Fallstricke bei AID-Systemen: Rund 11 Millionen Menschen sind in Deutschland von Diabetes betroffen. Viele derer werden in Kliniken behandelt, und viele nutzen bereits AID-Systeme. Wie man damit umgehen sollte, lesen Sie hier.
Aktuell beträgt die Anzahl der von Diabetes Betroffenen in Deutschland rund 11 Millionen Menschen. Diese teilt sich wie folgt auf: 8,1 Millionen Menschen mit einem Typ 2 Diabetes und rund 372 000 mit einem Typ 1 Diabetes. Von diesen tragen wiederum ca. 120 000 eine Insulinpumpe, wobei die Tendenz steigend ist.
Dies führt auch zu einem starken Wandel in der Betreuung der Patienten. Die Beratungsaufgaben werden immer komplexer und das nötige zu vermittelnde Wissen immer umfangreicher. Dadurch ist die bisher für Beratung eingeplante Zeit oft sehr knapp bemessen, um den Ansprüchen des Patienten gerecht zu werden.
Im Klinikalltag ergeben sich immer neuen Herausforderungen. Die Insulinpumpenträger zeigen sehr häufig Schulungsdefizite. An dieser Stelle muss ganz deutlich gesagt werden, dass eine technische Einweisung in keinem Fall die Schulung auf eine Insulinpumpe und schon gar nicht auf ein AID-System ersetzen kann. Dazu gibt es auch eine Stellungnahme auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft/AGDT. Aufgrund unzureichenden Wissens der Patienten werden sehr häufig Funktionen der Insulinpumpen nicht genutzt (z.B. temporäres Sensor-Glukose-Ziel, Aktivität, Bewegung oder Schlaf). Dies hindert wiederum die Systeme daran, die Glukoseverläufe zu stabilisieren oder im richtigen Umfang anzupassen. Durch nicht ausreichende Schulung sind die Betroffenen häufig nicht in der Lage, bei einem Systemausfall adäquat zu handeln und die Therapie ohne AID-System durchzuführen.
Betroffene kennen oft nicht den Unterschied zwischen KE-Faktoren und Kohlenhydrat-Insulin-Verhältnissen. So kommt es regelmäßig vor, dass wir AID-Systeme sehen, in welchen statt dem KI-Verhältnis KE-Faktoren programmiert sind und somit den Erfolg der Therapie verhindern.
Es kommt vor, dass bereits die Grundprogrammierungen nicht richtig vorgenommen werden. So wird oft das Körpergewicht zu niedrig eingegeben. Insulinpumpen sind nur bis zu einem bestimmten Höchstgewicht zugelassen. Bei der t:slim X2 mit Control IQ ist beispielsweise die Eingabe ein Gewichts von maximal 140 kg möglich. Sind Nutzer deutlich schwerer, führt es dazu, dass der Algorithmus nicht korrekt arbeiten kann. Kommt es im Laufe der Zeit zu einer Veränderung des Körpergewichts der Patienten, sollte auch daran gedacht werden, dieses in der Grundprogrammierung anzupassen. Bei der Auswahl eines für den Patienten geeigneten AID-Systems müssen die Rahmenbedingungen des Patienten Berücksichtigung finden. Neben dem Körpergewicht sollte auch die Tagesinsulindosis ein Faktor bei der Auswahl der Systeme sein. Beide Variablen sind je nach System mit den jeweiligen Maximalwerten unterschiedlich festgelegt. Auch die motorischen Fähigkeiten oder die Sehkraft des Patienten sind wichtige Parameter. So gibt es Insulinpumpen, bei denen vorgefüllte Insulinampullen (PumpCart) benutzt werden können. Bei einer eingeschränkten Sehkraft ist es aus unserer Erfahrung heraus oft hilfreich, Pumpen mit einem Display auszuwählen, die einem scharfen Kontrast und ein größeres Schriftbild bieten.
- die den Blutzucker nicht wie vom Arzt empfohlen bestimmen
- die Kohlenhydrate nicht richtig berechnen können
- die sich nicht selber ausreichend um die Diabetestherapie kümmern können
- die nicht ausreichend Hören bzw. Sehen
- die mit Schizophrenie, Depressionen, Essstörungen oder Suchterkrankungen zu tun haben
- die motorische Einschränkungen haben, die ein sicheres Bedienen der Insulinpumpe nicht zulassen
- die in der Dialyse sind (einige CGM-Systeme sind nicht bei Dialyse getestet worden)
Auch die Programmierung der Insulinpumpen und Apps stellen offensichtlich für viele Menschen eine große Hürde dar. So finden wir immer wieder Systeme, in denen weder das Datum noch die Uhrzeit stimmen. Weitere Fehler sind KE-Faktoren, die statt der notwendigen KI-Verhältnisse hinterlegt sind sowie Mahlzeitengrößen oder Zeitblöcke im Bolusrechner, die nicht mit der Realität oder dem Alltag des Betroffenen übereinstimmen.
Ein besonderes Augenmerk muss ebenfalls auf die Injektionsstellen gelegt werden. Auch hier stellen wir immer wieder fest, dass die Kanülen in Lipohypertrophien gesetzt werden. Ab dem Moment, wo alternative Injektionsstellen verwendet werden, sinkt der Insulinbedarf jedoch drastisch.
Auch die verwendeten Insulinarten sollten beachtet werden. So unterscheiden sich die verschiedenen Insulinpräparate in ihrer chemisch / physikalischen Struktur. Je nach Hersteller, der Zusammensetzung, der Nutzungsdauer und des individuellen Infusionssets kann es zur Bildung von sogenannten Fibrillen kommen. Hierbei handelt es sich um Zusammenlagerung der einzelnen Insulinketten, was zu einer reduzierten blutglukose-senkenden Wirkung, aber auch zu einer Okklusion im Infusionsset führen kann. Daher ist je nach Pumpensystem auf die dafür zugelassenen Insulinarten zu achten. Um eine Okklusion zu verhindern, ist es auch wichtig, mit den Patienten die Notwendigkeit von regelmäßigen Wechselintervallen zu besprechen. Diese werden häufig unter Alltagsbedingungen nicht regelmäßig durchgeführt.
Gerade bei der Tandem t:slim X2 ist es zwingend erforderlich, die Basalrate genau zu bestimmen und diese mit Hilfe von Teilfastentests zu überprüfen. Nur mit einer stimmigen Basalrate ist es möglich, dass der Algorithmus eine prozentuale Anpassung der Basalrate vornehmen kann.
Durch die Analoginsuline ist der Spritz-Ess-Abstand oder Bolus-Ess-Abstand leider etwas aus der Mode gekommen. Doch gerade beim ersten Frühstück oder allen Mahlzeiten mit vielen schnell verwertbaren Kohlenhydraten sollte dieser weiterhin in den Fokus gestellt werden.
Egal wie gut die AID-Systeme sind - auch wenn alles richtig programmiert ist, der jeweilige Algorithmus kann nur korrekt arbeiten, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Sensordaten stimmen. So sollte diesen nicht blind vertraut werden. An dieser Stelle gilt die Empfehlung, "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Ein regelmäßiges Überprüfen der gemessenen Glukosewerte sollte stets erfolgen.
Was nützen die besten Systeme, wenn der Betroffene damit nicht zurechtkommt oder sich nicht mit dem System identifizieren kann? So treffen wir immer wieder auf Insulinpumpenträger, die nicht in die Auswahl der Insulinpumpe einbezogen wurden und dann mit dem Model unzufrieden sind. Wir empfehlen, die Auswahl des Systems dem Betroffenen zu überlassen. Die verschiedenen Systeme sollten wertneutral vorgestellt werden. Die Vorlieben der Behandler sollten nicht im Vordergrund
stehen.
Wichtig ist die Beachtung klarer Kontraindikationen für Insulinpumpensysteme. Diese findet man in den Handbüchern der jeweiligen Hersteller.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (4) Seite 36-37