Seit rund 5 Jahren sind die den DPP-4-Hemmer* Sitagliptin enthaltenen Produkte Xelevia® und Velmetia® in Deutschland zur Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus verfügbar (Xelevia®: Sitagliptin als Monosubstanza; Velmetia®: Sitagliptin in Kombination mit Metformin). Aus diesem Anlass fand am 08. Mai 2013 im Rahmen der 48. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Leipzig eine Pressekonferenz mit den renommierten Diabetesexperten Professor Dr. Wolfgang E. Schmidt und Dr. Andreas Lueg statt, zu der die BERLIN-CHEMIE AG eingeladen hatte**. Sitagliptin ist ein orales Antidiabetikum zur Senkung des Blutzuckerspiegels bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Neben den Effekten auf den Blutzucker waren die Gewichtsneutralität und das auf Placebo-Niveau befindliche Hypoglykämierisikob Thema der Veranstaltung. Betrachtet wurden außerdem die praktischen Aspekte, die bei einer individualisierten Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu beachten sind. Die Experten waren sich einig, dass bei dem Facettenreichtum der Erkrankung ein breites Spektrum an therapeutischen Möglichkeiten notwendig ist und dass DPP-4-Hemmer wie Sitagliptin aufgrund der effektiven Blutzuckerwirksamkeit und der insgesamt guten Verträglichkeit ein wichtiger Bestandteil dieses Spektrums sind.

Bedarf an wirksamen und gut verträglichen Substanzen

Dass es einen großen Bedarf an wirksamen und gut verträglichen Substanzen zur Behandlung des Typ-2-Diabetes gibt, darauf wies Professor Dr. Wolfgang E. Schmidt, Direktor der Medizinischen Klinik I der Universitätsklinik St. Josef-Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, hin. Die großen Therapiestudien haben gezeigt, dass es bei Patienten mit intensiver Therapie und niedrigem HbA1c-Zielwert vermehrt zu Nebenwirkungen wie Hypoglykämien [1-3], therapieinduzierter Gewichtszunahme [1] sowie erhöhter Mortalität kommt [1].

„Das Problem insbesondere der erhöhten kardiovaskulären Mortalität betrifft indes vor allem Patienten im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium, bei denen eine HbA1c-Senkung schwierig ist“, so Schmidt. Das zeige ein Vergleich der oben genannten Studien, in die vornehmlich Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung eingeschlossen worden waren, mit den Daten der UKPDS, in der Patienten bereits in frühen Stadien intensiv behandelt wurden. In der UKPDS sah man langfristig einen Benefit hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse [4].

Ziele und Visionen für die Diabetestherapie

Vor diesem Hintergrund definierte Professor Schmidt die Ziele und Visionen für die Diabetestherapie im Jahr 2013: Wichtig sei eine Vermeidung von Hypoglykämien und therapieinduzierter Gewichtszunahme, die Wiederherstellung der Beta-Zell-Funktion, der Erhalt der Beta-Zell-Masse sowie eine sichere und stringente HbA1c-Einstellung bereits früh nach Diagnosestellung. Unter diesen Voraussetzungen könne ein Benefit für die Patienten auch im Langzeitverlauf erreicht werden, so Professor Schmidt. Dazu gehöre auch, die Auswahl einer antidiabetischen Therapie vor dem Hintergrund möglicher Komplikationen zu treffen. Bisher gibt es allerdings keine Therapie, mit der eine Wiederherstellung der Beta-Zell-Funktion möglich ist.

Vorteile der Inkretine

Inkretine, wie z. B. GLP-1 (glucagon-like peptide 1), senken den Blutzucker nur bei erhöhten Blutzuckerspiegeln, ohne das Risiko für Hypoglykämien zusätzlich zu erhöhen [5]. Daher könnte eine Inkretin-basierte Therapie, zum Beispiel mit dem DPP-4-Hemmer Sitagliptin, eine wichtige Option seinb. „Durch Infusion von GLP-1 kann man praktisch keine Hypoglykämie erzeugen“, so Professor Schmidt. Auch hinsichtlich einer möglichen Gewichtszunahme zeigt sich ein Vorteil der Inkretine. So wurde unter einer Therapie mit Metformin + Sitagliptin eine leichte Gewichtsabnahme und unter Metformin + Glipizid eine Gewichtszunahme beobachtet, der Gewichtsunterschied von 2,5 kg in einem Jahr war signifikant (p < 0,001) [6].

Die Wirkweise von DPP-4-Hemmern wie Sitagliptin beruht auf einer Erhöhung der aktiven GLP-1-Spiegel im Blut durch eine Hemmung des GLP-1-abbauenden Enzyms Dipeptidylpeptidase 4 (DPP-4). DPP-4-Hemmer können – je nach Anwendung – als Monotherapie oder als Teil einer Kombinationstherapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. „Sitagliptin hat unter den DPP-4-Hemmern in Deutschland ein sehr breites Zulassungsspektrum, auch die Anwendung bei niereninsuffizienten Typ-2-Diabetikern ist unter Beachtung der entsprechenden Dosierungc möglich“, betonte Professor Schmidt.

Bezogen auf die Blutzuckersenkung ist Sitagliptin in Kombination mit Metformin gleich stark wirksam wie ein Sulfonylharnstoff (hier: Glipizid). Unterschiede bestehen jedoch zugunsten von Sitagliptin hinsichtlich Gewichtszunahme (Unterschied von 2,5 kg innerhalb von einem Jahr) und Hypoglykämierate (32 % vs. 5 %) [6]. Auch im Vergleich zu Metformin ist Sitagliptin nicht unterlegen [7]. Sitagliptin kann als Monotherapie bei Metformin-unverträglichkeit oder -Kontraindikation eingesetzt werden. Die wichtigste Anwendung ist allerdings die Kombination mit Metformin.

Kardiovaskuläre Sicherheit

Ein wichtiger Punkt ist die kardiovaskuläre Sicherheit. Für Sitagliptin wurde im Dezember 2008 als ersten Vertreter der Klasse eine kardiovaskuläre Endpunktstudie gestartet [8]. Momentan laufen für Inkretin-basierte Therapien eine Reihe von Outcome-Studien, erläuterte Schmidt.

„Die Inkretin-basierte Therapie eröffnet vielversprechende Perspektiven“, so das Fazit von Professor Schmidt, der nochmals die Wichtigkeit einer individualisierten Therapie mit frühem Therapiebeginn möglichst unter Vermeidung von Hypoglykämien und Gewichtszunahme betonte.

Individualisierte Ansätze

Dass Krankheitsverlauf und Therapie bei Typ-2-Diabetikern mit fortschreitender Erkrankungsdauer einem stetigen Wandel unterliegen und somit einen dauerhaften Prozess darstellen, darauf wies Dr. Andreas Lueg, Diabetologische Schwerpunktpraxis Hameln, hin. Neben den rein medizinischen Kriterien seien eine Vielzahl weiterer Faktoren bei einer individuellen Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu beachten, wie zum Beispiel Alltagsanforderungen, Wünsche und Ängste des Patienten, Unverträglichkeiten und nicht zuletzt die Vielfalt der therapeutischen Möglichkeiten.

Dieser individualisierte Ansatz umfasse auch die Individualisierung der HbA1c-Zielwerte [9]. „Der Diabetes mellitus ist eine chronische und nicht heilbare Erkrankung, bei der sich die Blutzuckerkontrolle im Verlauf zunehmend verschlechtert“, betonte Lueg und machte deutlich, dass eine frühe Kombinationstherapie das Erreichen therapeutischer Ziele erleichtern könne.

Wichtig: Motivation und nicht-medikamentöse Therapieoptionen

Wichtig seien auch die Motivation des Patienten und das Ausschöpfen nicht-medikamentöser Therapieoptionen wie gesunde Ernährung, ausreichende körperliche Bewegung und eine intensive verhaltensmodifizierende Schulung. „Wir motivieren unsere Patienten, aktiv zu sein – aber geben wir ihnen auch den Rahmen, das tun zu können?“ fragte Lueg und erinnerte an die Wichtigkeit einer Ausrichtung der Therapie an den Erfordernissen des praktischen Lebens der Patienten.

So könne die Sorge um Unterzuckerung eine belastende Einschränkung der Flexibilität zum Beispiel bei sportlicher Betätigung sein, wie Lueg am Beispiel einer Patientin darstellte, die bei Metforminunverträglichkeit auf den DPP-4-Hemmer Sitagliptin eingestellt wurde und mit dieser Therapie eine Absenkung des HbA1c um 0,7 % auf 6,6 % erreicht werden konnte – ohne Gewichtszunahme und ohne zusätzliches Hypoglykämierisiko, wie es – vor allem bei flexiblem Sportverhalten – unter Sulfonylharnstoffen zu erwarten gewesen wäre. „Die Klaviatur unserer therapeutischen Möglichkeiten kann bei dieser heterogenen Erkrankung gar nicht breit genug sein, wenn wir unsere Patienten individuell und nicht schematisch behandeln möchten“, schloss Lueg.


Literatur:
1. Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group, Gerstein HC, Miller ME et al. Effects of intensive glucose lowering in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358: 2545-2559.
2. Duckworth W, Abraira C, Moritz T et al. Glucose control and vascular complications in veterans with type 2 diabetes. N Engl J Med 2009; 360: 129-139
3. Advance Collaborative Group, Patel A, MacMahon S et al. Intensive blood glucose control and vascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358: 2560-2572.
4. Holman RR, Paul SK, Bethel MA et al. 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359: 1577-1589.
5. Nauck MA, Kleine N, Orskov C et al. Normalization of fasting hyperglycaemia by exogenous glucagon-like peptide 1 (7-36 amide) in type 2 (non-insulin-dependent) diabetic patients. Diabetologia 1993; 36: 741-744.
6. Nauck MA, Meininger G, Sheng D et al. Efficacy and safety of the dipeptidyl peptidase-4 inhibitor, sitagliptin, compared with the sulfonylurea, glipizide, in patients with type 2 diabetes inadequately controlled on metformin alone: a randomized, double-blind, non-inferiority trial. Diabetes Obes Metab 2007; 9: 194-205.
7. Aschner P, Katzeff HL, Guo H et al. Efficacy and safety of monotherapy of sitagliptin compared with metformin in patients with type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab 2010; 12: 252-261.
8. Sitagliptin Cardiovascular Outcome Study (0431-082 AM1) (TECOS): http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00790205?term=tecos&rank=1
9. Ismail-Beigi F, Moghissi E, Tiktin M et al. Individualizing glycemic targets in type 2 diabetes mellitus: implications of recent clinical trials. Ann Intern Med 2011; 154: 554-559.

* DPP-4-Hemmer = Inhibitoren des Enzyms Dipeptidylpeptidase-4
** „5 Jahre Xelevia und Velmetia: Eine Bestandsaufnahme gestern – heute – morgen“


Quelle: Pressekonferenz der BERLIN-CHEMIE AG im Rahmen der 48. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 08. Mai 2013 in Leipzig mit Prof. Dr. Wolfgang E. Schmidt, Bochum, und Dr. Andreas Lueg, Hameln.