Die Diabetische Retinopathie ist eine schwerwiegende Folgeerkrankung. Ursächlich sind weiterhin schlechte Blutdruckwerte. Was man präventiv gegen die Erkrankung tun kann und wie behandelt werden sollte, das weiß Prof. Marcus Blum aus Erfurt.
Die Diabetische Retinopathie (DR) ist eine Mikroangiopathie der Netzhaut. Hauptursache ist neben den durch die Grunderkrankung verursachten Blutzuckerschwankungen auch ein häufig vergesellschafteter Bluthochdruck. Die Veränderungen an den Blutgefäßen entstehen langsam und über Jahre. Während Pubertät und Schwangerschaft kann es zu schnellerem Fortschreiten der Veränderungen kommen.
Mit der Dauer der Grunderkrankung steigt die Inzidenz der Diabetischen Retinopathie. In älteren Studien waren nach 20 Jahren Krankheitsdauer bis zu 90% der Menschen mit Typ-2-Diabetes von Netzhautveränderungen betroffen. Neuere Studien zeigen einen Rückgang, aber auch jetzt ist noch jeder 3.-4. Patient betroffen. Deshalb sollte ein neu diagnostizierter Patient mit Diabetes mellitus, auch im höheren Alter, routinemäßig einmal einem Augenarzt vorgestellt werden. Je nach Vorliegen und Stadium der Veränderungen kann dann über die Notwendigkeit und das zeitliche Intervall der weiteren Kontrollen entschieden werden. Sind keine Veränderungen an der Netzhaut feststellbar und auch keine erhöhten Risikofaktoren vorhanden genügt eine Kontrolluntersuchung im Abstand von 2 Jahren.
Die Diabetische Retinopathie (DR) wird in folgende Stadien eingeteilt:
- Milde und mäßige nicht proliferative diabetische Retinopathie (NPDR)
- Schwere nicht proliferative Retinopathie
- Diabetische Makulopathie
- Proliferative diabetische Retinopathie
Milde und mäßige nicht-proliferative Retinopathie
In diesem Stadium zeigen die Netzhautgefässe erste Aussackungen (= Mikroaneurysmen). Diese verursachen insbesondere in der Peripherie der Netzhaut keine Sehstörung – der Patient wird also subjektiv keine Veränderung seines Sehens feststellen, muss aber engmaschiger kontrolliert werden. Bei der mäßigen Form treten zu den Mikroaneurysmen Blutungen in der Netzhaut und beginnende Lipidablagerungen ("harte" Exsudate). Eine gute Stoffwechsel- und konsequente Blutdruckeinstellung sind Eckpfeiler der Therapie. Diagnostisch kann eine Floureszensangiographie hilfreich sein, um die Veränderungen zu klassifizieren. Eine punktförmige (= fokale) Lasertherapie kann indiziert sein, eine die ganze Netzhaut erfassende (= panretinale) Lasertherapie sollte noch nicht erfolgen.
Schwere nicht proliferative Retinopathie
Es bestehen multiple Blutungen in allen 4 Quadranten der Netzhaut. Die Venen zeigen Verdickungen und Segmentierungen ("perlschnurartig"), als Zeichen der Ischämie entstehen "Cotton-wool-Flecken" (Abbildung oben links). Wenn nicht eingegriffen wird, schreiten die Veränderungen bei der Hälfte der Patienten innerhalb eines Jahres zur proliferativen diabetischen Retinopathie fort. Deshalb kann bei den Patienten in diesem Stadium mit einer panretinalen Laserbehandlung begonnen werden.
Diabetische Makulopathie
Das Klinisch signifikante Makulaödem (KSMÖ) ist die Veränderung, die auch vom Patienten subjektiv wahrgenommen wird. Es ist die häufigste Ursache einer deutlichen Sehverschlechterung mit Visusabfall und verzerrtem Sehen von Linien. Es besteht ein Netzhautödem mit einer Verdickung in der Netzhautmitte (= Makula). In einer 500 µm Zone um die Makula herum finden sich Lipidablagerungen ("harte Exsudate"). Mit einem OCT-Schnittbild können diese Veränderungen gut dargestellt und auch dem Patienten demonstriert werden. Während früher die Laserkoagulation die einzige Therapieoption für ein Makulaödem war, gibt es heute klare Empfehlungen für das Injizieren von Medikamenten in den Glaskörperraum des Auges. Diese Injektionen müssen von einem Augenarzt unter sterilen Bedingungen durchgeführt und in definierten Abständen auch wiederholt werden, da die Wirkung der Substanz im Auge im Laufe von einigen Wochen nachlässt. Es sind am Anfang mehrere Injektionen erforderlich (ein sogenanntes "upload" in monatlichen Abständen).
Dies hat für den Patienten die Konsequenz unerfreulich häufiger Arztbesuche. Je nach Entfernung zwischen Wohnort und augenärztlicher Einrichtung kann, insbesondere im ländlichen Raum, ein erhebliches Transportproblem entstehen. Der Compliance und Führung auch durch behandelnde Hausärzte und Internisten kommt eine nicht zu unterschätzende wichtige Bedeutung zu. Weiterhin besteht bei jeder Injektion das Risiko einer Endophthalmitis. Diese zwar seltene, aber schwere Komplikation zwingt zur genauen Beachtung der anti-septischen Maßnahmen und Durchführung der Injektion in einem Operationssaal mit entsprechender Schutzkleidung. Eine lokale antibiotische Therapie mit Augentropfen scheint keinen zusätzlichen Schutz zu bieten.
Nach der Upload-Phase können die Intervalle individuell verlängert werden. Eine Selbstkontrolle der Patienten mit Nutzung eines Gittermusters (Amsler Test), um die Abnahme oder Zunahme der Verzerrungen und damit die Ausprägung des Makulaödems zu kontrollieren, erleichtert die Steuerung.
Proliferative diabetische Retinopathie
Von einer proliferativen Retinopathie (PDR) spricht man, wenn Neovaskularisationen auftreten. Die Gefäßwucherungen treten bevorzugt an der Papille und den großen Gefäßbögen auf. Mit den sich fächerförmig ausbreitenden Neovaskularisationen wächst auch Bindegewebe vor, was zur Ausbildung von Membranen führen kann. Zu einer dramatisch schnellen Sehverschlechterung kann es kommen, wenn die neugebildeten Gefäße einreißen und es zur Glaskörperblutung kommt. Die Gefäßneubildungen können sich aber auch im vorderen Augenabschnitt (Iris und Kammerwinkel) fortsetzen und dadurch eine schwere Abflussstörung des Kammerwassers verursachen (sekundäres neovaskuläres Glaukom – Gefahr der Erblindung).
Behandelt werden kann auch hier mit der Injektion von Medikamenten oder – um dem Patienten immer wiederkehrende Injektionen zu ersparen - mit einer ausgedehnten Laserkoagulation (panretinal). Die Netzhaut wird, unter Aussparung der Makula, in mehreren Sitzungen mit mehreren tausend Laserherden verödet (Abbildung oben rechts). Der Laser koaguliert nur die äußere Netzhautschicht und schont die dazwischen liegenden Areale, damit weiterhin eine Sehleistung möglich ist. Die Behandlung bessert die Sauerstoffversorgung der Netzhaut, führt allerdings zu einer konzentrischen Gesichtsfeldeinschränkung.
In fortgeschrittenen Fällen muss der Augenarzt mit einer Operation den eingebluteten und verschwielten Glaskörper entfernen (pars-plana Vitrektomie = ppV), und das Auge wird dann mit einem Luft-Gasgemisch oder auch mit Silikonöl gefüllt. Während ein Luft-Gasgemisch sich im Laufe von Tagen bis wenigen Wochen resorbiert und damit natürlich auch die Tamponade Wirkung verschwunden ist, verbleibt das Silikonöl länger im Auge, hat damit anhaltende Tamponade Wirkung, und muss aber in einer weiteren Operation entfernt oder manchmal auch ausgetauscht werden. Da das Silikonöl einen anderen Brechungsindex als Wasser hat, verändert sich nach einer Ölimplantation die Refraktion und damit das Brillenglas des Patienten. Weiterhin ist bekannt, dass die Linse des Auges nach Vitrektomien schneller und häufiger eintrübt. Deshalb soll – auch wenn der Schwerpunkt der augenärztlichen Versorgung bei Menschen mit Diabetes mellitus sicher im hinteren Augenabschnitt liegt – noch kurz auf die Veränderungen auch im vorderen Augenabschnitt eingegangen werden.
Veränderungen im vorderen Augenabschnitt
Die Zusammensetzung des Tränenfilms auf der Augenoberfläche war in den vergangenen Jahren Gegenstand sehr zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen. Patienten mit Diabetes mellitus leiden signifikant häufiger unter einem "trockenen Auge". Der Einsatz von Tränenersatzmitteln, möglichst ohne Konservierungsmittel, kann ohne Zögern angeraten werden. Das Tragen von Kontaktlinsen sollte bei entsprechender Symptomatik kritisch hinterfragt werden.
Es gilt als gesichert, dass Menschen mit Diabetes früher von einer Katarakt (= grauer Star) betroffen werden. Eine Verschlechterung des Sehens kann also auch durch die Linsentrübung verursacht werden. Wenn die Linsentrübung durch den schlechten Einblick die Befundung der Netzhautveränderung beeinträchtigt, ist die Operationsindikation mit Einsetzen einer Kunstlinse zu stellen. Durch die Operation kann sich die Netzhautsituation verschlechtern, und deshalb sollten perioperativ am besten engmaschigere Kontrollen erfolgen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (7/8) Seite 45-47