Ein neues immunologisches Modell aus Ulm könnte einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen auslösen. Im EMBO Journal beschreiben Forschende um Prof. Hassan Jumaa den bislang unbekannten Mechanismus der "adaptiven Toleranz". Demnach sind autoreaktive Antikörper keineswegs schädlich und so schnell wie möglich vom Organismus zu eliminieren. Vielmehr stoßen sie die Bildung von so genannten igM-Antikörpern an, die körperliche Schäden abwenden. Anwendungsgebiete dieses dynamischen immunologischen Modells reichen von der Entwicklung neuer Diabetes-Therapien bis hin zur Impfstoff-Forschung.
Immunologen der Ulmer Universitätsmedizin haben ein neuartiges Modell entwickelt, das die Behandlung von Autoimmunerkrankungen oder die Impfstoff-Entwicklung revolutionieren könnte. Gemäß der „adaptiven Toleranz“ sind autoreaktive Antikörper keineswegs Krankheitstreiber, die der gesunde Organismus frühzeitig beseitigt. Vielmehr lösen sie die Bildung einer Antikörper-Klasse aus, die körpereigene Strukturen schützt. Die Ulmer Forschenden um Professor Hassan Jumaa haben diesen Paradigmenwechsel zuerst im renommierten EMBO Journal beschrieben.
Prof. Hassan Jumaa leitet das Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Ulm.
Autoimmunkrankheiten sind weit verbreitet
Autoimmunkrankheiten sind in Industriestaaten weit verbreitet: Rund 5 Prozent der Bevölkerung leidet an Erkrankungen wie Diabetes Typ 1 oder Rheuma, bei denen sich die Immunabwehr gegen körpereigene Strukturen richtet. Als Krankheitstreiber galten bislang so genannte autoreaktive Antikörper, die normalerweise bei der frühen B-Zellentwicklung identifiziert und entfernt werden. Zur Erinnerung: B-Zellen sind ein entscheidender Bestandteil des adaptiven Immunsystems und können die Bildung von erregerspezifischen Antikörpern auslösen.
Nun haben Forschende um Professor Hassan Jumaa, Leiter des Ulmer Instituts für Immunologie, die Rolle verschiedener autoreaktiver Antikörper untersucht und letztlich neu definiert.
Insulin als Autoantigen
Im Zentrum des Forschungsvorhabens standen Immunisierungsexperimente im Mausmodell. Als Autoantigen erhielten die gesunden Tiere menschliches Insulin in Form von Eiweißkomplexen. Das Hormon Insulin ist wichtig für den Stoffwechsel: Bei Diabetikerinnen und Diabetikern wird ein Insulinmangel therapiert.
Bislang unbekannter Mechnismus entdeckt: „Adaptive Toleranz“
„Die Mäuse wurden engmaschig, mit Methoden aus der Diabetologie auf Abwehrreaktionen untersucht. Dabei sind wir auf autoreaktive und somit schädliche Antikörper gestoßen, die nach bisherigen Annahmen in den gesunden Mäusen längst eliminiert sein sollten“, erklärt Professor Jumaa. Eine zuvor verbreitete These zu autoreaktiven Antikörpern war also bereits widerlegt. Darüber hinaus stellten die Immunologen fest, dass eine erneute Gabe der Insulin-Eiweißkomplexe den Insulin-spezifischen Antikörpertiter bei den Mäusen hochschnellen ließ. Diese Antikörper vom Typ Immunglobulin-M (igM) konnten die zuvor nachgewiesene Autoimmunreaktion ausbremsen und körperliche Schäden bei den Mäusen abwenden. Die Ulmer Forschenden nennen diesen bislang unbekannten Mechanismus „adaptive Toleranz“.
IgM-Antikörper modulieren Immunantwort
„Entgegen früherer Annahmen zeigen unsere Untersuchungen, dass eine gesunde Abwehrreaktion die Bildung schützender IgM-Antikörper auslöst. Dadurch wird die Immunantwort moduliert und der Körper vor autoreaktiven Antikörpern geschützt. Demnach scheint ein diverses B-Zellrepertoire schädliche Autoimmunreaktionen durch adaptive IgM-Antikörper abfedern zu können“, resümiert der Erstautor Timm Amendt die Forschungsergebnisse. Die adaptive Toleranz beruht also auf einem Zusammenspiel verschiedener Autoantigen-Komplexe. Gerät dieser Balanceakt durcheinander, können Autoimmunerkrankungen entstehen. Dass sich diese Forschungsergebnisse vom Mausmodell auf den Menschen übertragen lassen, weisen die Immunologen in einer weiterführenden Studie nach, die kürzlich auf einem Preprint-Server erschienen ist.
Forschungsergebnisse auf den Menschen übertragbar
Insgesamt ermöglicht der Paradigmenwechsel vom statischen zum dynamischen immunologischen Modell („adaptive Toleranz“) ungeahnte Einblicke in die Entstehung und Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden um Professor Hassan Jumaa mithilfe des neuen Modells untersuchen, ob adaptive IgM-Antikörper bei der Behandlung oder Vorbeugung von Diabetes eingesetzt werden können. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist beispielsweise die Impfstoff-Entwicklung.
Die Untersuchungen wurden an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm bzw. im Institut für Immunologie durchgeführt und teilweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.
Quelle: Pressemeldung der Universität Ulm