Um die künftige Versorgung von Menschen mit Diabetes zu sichern, appellierte die Deutsche Diabetes Gesellschaft bei ihrer Jahrespressekonferenz am 10. März an die Verantwortlichen der Politik und legt ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor, die ergriffen werden müssten, um ein künftiges Versorgungsdefizit abzuwenden. Deutschlandweit müssten diabetologische Lehrstühle erhalten und ausgebaut sowie die Bedingungen für diabetologische Behandlungen bei Fallpauschalen und Regelungen bei der Bettenplanung in Krankenhäusern verbessert werden, fordert die Fachgesellschaft.

Über 8,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden derzeit an Diabetes – Tendenz stark steigend. [1] Zwar lassen sich dank des medizinischen Fortschritts chronische Krankheiten wie Diabetes heute gut ambulant behandeln, dennoch gibt es immer wieder Situationen, die einen Krankenhausaufenthalt erfordern.

Akute Stoffwechselentgleisungen können nur stationär versorgt werden

„Schwere Unterzuckerungen oder andere akute Stoffwechselentgleisungen bei Diabetes können jedoch nur stationär versorgt werden“, so Professor Dr. med. Monika Kellerer, Past-Präsidentin der DDG und Ärztliche Direktorin des Zentrums für Innere Medizin I am Marienhospital in Stuttgart. Bei Menschen mit Diabetes Typ 2 seien es häufig Begleit- und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen oder das diabetische Fußsyndrom, die eine Behandlung im Krankenhaus erfordern. „Deswegen ist es unabdingbar, dass jedes Krankenhaus eine qualifizierte Betreuung für Menschen mit Diabetes sicherstellt“, so Kellerer.

Abrechnungssystem nach Fallpauschalen benachteiligt sprechende Medizin

Die Realität ist jedoch eine ganz andere. Lediglich 20 Prozent der Kliniken in Deutschland erfüllen die Kriterien der DDG zur Behandlung von Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Laut der Expertin müssen Kliniken seit Jahren bei Stellen und Betten in der Diabetologie den Rotstift ansetzen. „Das Vergütungssystem der Diagnosis Related Groups (DRG) benachteiligt die diabetologischen Fachabteilungen in Krankenhäusern“, so Kellerer. „Fallpauschalen für aufwendige Eingriffe sind attraktiver als diabetologische Maßnahmen, die überwiegend konservativ erfolgen. Dieses System der Hochleistungsmedizin wertschätzt eine informierende, aufklärende und patientenzentrierte Versorgung zu wenig.“

Jeder fünfte bis sechste Krankenhauspatient mit Diabetes

Diabetes als Hauptaufnahmegrund (Hauptdiagnose) im Krankenhaus findet sich gerade mal bei circa einem Prozent aller Krankenhausaufenthalte [2]. Dies ist ein Grund, weshalb oftmals behauptet wird, Diabetes spiele in der stationären Behandlung keine Rolle. Diese Darstellung ist eindeutig falsch, denn insgesamt liegt bei jedem fünften bis sechsten Patienten im Krankenhaus ein Diabetes vor [2].

Gute Diabeteseinstellung ist Voraussetzung für den Behandlungserfolg

Somit weisen circa drei der 16,6 Millionen pro Jahr stationär behandelten Patientinnen und Patienten eine Diabeteserkrankung auf, welche in den allermeisten Fällen als Nebendiagnose erfasst wird. Auch wenn diese Patienten vielfach wegen anderer Beschwerden wie etwa Gefäß-, Tumor-, Gelenk- oder Infektionserkrankungen aufgenommen werden, ist eine gute Diabeteseinstellung Voraussetzung für den Behandlungserfolg nach Operationen und anderen Eingriffen.

Höhere Krankenhaussterblichkeit bei Menschen mit Typ-2-Diabetes

Dieser Umstand wird häufig bei Diabetes als Nebendiagnose verkannt beziehungsweise nicht beachtet – mit entsprechend negativen Auswirkungen für den stationären Aufenthalt. So ist die Krankenhaussterblichkeit bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 um 32 Prozent höher als in einer vergleichbaren Gruppe ohne Diabetes [2].

Aus Sicht der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) muss deshalb gewährleistet sein, dass Menschen mit Diabetes im Krankenhaus immer professionelle diabetologische Hilfe erhalten können – gerade auch dann, wenn sie aufgrund einer schweren Erkrankung ihr Diabetesmanagement nicht mehr selbst übernehmen können. Idealerweise sollten deshalb alle Akutkliniken Deutschlands Diabetesspezialistinnen und -spezialisten vorhalten.

Doch in der Realität erfüllt nur jede fünfte Klinik die Kriterien der DDG zur Behandlung von Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes [3]. Zudem wurden viele Diabetesabteilungen in den letzten Jahren wegrationalisiert, sodass es Betroffenen zunehmend schwerer fällt, für ihren stationären Aufenthalt ein Wohnort-nahes Krankenhaus mit einer qualifizierten Diabetesbetreuung zu finden.

Wachsende Zahl von Diabetespatienten steht schrumpfender Bettenzahl gegenüber

Wenn Kosteneinsparungen die Diabetologie weiter aus dem Krankenhausbereich verdrängen, fehle der stationäre Bereich auch als Ausbildungsplatz für alle medizinischen Fachkräfte, geben die Experten zu bedenken. Derzeit gebe es nur noch an acht Universitäten eigenständige, bettenführende klinische Lehrstühle für Diabetologie in Deutschland; gleichzeitig wird die Zahl der Diabetespatienten nach Expertenschätzungen bis 2040 auf bis zu zwölf Millionen ansteigen. „Um diese Herausforderung meistern zu können, müssen die Universitäten die diabetologischen Lehrstühle erhalten und ausbauen, statt sie kaputtzusparen“, betont Kellerer. „Wer soll sonst den ärztlichen Nachwuchs in Zukunft ausbilden, wer die Patienten betreuen und klinische Studien durchführen?“

Die Ursachen: "ausgeprägter Ambulantisierungsprozess" und Einführung des DRG-Vergütungssstems

In den beiden letzten Jahrzehnten halbierte sich die Zahl der Betten mit Schwerpunkt Endokrinologie/Diabetologie, während sie sich beispielsweise in anderen internistischen Schwerpunktfächern im gleichen Zeitraum verdoppelte bis verdreifachte, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes [4]. Beschleuniger für diesen Abwärtstrend war neben dem ausgeprägten Ambulantisierungsprozess in der Diabetologie vor allen Dingen auch die Einführung des DRG-Vergütungssystems (Fallpauschalen-Vergütungssystem).

Die Fallpauschalen für aufwendige technische Eingriffe sind für Kliniken deutlich attraktiver als die konservativen diabetologischen Maßnahmen. In dem prozedurenarmen Querschnittsfach Diabetologie werden stationär im Allgemeinen vielfach und komplex erkrankte ältere Menschen behandelt, die weniger Aktionismus und Prozeduren, dafür aber mehr Zeit für den Genesungsprozess benötigen. Dies sei eine besonders vulnerable Gruppe von Patienten, übrigens genauso wie Kinder mit neu diagnostiziertem Diabetes.

Solche Behandlungen seien im aktuellen Fallpauschalensystem oft nicht kostendeckend, sodass Krankenhausmanager im Zweifelsfall wohl eher dazu tendieren, die Diabetologie zugunsten anderer hoch spezialisierter und prozedurenintensiver Abteilungen abzubauen.

Auch die Pläne der Ampelregierung zur weiteren Ambulantisierung der Medizin ließen hier für eine alternde Gesellschaft mit immer mehr multimorbid Erkrankten und in ihrer Mobilität deutlich eingeschränkten Patienten nichts Gutes erahnen [5], so die Experten.

Leitlinienbasierte Versorgungsaspekte in DRGs nicht abgebildet

Die Past-Präsidentin der DDG sieht deshalb Handlungsbedarf und richtet einen deutlichen Appell an Bund und Länder. „Es ist nicht hinnehmbar, dass das DRG-Vergütungssystem wichtige leitlinienbasierte Versorgungsaspekte der Volkskrankheit Diabetes unzureichend abbildet und damit für Kliniken wirtschaftlich unattraktiv macht“, kritisiert Kellerer. „Die Fallpauschalen im stationären Vergütungssystem müssen angepasst werden, damit Diabetesabteilungen im Krankenhaus kostendeckend arbeiten können und erhalten bleiben.“

Neben der Vergütungsanpassung sieht die Expertin auch Verbesserungspotenzial in der landesweiten Bettenplanung und fordert, bei der Erstellung der Krankenhaus-Bettenpläne für die Diabetologie mehr Kapazitäten einzuplanen.

Die Forderungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft:

Wird die Diabetologie weiter aus dem Krankenhausbereich verdrängt, hat das auch für den ambulanten Sektor weitreichende Folgen: Fehlt die stationäre Diabetologie als Ausbildungsplatz für alle Diabetesberufe, fehlt auch der Nachwuchs für die Zukunft. Während die Zahl der Patienten kontinuierlich steigt, sinkt schon jetzt die Zahl der Diabetologinnen und Diabetologen – in der Klinik, aber auch im niedergelassenen Bereich, wo immer mehr Praxisinhaberinnen und -inhaber an die Altersgrenze kommen und keine Nachfolge finden. Wenn sich das nicht ändert, wird in der Folge auch die ambulante Versorgung schwer getroffen.

Die DDG fordert hier konkret:

  • 1. Alle Akutkrankenhäuser müssen eigene Fachabteilungen für Diabetologie zur Patientenbehandlung unterhalten oder zumindest entsprechende Fachressourcen vorhalten.
  • 2. An jeder medizinischen Fakultät muss ein klinischer Lehrstuhl für Endokrinologie und Diabetologie vorhanden sein, damit dieses Fach auch künftig noch in erforderlichem Umfang gelehrt und ausgeübt werden kann.
  • 3. Die Fallpauschalen im stationären Vergütungssystem müssen bei der Behandlung vulnerabler Patientengruppen wie mehrfach erkrankter älterer Patienten mit Diabetes und auch bei Kindern mit Diabetes angepasst werden, damit Diabetesabteilungen im Krankenhaus kostendeckend arbeiten können.
  • 4. Die stationäre Diabetesversorgung muss vor allem auch bei der Erstellung länderweiter Krankenhaus-Bettenpläne mitberücksichtigt werden.

Weitere Informationen:

Klinik für Diabetespatienten geeignet: Deutsche Diabetes Gesellschaft e.V.


Literatur
(1) T. Tönnies und W. Rathmann (2021). Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2022, Kirchheim Verlag, ISSN 1614-824X
(2) M. Auzanneau, A. Fritsche, A. Icks, E. Siegel, R. Kilian, W. Karges, St. Lanzinger, R.W. Holl. Diabetes im Krankenhaus, Dtsch Arztebl Int 2021; 118(24): 407-412. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0151
(3) E. Siegel und E. Siegel (2021), Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2022, Kirchheim Verlag ISSN 1614-824X
(4) Fachserie „Grunddaten der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen“, Statistisches Bundesamt 1991 und 2017
(5) Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP)

Quelle: Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft am 10. März 2022 | Redaktion