Erfahrung Kaum einer kennt die Diabeteswelt so gut wie Prof. Dr. Hellmut Mehnert. Der Pionier der Diabetologie über die Digitalisierung beim Diabetes und was er davon hält.

Eine rasante Entwicklung hat in den letzten Jahren die Selbstkontrolle bei der Blutzucker- und der Gewebezuckermessung genommen. Das finde ich herausragend. Heute hat der Patient ja die Möglichkeit, unblutig und jederzeit seinen Zucker zu messen – entweder mit der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) oder mit dem Flash Glukose Monitoring (FGM). Für Kinder mit Diabetes ist das besonders wichtig, denn so können die Eltern z.B. auch nachts den Zucker messen, ohne dass es das Kind mitbekommt.

Praktisch: Zuckerwerte an den Arzt schicken

Die Vorteile der Digitalisierung, etwa durch die Nutzung von Apps für das Smartphone oder das Tablet, sind natürlich evident. Mit der neuen Technologie kann der Patient jederzeit seine Werte elektronisch übertragen bzw. an den Arzt schicken. Damit wird die Selbstkontrolle in vielen Punkten bereichert.

Zweifellos zu den Vorteilen der Digitalisierung gehört es etwa auch, dass Menschen mit Diabetes, die auf dem Land leben und keinen Arzt in der Nähe haben bzw. lange Wege zur nächsten Praxis zurücklegen müssen, sich durch die digitale Unterstützung ärztliche Hilfe holen können, ohne ihr Haus zu verlassen.

Fußkontrolle nicht digital möglich

Nachteile sehe ich im digitalen Bereich auf verschiedenen Ebenen. Meine Befürchtung ist eine zu starke Orientierung an Messwerten statt einer ganzheitlichen Betrachtung des Patienten. Das wichtige persönliche Gespräch darf nicht fehlen. Wichtig ist auch die Erfassung des Gesamtzustands des Patienten bzw. die regelmäßig notwendigen körperlichen Untersuchungen, wie die Betrachtung und Ermittlung des diabetischen Fußes. Das lässt sich digital nicht machen. Der Arzt muss sich den Fuß ja ansehen, um die richtige Behandlung einzuleiten.

Für den Arzt kann die Digitalisierung auch zu einer Überlastung werden. In einer Praxis mit 1000 Diabetespatienten pro Quartal z.B. ist das Auslesen der ganzen Glukosedaten schon ein Mehraufwand. Der Arzt kann nunmal nicht ständig an seinem Rechner sitzen.

Die Digitalisierung ist zudem ein Kassenproblem: Wie wird das Ganze abgerechnet? Die Übermittlung von Gesundheitsdaten, z.B. per Mail, ist zwar ein Patientenkontakt, aber eben kein direkter. Und für den Patienten hat die Digitalisierung den Nachteil, dass dabei der direkte persönliche Kontakt zum Arzt fehlt.

Closed Loop in Sicht

Als wichtigste Neuerung beim Diabetes im digitalen Gesundheitsmarkt sehe ich die CGM-Systeme und die sich daraus ableitende Entwicklung des Closed Loop-Systems. Prof. Dr. Thomas Forst aus Mainz hat sehr schön beschrieben, wie das sog. künstliche bzw. artifizielle Pankreas voran schreitet. Das ist eine gewaltige Fortentwicklung.

Den technischen Fortschritt bei der Glukosemessung halte ich generell für hervorragend. Auch mit Blick in die Zukunft. Der HbA1c-Wert gibt ja nur einen groben Überblick. Und einzelne Blutzuckermessungen verfehlen unter Umständen hyper- und hypoglykämische Punkte. Auch das Ablesen von Glukosetrends ist eine tolle Sache.

In meiner diabetologischen Laufbahn habe ich seinerzeit kein digitales Diabetes-Management eingesetzt, weil es das einfach noch nicht gab. Heute bin ich ja nicht mehr aktiv als Diabetologe tätig. Aber ich nutze natürlich das Internet.

Allen Kollegen rate ich, nicht auf die persönliche Kontaktaufnahme zum Patienten zu verzichten. Auf keinen Fall dürfen diese digitalen Mittel, die zwar so wichtig und neu und – in Grenzen – gut sind, das persönliche Gespräch ersetzen.



von Prof. Dr. Hellmut Mehnert

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (3) Seite 8