In Deutschland gilt jeder fünfte Mensch als adipös.[1] Im Vergleich zu Normalgewichtigen haben stark übergewichtige Menschen ein erhöhtes Risiko Herzkreislauf-Beschwerden zu entwickeln oder an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. In einer Pressemeldung anlässlich des Welt-Adipositas-Tages fordert der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD), Adipositas endlich zu entstigmatisieren, als Volkskrankheit medizinisch und gesellschaftlich anzuerkennen und entsprechend zu versorgen. In Anbetracht stetig steigender Fallzahlen sei das Disease Management Programm (DMP) Adipositas, das voraussichtlich im April in Kraft treten wird, ein erster wichtiger Schritt.

Es sei bekannt, dass Bewegungsmangel und eine hyperkalorische Ernährung für Übergewicht und Adipositas verantwortlich sind, sagt VDBD-Vorstandsmitglied Theresia Schoppe in einer Pressemitteilung des Verbandes und betont:. „Das ist jedoch nicht die alleinige Ursache, Adipositas hat häufig eine multifaktorielle Genese.“

7-fach erhöhtes Risiko für Prädiabetes oder Diabetes

Neuere Studien zeigten, dass viele Betroffene darüber hinaus eine genetische Veranlagung für Adipositas haben – besonders wohl Frauen.[2] So sei eine Fehlfunktion der Hunger- oder Sättigungsregulation im Gehirn für die Gewichtszunahme verantwortlich. „Anstatt Betroffene zu stigmatisieren, sollte Adipositas als komplexe Erkrankung anerkannt und mit entsprechenden gezielten und strukturierten Maßnahmen bekämpft werden, um Folgeerkrankungen zu verhindern“, fordert Schoppe. Denn: Adipositas versiebenfacht beispielsweise das Risiko für einen Prädiabetes oder einen Diabetes mellitus Typ 2 und gilt als Auslöser und Risikofaktor für mehr als 60 weitere Begleit- und Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Herzkreislauf-Erkrankungen.[3,4]

Therapie muss Komplexität der Erkrankung gerecht werden

Bei Adipositas müsse - genau wie bei einem Diabetes Typ 2 - ein intensiver Austausch zwischen Betroffenen und Behandelnden stattfinden. „Es reicht nicht aus, lediglich auf die Notwendigkeit von mehr Bewegung und besserer Ernährung hinzuweisen“, erläutert Schoppe. Das werde der Komplexität der Erkrankung nicht gerecht.

„Doch eine Ernährungs- und Bewegungstherapie sind derzeit im GKV-Katalog nicht abgebildet und werden folglich erstmal nicht finanziert. Es besteht aber die Möglichkeit, eine Ernährungsberatung außerbudgetär anzubieten. Darüber hinaus können Betroffene die Vorteile der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) nutzen – man muss sie nur darauf aufmerksam machen und anleiten“, so Schoppe, Oecotrophologin B.Sc. und Diabetesberaterin DDG. Bedauerlicherweise werden DiGA noch zu zurückhaltend verschrieben.[5]

Bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 helfen von den Kassen finanzierte Disease Management Programme (DMP) weiter. Es handelt sich um strukturierte Behandlungsprogramme, die zudem für mehr Sensibilität für die Erkrankung sowohl bei Behandelnden als auch bei Betroffenen sorgen. Gleichzeitig ermöglichen sie eine interdisziplinäre Behandlung.

DMP-Adipositas soll im April freigegeben werden

Ein entsprechendes DMP Adipositas steht in den Startlöchern und soll im April durch das Bundesgesundheitsministerium freigegeben werden. VDBD-Geschäftsführerin Dr. Gottlobe Fabisch sieht darin eine große Chance für Betroffene: „Es ist ein wichtiger erster Schritt, Adipositas strukturiert zu therapieren, die Erkrankung zu enttabuisieren und den gesellschaftlichen Umgang damit zu verbessern. Äußerst bedauerlich ist allerdings, dass nach gegenwärtigem Stand die Ernährungstherapie auch im künftigen DMP Adipositas nicht zur Regelversorgung gehören wird“.

Präventionsmaßnahmen sind notwendig

„Das alles ersetzt natürlich nicht wichtige Präventionsmaßnahmen, um Adipositas gar nicht erst entstehen zu lassen. Bereits im Kindes- und Jugendalter muss eine Ernährungskompetenz aufgebaut sowie gesundes Essen und ausreichend Bewegung in Bildungseinrichtungen gefördert werden“, gibt Fabisch zu bedenken. Die VDBD-Expertinnen verweisen auf die Forderungen der Deutschen Allianz nichtübertragbare Krankheiten (DANK), die der VDBD als DANK-Mitglied ebenfalls unterstützt.


Literatur
1 Anja Schienkiewitz, Ronny Kuhnert, Miriam Blume, Gert B.M. Mensink. Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland – Ergebnisse der Studie GEDA 2019/2020-EHIS. Journal of Health Monitoring · 2022 7(3). DOI 10.25646/10292 Robert Koch-Institut, Berlin, https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/FactSheets/JHealthMonit_2022_03_Uebergewicht_GEDA_2019_2020.pdf?__blob=publicationFile
2 Lechner L et al. Early-set POMC methylation variability is accompanied by increased risk for obesity and is addressable by MC4R agonist treatment. Sci Transl Med 2023 Jul 19. doi: 10.1126/scitranslmed.adg1659, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37467315/
3 Clodi M et al., Adipositas und Typ-2-Diabetes (Update 2023), Wien Klin Wochenschr. 2023; 35(Suppl 1): 91–97. Published online 2023 Apr 20. German. doi: 10.1007/s00508-023-02184-6 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10133053/
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Quelle: Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. | Redaktion

Redaktion diabetologie-online