Viele Menschen mit Diabetes haben gleichzeitig mit einer Herzinsuffizienz zu tun. Die Prognose bei diesen Patienten ist entsprechend schlecht. Was man in solchen Fällen als Behandler am besten macht, wollten wir von Professor Döhner wissen.

Im Interview:
Prof. Dr. Dr. med. Wolfram Döhner Charité, Universitätsmedizin München, BIH Centrum für Regenerative Therapie (BCRT) und Medizinische Klinik für Kardiologie / DZHK Standort Berlin

Hohe Prävalenz und Hospitalisierungsrate, auch schlechte Prognose bei Herzinsuffizienz, insbesondere wenn Patienten zusätzlich Diabetes mellitus haben: Wie hoch ist der Anteil von Diabetes-Patienten mit Herzinsuffizienz? Was ist bei diesen Patienten besonders?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Etwa 30% der Patienten mit Herzinsuffizienz (HI) haben als Komorbidität einen Diabetes mellitus (DM), allerdings ist diese Rate stark abhängig vom Schweregrad der HI und kann bei schwerer Herzinsuffizienz noch deutlich höher liegen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es ist wichtig zu verstehen, dass eine gestörte Glukosetoleranz (oder Insulinresistenz) bei vielen Herzinsuffizienz-Patienten vorhanden ist, ohne dass die Grenzwerte zur Diagnose des DM erreicht wurden. Das sind noch einmal etwa 30% der HI-Population. Diese gestörte Stoffwechsellage kann bereits Jahre oder sogar Jahrzehnte vor der Diagnose Diabetes mellitus vorliegen und maßgeblich zur Progression der Herzinsuffizienz und auch zur Mortalität beitragen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Herzinsuffizienz selbst als Ursache zu einem gestörten Glukosestoffwechsel beiträgt und somit die Insulinresistenz und später die Entstehung eines Diabetes mellitus verstärkt.

Stichwort Diagnostik der Herzinsuffizienz: Welche Untersuchungen sind unverzichtbar? Worauf können der Diabetologe, der Hausarzt und der Patient im Vorfeld achten? Wann sollten die Alarmglocken schrillen?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Natürlich steht im Vordergrund der Diagnostik der HI die Bestimmung der kardialen Funktion mit Bildgebung, Biomarkern und Funktionsmessungen sowie die klinische Beurteilung der Symptome des Patienten.

Es ist aber eine wichtige neue Erkenntnis, dass die Herzinsuffizienz eine metabolische Komponente hat, die zur Progression der Erkrankung, zur Symptomschwere (Stichwort Leistungsminderung, körperliche Schwäche, Erschöpfbarkeit) und letztlich auch zur Mortalität beiträgt. Diese metabolischen Fehlregulationen sind früh erkennbar, z.B. mit einem oralen Glukose-Toleranztest (OGT), der einen gestörten Glukosestoffwechsel feststellen kann bevor ein DM offen zutage tritt. Insbesondere wenn ein Diabetes festgestellt wird, sollte dieser konsequent behandelt werden, auch im Interesse einer optimalen Herzinsuffizienz-Therapie.

Die US-Fachgesellschaft für Kardiologie (ACC: American College of Cardiology) hat kürzlich aktualisierte Guidelines zum Management der Herzinsuffizienz veröffentlicht. Was sind die wesentlichen Neuerungen?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Für Kardiologen in Europa ist die neue (2021) Leitlinie der ESC (European Society of Cardiology) von entscheidender Bedeutung und Grundlage für eine optimale Diagnostik und Therapie. Eine entscheidende Neuerung hier ist die Einführung der Medikamentengruppe der SGLT-2-Inhibitoren als "First-line"-Therapie der Herzinsuffizienz. Diese eigentlich aus der Diabetesbehandlung stammende Medikamentengruppe konnte einen entscheidenden Zusatznutzen bei HI-Patienten zeigen in Bezug auf kardiovaskulären Tod oder Hospitalisierung für Herzinsuffizienz (kombinierter primärer Endpunkt), unabhängig davon, ob ein Diabetes mellitus gleichzeitig vorlag oder nicht. Dies zeigt die Bedeutung, die die metabolische Komponente der HI-Pathophysiologie offensichtlich hat und die in der bisherigen medikamentösen Herzinsuffizienz-Therapie nicht nennenswert adressiert ist (die im Wesentlichen durch die Blockade der neuroendokrinen Überaktivierung bei HI wirksam ist).

Äußerst bemerkenswert ist, dass die Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren auch bei Herzinsuffizienz-Patienten mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF)1 diesen positiven Therapieeffekt zeigt. Damit sind die Gliflozine die erste Medikamentengruppe überhaupt, für die ein Nutzen über das gesamte Spektrum der Herzinsuffizienz nach der Pumpfunktion gezeigt werden konnte. Da allerdings die Daten zu HFpEF erst kurz nach Redaktionsschluss der ESC-Leitlinie veröffentlicht wurden, ist die Empfehlung für HFpEF noch nicht darin abgebildet.

Mit Diabetes steigt das Risiko für plötzlichen Herztod selbst bei erhaltener linksventrikulärer Funktion. Die Implantation eines Kardioverter-Defibrillators (ICD) kann eine Option sein, um vorzubeugen. Wann ist der Eingriff indiziert?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Die Leitlinie der ESC basierend auf Daten der klinischen Studien zeigt, dass ein ICD als primäre prophylaktische Maßnahme sinnvoll ist bei einer HI mit einer LVEF2 <35%. Bei schweren arrhythmogenen Ereignissen bis hin zum überlebten plötzlichen Herztod ist als Sekundärprophylaxe ein ICD aber unabhängig von der Pumpfunktion indiziert.

Den ersten Vorstoß europäischer Fachgesellschaften (ESC: European Society of Cardiology, EASD: European Association for the Study of Diabetes), Patienten gemeinsam zu behandeln, gab es schon vor 15 Jahren. Trotz ESC/EASD-Verbundleitlinie ist wenig passiert in der Versorgungswelt, zumindest in der Fläche gesehen. Woran liegt das?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Die Entwicklung von interdisziplinären Behandlungskonzepten unter Einbeziehung aller relevanten Fachrichtungen zur optimalen ganzheitlichen Behandlung des Patienten (und nicht nur eines erkrankten Organs) ist eine entscheidende Aufgabe und Herausforderung der modernen medizinischen Versorgung. Dazu zählen neben den unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen auch die Einbindung der verschiedenen Behandlungsstrukturen von stationärer zu ambulanter Behandlung, Gesundheitsprävention genauso wie Nachsorge, Rehabilitation, sowie soziale Netze. Die Notwendigkeit dieser interdisziplinären Konzepte können klinische Wissenschaftler belegen. Der Mehrwert einer vernetzten, umfassenden Behandlung sowohl für Patienten als auch für die Gesellschaft wurde durch klinische Kooperationen und Versorgungsforschung gezeigt.

Die Entwicklung und Koordination eines so umfassenden Kontinuums der medizinischen Versorgung ist eine gewaltige Aufgabe, die insbesondere einer gesundheitspolitischen Gestaltung und Lenkung bedarf. Die medizinischen Fachgesellschaften sind sich ihrer Verantwortung als beratende und umsetzende Kraft durchaus bewusst.

Letzte Frage: Aktuell vermittelt sich der Eindruck, dass die Anzahl zertifizierter Herzinsuffizienz-Zentren mit interdisziplinärem Anspruch zunimmt. Welche Rolle spielt die Diabetologie in diesem Setting?
Prof. Dr. Dr. W. Döhner:
Diese Beobachtung ist richtig: Die Zertifizierung für die spezialisierte Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz ist derzeit eine wichtige Entwicklung, die eine optimierte und harmonisierte Versorgung anhand neuester Erkenntnisse und Standards unterstützt. Die umfassende Behandlung der Herzinsuffizienz-Patienten hinsichtlich aller Komorbiditäten ist dabei ein wichtiger Aspekt, die genau die oben diskutierte interdisziplinäre Versorgung anstrebt und verbessern wird. Diabetes mellitus als häufige Komorbidität ist dementsprechend einer der zentralen Aspekte der fachübergreifenden Behandlung. Die enge Verknüpfung der Fachgebiete ist deshalb wichtig für diese spezialisierten Behandlungszentren.

Fußnoten:
[1] Heart Failure with preserved Ejection Fraction
[2] Left Ventricular Ejection Fraction


Das Interview führte:
Katrin Hertrampf
Wissenschaftliche Koordination
Diabeteszentrum am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW)
Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum (UK RUB)
Georgstr. 11, 32545 Bad Oeynhausen


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (7/8) Seite 17-18