Die Fachzeitschrift Aktuelle Kardiologie widmet sich in ihrer aktuellen Ausgabe geschlechtersensiblen Aspekten in der Risikobewertung, Diagnose und Therapie verschiedener Krankheitsbilder rund ums Herz. Hintergrund ist, dass eine am Mann ausgerichtete Gleichbehandlung in der Medizin negative gesundheitliche Folgen für Frauen haben kann. Insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen plädieren Expertinnen und Experten für eine geschlechtsspezifische Versorgung, berichtet der Thieme Verlag in einer Pressemeldung.

Die koronare Herzerkrankung (KHK) – eine Verengung der Herzkranzgefäße – kann in einem Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen oder einer Herzschwäche münden. Weltweit gelten Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigste Erkrankung bei Männern und Frauen. Laut Statistischem Bundesamt [1] waren sie 2020 für die meisten (34 Prozent) aller Todesfälle hierzulande verantwortlich, heißt es in der Meldung weiter.

Risikofaktoren wie Diabetes wiegen bei Frauen schwerer

Der Pressemeldung zufolge belegen inzwischen zahlreiche Studien, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, was die Entwicklung einer KHK anbelangt: So sind Patientinnen bei der Erstdiagnose im Mittel zehn Jahre älter als Patienten. Daraus würden sich mehr Begleiterkrankungen wie beispielsweise Diabetes mellitus ergeben. Die Stoffwechselerkrankung korrelierr bei Frauen stärker mit einem Herzinfarkt als bei Männern: Patientinnen mit Typ-1-Diabetes hätten ein um 40 Prozent erhöhtes Letalitätsrisiko und ein doppelt so hohes Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis im Vergleich zu Männern. Auch psychosoziale Faktoren, wie Stress oder Depressionen, gingen Frauen mehr zu Herzen als Männern. Die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Zusammenhänge seien noch unklar. [2]

Abweichende Symptome können adäquate Behandlung verzögern

Symptome weichen bei Frauen und Männern unter Umständen voneinander ab: Insbesondere beim akuten Koronarsyndrom, dem plötzlichen Verschluss einer Koronararterie, klagen Frauen deutlich weniger (50 Prozent) über „typische“ Brustschmerzen als Männer (69,3 Prozent), so die Angaben in der Meldung. Mit zunehmendem Alter der Patientinnen nehme diese ohnehin wenig ausgeprägte Symptomatik weiter ab. Bei jüngeren Frauen (unter 45 Jahre) seien es noch fast 87 Prozent, im Vergleich zu etwa 51 Prozent bei den über 75-Jährigen. Zu atypischen Beschwerden von Frauen zählten Luftnot, Schwäche, Übelkeit, Kiefer-, Schulter- und Armschmerzen. Das könne dazu führen, dass Patientinnen eine weniger zielführende Diagnostik und adäquate Behandlung erhalten als männliche Betroffene. [2]

Frauenherzen ticken anders

Bei der Diagnose von Herzrhythmusstörungen müssten Behandler ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Blick haben, berichtet Thieme in der Meldung weiter. Das beginne bereits beim Lesen des 12-Kanal-Elektrokardiogramms (EKG). Damit messen Ärztinnen und Ärzte die elektrische Erregung des Herzens. Bestimmte Ausschläge der Messkurven (Amplituden) seien bei Frauen aufgrund der kleineren Organgröße und des größeren Brustgewebes nicht so ausgeprägt wie bei Männern. Auch haben Frauen grundsätzlich eine höhere Ruheherzfrequenz, so die Meldung. Da sich dieser Unterschied erst mit der einsetzenden Pubertät zeige, lasse sich auf einen Zusammenhang mit den Sexualhormonen schließen. [3]

Arzneimitteltherapie: Frauen sind keine „kleinen Männer“

In der Pressemeldung wird darauf hingewisen, das bis heute Frauen in klinischen Zulassungsstudien unterrepräsentiert seien. Das führe dazu, dass Medikamente und deren Dosierungsempfehlung eher am männlichen Körper ausgerichtet seien. Es gebe jedoch eine Reihe geschlechtsspezifischer Unterschiede, die Wirkdauer, Wirkstärke und Wirkqualität eines Arzneimittels beeinflussen.
So haben Frauen meist nicht nur ein geringeres Körpergewicht und eine geringere Körpergröße. Auch das Verhältnis von Muskelmasse und Fettanteil unterscheidet sich. Zudem ist der Wassergehalt im weiblichen Körper hormonellen Prozessen und damit Schwankungen unterworfen. Die gleichen Wirkstoffe verteilen sich deshalb bei Männern und Frauen unterschiedlich, so die Meldung. Fettlösliche Medikamente werden beispielsweise im Fettgewebe gespeichert und verbleiben daher bei Frauen länger im Körper als bei Männern. Dadurch kann es zu stärkeren und/oder länger anhaltenden erwünschten und unerwünschten Wirkungen kommen. Eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung ist bei der Verordnung von Medikamenten bei Frauen deshalb besonders wichtig, heißt es in der Pressemeldung abschließend. [4]


Quellen:
[1] Statistisches Bundesamt: Todesursachenstatistik 2020
[2] I. Ott: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei koronarer Herzerkrankung; Aktuelle Kardiologie 2022; 11 (1); S.19–23; DOI: 10.1055/a-1692-0929
[3] C. Scheurlen, D. Steven, A. Sultan: Herzrhythmusstörungen bei Frauen; Aktuelle Kardiologie 2022; 11 (1); S. 42–46; DOI: 10.1055/a-1692-0765
[4] A. Fender, D. Dobrev: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakologie; Aktuelle Kardiologie 2022; 11 (1); S. 62–66; DOI: 10.1055/a-1614-3497

Quelle: Georg Thieme Verlag KG | Redaktion