Um das Diabetische Fußsyndrom erfolgreich zu behandeln, bedarf es interprofessioneller Zusammenarbeit. Wie Amputationen verhindert werden können, lesen Sie hier.
Menschen mit Diabetes (MmD) haben ein hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens ein Diabetisches FußSyndrom (DFS) zu entwickeln. Für Deutschland rechnet man jährlich mit 550.000 bis 850.000 Betroffenen (Eckhard et al. 2024). Wenn Patienten nicht in Anfangsstadien der Erkrankung vorstellig werden, kann es unbehandelt zu einer sehr schnellen Ausbreitung auf weite Teile des Fußes kommen. Oft verantwortlich ist eine Kombination aus Infektion und Perfusionsstörung. Ziel der Therapie ist somit eine schnellstmögliche Fokussanierung, Einleitung einer zielgerichteten Antibiose, Optimierung der lokalen Perfusion und Beherrschung der internistischen Begleit-erkrankungen. Bereits zerstörte Teile eines Fußes lassen sich nur bedingt wieder herstellen (Werner, Braatz 2022). Bei etwa 15 bis 20 % der stationär behandelten Patienten wird eine Amputation notwendig (Eckhard et al. 2024). Jährlich werden in Deutschland etwa 40.000 bis 50.000 Amputationen im Bereich der unteren Extremitäten (Spoden 2019), davon 65–70 % bei Patienten mit Diabetes mellitus durchgeführt (Morbach 2024). Ziel dieser Eingriffe sollte ein weitestgehender Erhalt der Beinlänge und die Herstellung eines belastbaren Fußes bzw. Stumpfes sein. Durch Fortschritte in der Medizin war es nicht nur möglich, die Anzahl der Majoramputationen (über dem Sprunggelenk) von 45 % (Heller 2004) auf etwa 10% (Bohn 2018) zu senken - auch schwierigste Wundheilungsstörungen können heute erfolgreich beherrscht werden (Werner, Braatz 2022). Man findet Unterschiede, ob die Behandlung der Patienten in spezialisierten Zentren oder in der Regelversorgung erfolgte. In zertifizierten Fußzentren liegen die Majoramputationsraten um 3% (Morbach 2016). Auch Amputationen unterhalb des Sprunggelenkes (Minoramputationen) waren in Deutschland rückläufig (Claessen et al. 2018). Ermöglicht wird dies durch Spezialisierung und koordinierter Zusammenarbeit einer Vielzahl von Berufsgruppen.
Fall 1: Patient S.P., geb. 1971 (Abbildungen 1-2)
Hier wurde nach Chopart-Amputation ein individueller Softcast angefertigt. Er wurde durch eine über dem Verband angebrachte Wattebinde gepolstert und diente als Anstoßschutz. Kurze Standphasen zum Transfer in den Rollstuhl waren möglich. Zu Verbandswechsel konnte der Softcast abgenommen werden. Bedingung für diese Versorgung ist eine nur gering sezernierende Wunde und nicht vorhandene Ödeme.
Fall 2: Patient P.D., geb. 1977 (Abbildungen 3-6)
Der Patient wurde wegen eines infiziertem Stumpfulcus bei sekundärer Wundheilung nach Vorfußamputation rechts behandelt. Der Restfuß stand bei gleichzeitig vorliegender inaktiver DNOAP nicht achsgerecht. Die Wundsekretion war mäßig. Nach Beherrschen der Infektion konnte die Wunde stabilisiert und mit einen PU-Schaum versorgt werden. Wir entschlossen uns zur Anfertigung eines Interimsschuhs. Damit waren Transfers aus dem Rollstuhl und die Bewältigung kurzer Gehstrecken (Wege im Bad etc.) möglich.

Definierte Amputationslinien
Amputationen im Bereich der Füße werden in der Regel im Bereich definierter Amputationslinien durchgeführt. Man unterscheidet dabei zwischen Vor- und Rückfußamputationen. Zehenamputationen, Mittelfußamputationen bis zur Bona-Jäger-Amputationslinie, Knochenresektionen und Teilamputationen einzelner Fußstrahlen rechnet man zu den Vorfußamputationen. Zu den Rückfußamputationen zählen Ablationen im Bereich der Chopart-Gelenklinie, Amputationen nach Pirogoff/Spitzy, Syme-Amputationen und Knochenresektionen im Fußgelenkbereich (Greitemann et al. 2016). Allen gemein ist eine Reduktion der Standfläche und eine Veränderung der Biomechanik des Fußes. Um die Mobilität der Patienten weiter zu gewährleisten und Rezidivulcera zu vermeiden, ist nach Abheilung der OP-Wunde eine Versorgung mit Hilfsmitteln notwendig. Die Auswahl richtet sich nach dem Ausmaß der Operation. Nach Zehenamputationen ist in der Regel die Ordination von Schutzschuhen mit diabetesadaptierter Weichbettung ausreichend. Prinzipiell könnten Silikonprothesen angefertigt werden. Dies ist bei Patienten mit DFS wegen der peripheren Polyneuropathie und dem vermindertem Schutzgefühl (englisch: loss of protective sensation, LOPS) oder/und gestörten Perfusionsverhältnissen eher kritisch zu sehen. Das Problem sind nicht bemerkte lokale Druckstellen. Nach Mittelfußknochenresektionen sollte der Fuß mit einer stützenden Einlage, einer Sohlenversteifung und einer Abrollhilfe geschützt werden. Der Scheitelpunkt der Stützung und der Rolle muss proximal der Resektionslinie liegen. Da sich das Ganggefühl der Patienten durch diese Versorgung verändert, sollte dies im Vorfeld mit dem Patienten besprochen werden. Dadurch lässt sich die Akzeptanz zum Tragen dieser Schuhe verbessern. Nach Strahlresektionen reicht in den meisten Fällen die Versorgung der MmD mit einem semiorthopädischen Schuh, ggf. mit Sohlenversteifung und einer Abrollhilfe. Nach transmetatarsalen Amputationen besteht die Versorgung aus Schutzschuhen inklusive Sohlenversteifung, Abrollsohle und einem Vorfußersatz. Eine Höherversorgung mit Maßschuhen ist in allen besprochenen Fällen notwendig, wenn zusätzliche Fußdeformitäten bestehen. Nach Rückfußamputationen kommen orthopädische Maßschuhe oder spezielle Prothesen zum Einsatz (Greitemann 2017).
Fall 3: Patientin P.G., geb. 1957 (Abbildungen 7-10)
Hier kam es nach Chopart-Operation links zu einer mäßig ausgeprägten Wundheilungsstörung am lateralen Rand der OP-Naht und kleineren zentralen Nahtdehiszenzen. Wir versuchten eine trockene Wundbehandlung. Nachdem dies möglich war, wurde zur weiteren Entlastung eine Carbonorthese angefertigt. Mit Unterarmgehstützen war eine Teilbelastung möglich
Fall 4: Patient S.S., geboren 1943 (Abbildungen 11-13)
Trotz präoperativ erfolgreicher Verbesserung der arteriellen Perfusion (PTA A. fibularis + A. tibialis posterior rechts) kam es nach Chopart-OP zu einer schweren Wundheilungsstörungen im Amputationsgebiet. Durch Entlastung, Lokalbehandlung und Anwendung von Kaltplasma gelang eine Stabilisierung der Amputationsnaht. Für erste Belastungen über kurze Gehstrecken im Zimmer wurde eine Zweischalenorthese + Höhenausgleich angefertigt. Um eine höhere Entlastung des Stumpfes zu gewährleisten, wurde die Orthese mit Kondylenabstützungen gefertigt. Der Patient konnte so erfolgreich teilmobilisiert werden. Für größere Wegstrecken wurde ein Rollstuhl rezeptiert.

Wundinfektionen
Bei MmD treten nach Amputationen häufiger als bei Menschen ohne Diabetes Wundinfektionen und Wundheilungsstörungen auf (Hachenberg 2010). Eine Stoffwechseldekompensation oder eine pAVK lassen sich zwar therapeutisch akut verbessern, allerdings kann man wenig gegen chronische strukturelle Veränderungen der Gewebe oder das wegen einer peripheren Polyneuropathie verminderte Schutzgefühl ausrichten. Die Betroffenen belasten häufig zu frühzeitig und unkontrolliert ihre operierte Extremität. Eine Teilbelastung ist wegen des fehlenden Schmerzempfindens praktisch schwer steuerbar. Die Ruhigstellung im Bett durch Ausweitung der Verweildauer im Krankenhaus ist nicht nur ökonomisch schwer zu begründen. Es sprechen auch medizinische und soziale Aspekte dagegen. Somit muss die Zeit bis zur endgültigen Hilfsmittelversorgung überbrückt werden. Je nach Zustand der Wunde können unterschiedliche Konzepte verfolgt werden. Die Auswahl richtet sich nach der durchgeführten Operation, nach den Wundverhältnissen, den Wünschen und kognitiven/sozialen Ressourcen des Patienten sowie der Verfügbarkeit der Hilfsmittel im Behandlungssetting. Den Behandlern sollte dabei bewusst sein, dass keine vollständige Entlastung des Fußes erreicht wird (Withers R et al. 2023). Die Gehstrecken sollten eingeschränkt bleiben. Hilfreich ist die zusätzliche Ordination eines Rollstuhls.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 46-48