Eine Infektion mit SARS-CoV-2 in der Schwangerschaft birgt ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf sowie für maternale und fetale Komplikationen. Noch gefährlicher wird die Situation insbesondere für die Feten und Neugeborenen, wenn begleitend ein Gestationsdiabetes (GDM) vorliegt. Zu diesem Ergebnis kommen deutsche Wissenschaftler*innen nach Auswertung umfangreicher Registerdaten.
Während der COVID-19-Pandemie nahm die Prävalenz des GDM zu, berichtet Tatjana Liedtke vom Institut für Epidemiologie der Universität Kiel: Die Lockdown-Phasen zwangen viele Schwangere zu körperlicher Inaktivität, was sich ungünstig auf ihre Gewichtszunahme und Glukosetoleranz auswirkte.
Verschiedene Untersuchungen deuten inzwischen darauf hin, dass COVID-19 während der Schwangerschaft die Entwicklung eines GDM begünstigt. Umgekehrt erleichtert ein GDM offenbar eine SARS-CoV-2-Infektion: Bei einer Hyperinsulinämie wird der ACE2-Rezeptor, die Bindungsstelle des Virus, vermehrt von den Zellen exprimiert. Erhöhte Blutzuckerkonzentrationen induzieren zudem eine verstärkte Glykosylierung des Spike-Proteins und erleichtern auf diese Weise die Rezeptorbindung des Virus.
COVID-19 stellt sowohl für die Mutter als auch für das ungeborene Kind eine Gefahr dar, so die Forscherin weiter. Unter anderem droht eine Plazentitis, die das Risiko für eine Totgeburt sowie für ein Versterben des Neugeborenen erhöht.
Mehr als 5.000 GDM-Schwangerschaften ausgewertet
In der vorliegenden Arbeit gingen Tatjana Liedtke und ihre Kolleg*innen nun der Frage nach, welche Risiken das simultane Auftreten eines GDM und einer SARS-CoV-2-Infektion für die Feten bzw. Neugeborenen birgt. Hierzu analysierte das Team die Daten zweier großer Register: Das im April 2020 gegründete CRONOS-Register, an dem sich 130 Kliniken in Deutschland und Österreich beteiligen, sammelt Daten von Frauen mit einer akuten oder vorangegangenen SARS-CoV-2-Infektion während der Schwangerschaft.
In die Analyse flossen 409 Frauen mit einem GDM und SARS-CoV-2-Infektion aus dem Zeitraum 2020 bis 2022 ein. Nur etwa ein Fünftel dieser Schwangeren hatte mindestens eine COVID-19-Impfung erhalten. Das präpandemische Vergleichskollektiv bildeten 4.598 Schwangere mit GDM, die im Zeitraum zwischen 2018 und 2019 in das deutsche GestDiab-Register aufgenommen worden waren.
Interview: „Die Impfung verhindert sehr effektiv den schweren Verlauf“
Tatjana Liedtke, MPH, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Epidemiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des UKSH Campus Kiel sowie Dr. Helmut Kleinwechter, Internist/Diabetologe aus Kiel, waren als Erstautorin bzw. Letztautor an der Studie beteiligt. Sie empfehlen, dass Frauen frühzeitig über die Vorteile einer Impfung gegen COVID-19 aufgeklärt werden sollten.
Was ist der Grund für die erhöhten Risiken für Mutter und Kind?
Liedtke: Der schwere Verlauf von COVID-19 ist assoziiert mit systemischer Inflammation und Multiorganbefall durch das Virus, wovon auch Betazellen und die Placenta betroffen sein können. Eine pränatale vertikale Transmission des Virus auf den Fetus ist äußerst selten. Die Placentitis ist wiederum Ursache für fetale Notlagen durch unzureichende Sauerstoffversorgung mit der Folge gesteigerter Frühgeburtlichkeit. Bereits subklinisch erhöhte Blutglukosewerte, wie beim GDM, erhöhen die Virusaufnahme und Verteilung im Körper durch Glykolisierung des Virus-Spikeproteins. Der schwere Verlauf einschließlich einer Placentitis wird durch eine Impfung der Mutter erheblich abgemildert.
Untersucht wurde der Einfluss einer Infektion mit SARS-CoV-2. Wie sieht es bei andere Erregern aus?
Liedtke: Das können wir nicht beantworten, wir haben es nicht untersucht. Allgemein können wir sagen, dass sich bei allen Virusinfektionen die Glukosetoleranz verschlechtern kann. Bei SARS-CoV-2 wissen wir, dass die fetale Gefährdung fast nie durch eine Infektion des Fetus durch das Virus (vertikale Transmission) sondern durch den Schweregrad der mütterlichen Infektion bedingt ist.
Wie kann vorgesorgt werden, um Komplikationen zu vermeiden?
Dr. Kleinwechter: Wichtig ist:- Ungeimpfte schwangere Frauen mit GDM sollten über das erhöhte Risiko von Komplikationen im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion und die Vorteile der Impfung aufgeklärt werden. Schwangere Frauen haben eine erschreckend geringe Impfquote, in unserer Studie 21,4 % der Frauen mit GDM im Vergleich zu 85,4 % aller Menschen in der deutschen Bevölkerung. Verunsicherung wird durch die sog. sozialen Medien und Verschwörungstheorien befeuert. Die Impfung verhindert sehr effektiv den schweren Verlauf. Die Ansteckung mit SARS-CoV-2 wird zwar durch die Impfung nur für wenige Monate reduziert, aber das kann gerade für Schwangere bedeutsam sein. Frauen können sich vor der Schwangerschaft oder nach dem 1. Trimenon impfen lassen, bivalenter Impfstoff kann auch das Neugeborene in den ersten Lebensmonaten vor einer Infektion mit der Omikron-Variante schützen. In dieser Zeit dürfen die Kinder noch nicht geimpft werden.
- Alle in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen pränatalen Untersuchungen sollten eingehalten und, wenn notwendig, ergänzt werden. Eine intensivere als übliche Überwachung von schwangeren Frauen mit GDM, die sich mit COVID-19 infiziert haben, ist wichtig, um Komplikationen rechtzeitig zu erkennen und adäquate Maßnahmen zu ergreifen (z. B. eine Sauerstoffgabe an die werdende Mutter).
- Ärzt*innen sollten Schwangere mit hohen Risiken (z. B. Adipositas Grad 3, Z.n. GDM, Alter über 40 Jahre, beide Eltern Typ-2-Diabetes) schon früh in der Schwangerschaft auf eine Hyperglykämie untersuchen und eine angemessene Behandlung zur zielgerechten Einstellung der Blutglukose einleiten. Ansonsten sollten alle Schwangeren am GDM-Screening (24–28 SSW) teilnehmen.
Wie geht es aktuell weiter?
Liedtke: Die Diabetes-Arbeitsgruppe des CRONOS-Registers untersucht an mehr als 8.000 Schwangeren die Frage, in welchem Ausmaß die COVID-19-Impfung schwere Verläufe bei GDM reduzieren kann. Das Projekt wird von der DDG gefördert.
Interview: Nicole Finkenauer
Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass die Kinder der präpartal mit SARS-CoV-2 infizierten Frauen mit GDM im Vergleich zu den vor der Pandemie geborenen Kindern von GDM-Schwangeren ein um nahezu 50 % erhöhtes Risiko für den kombinierten Endpunkt „Verlegung auf die Neugeborenenintensivstation oder Totgeburt und/oder Tod innerhalb einer Woche nach der Geburt“ hatten. Auch ihr Frühgeburtsrisiko war um 50 % erhöht.
Besonders gefährdet waren die Kinder von Müttern mit schwerem COVID-19-Verlauf: Ihr Risiko bezüglich der beiden Endpunkte stieg im Vergleich zu den Kindern von Frauen mit weniger schwerem Infektionsverlauf auf das Sieben- bzw. Vierfache.
Hohe oGTT-Nüchternwerte sagen Komplikationen voraus
Die mit SARS-CoV-2 infizierten Frauen mit GDM wurden zudem im Vergleich zu den Kontrollen signifikant häufiger per Kaiserschnitt entbunden (adjustierte OR 1,33). Weiterhin fanden die Forschenden heraus, dass bei den SARS-CoV-2-infizierten Schwangeren signifikant höhere Nüchternwerte im oGTT auftraten als bei den Frauen mit einem vor Pandemiebeginn diagnostizierten GDM. Pro 0,1 mmol/l höherem Nüchternblutzucker im venösen Plasma stieg dabei das Frühgeburtsrisiko um 5 %.
Die Kombination aus GDM und SARS-CoV-2-Infektion gefährdet Gesundheit und Leben der Feten bzw. Neugeborenen, schlussfolgert das Studienteam. Ein erhöhter oGTT-Nüchternblutzucker stellt dabei möglicherweise einen Indikator für neonatale Komplikationen dar. Deshalb empfehlen sie, die Feten und Neugeborenen von Frauen mit GDM und SARS-CoV-2-Infektion sorgfältig zu überwachen. Weitere Studien müssen nun klären, in welchem Ausmaß Schwangere mit GDM und ihre Kinder von einer Impfung profitieren.
von Dr. med. Judith Lorenz