärztliche Assistenzberufe wie Podologen, Fachpflege für Wundbehandlung, orthopädische Schuhmachermeister bis hin zu Schmerztherapeuten und Psychologen.

Aktuell erscheinen von den Fachgesellschaften DDG, DGA und DGG ein gemeinsames Positionspapier zur Behandlung der pAVK und des diabetischen Fußsyndroms und ein sogenannter „Fuß-Pass“ für Diabetiker. Eine Aktion, die Patienten rechtzeitig sensibilisieren soll.


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Unveröffentlicht, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113885/Dexamethason-Studie-WHO-sieht-Durchbruch-im-Kampf-gegen-COVID-19 (Abruf 17.6.2020).

Quelle: Pressekonferenz anlässlich des virtuellen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG); Donnerstag, 22. Oktober 2020

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