Patienten mit einer chronischen Wunde am Fuß müssen in besonderer Weise versorgt werden. Dabei spielt die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten im Rahmen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) eine große Rolle.

Jens Spahn, seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, wurde am 14. März 2018 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Bundesminister für Gesundheit ernannt. Da er sich schon seit 2005 intensiv mit den Themen der Gesundheitspolitik beschäftigt hatte (er war viele Jahre gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion), konnte er im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sofort richtig „loslegen“: Laut Deutschem Ärzteblatt vom 23. August 2021 hat das BMG seit März 2018 insgesamt 37 Gesetze und über 100 Verordnungen in den Bundestag eingebracht, die parlamentarisch diskutiert, oft kritisiert, aber alle in Kraft gesetzt wurden, häufig mit wohlklingenden Namen, wie z.B. das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG).

Das vorerst letzte Gesetz aus dem BMG unter der Leitung von Jens Spahn war das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG), das am 11. Juli 2021 vom Bundestag beschlossen wurde. Wie bei den zuvor verabschiedeten Gesetzen üblich, werden auch im GVWG mehrere unterschiedliche Bereiche des Gesundheitswesens neu geregelt. Im GVWG findet sich unter anderem folgender Paragraph:

§ 64d Verpflichtende Durchführung von Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten

(1) Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen führen gemeinsam in jedem Bundesland mindestens ein Modellvorhaben nach § 63 zur Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heilkunde handelt, auf Pflegefachkräfte mit einer Zusatzqualifikation nach § 14 des Pflegeberufegesetzes im Wege der Vereinbarung nach Maßgabe des Rahmenvertrages nach Satz 4 durch. In den Modellvorhaben sind auch Standards für die interprofessionelle Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Vorhaben beginnen spätestens am 1. Januar 2023. Die Spitzenorganisationen nach § 132a Absatz 1 Satz 1 und die Kassenärztliche Bundesvereinigung legen in einem Rahmenvertrag die Einzelheiten bis zum 31. März 2022 fest. Der Bundespflegekammer und den Verbänden der Pflegeberufe auf Bundesebene und der Bundesärztekammer ist vor Abschluss des Rahmenvertrages Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(2) In dem Rahmenvertrag nach Absatz 1 Satz 4 ist insbesondere folgendes festzulegen:
  • 1. ein Katalog der ärztlichen Tätigkeiten, die von Pflegefachkräften nach Absatz 1 Satz 1 unter Berücksichtigung der von der Fachkommission nach § 53 des Pflegeberufegesetzes entwickelten, standardisierten Module nach § 14 Absatz 4 des Pflegeberufegesetzes selbständig durchgeführt werden können,
  • 2. Vereinbarungen zur ausgewogenen Berücksichtigung aller Versorgungsbereiche bei der Durchführung von Modellvorhaben,
  • 3. einheitliche Vorgaben zur Abrechnung und zu Maßnahmen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit,
  • 4. Rahmenvorgaben für die interprofessionelle Zusammenarbeit.

Kommt der Rahmenvertrag nicht innerhalb der Frist nach Absatz 1 Satz 4 zustande, wird der Inhalt des Rahmenvertrages durch eine von den Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige Schiedsperson innerhalb von drei Monaten auf Antrag einer der Vertragspartner oder des Bundesministeriums für Gesundheit festgelegt. Einigen sich die Vertragspartner nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese vom Bundesamt für Soziale Sicherung bestimmt. Die Kosten des Schiedsverfahrens tragen die Vertragspartner zu gleichen Teilen.

(3) Die Modellvorhaben sind längstens auf vier Jahre zu befristen. § 65 gilt mit der Maßgabe, dass der Evaluationsbericht einen Vorschlag zur Übernahme in die Regelversorgung enthalten muss. Nach Ablauf der Befristung und bis zur Vorlage des Evaluationsberichts können die Beteiligten nach Absatz 1 Satz 1 das Modellvorhaben auf Grundlage eines Vertrages über eine besondere Versorgung der Versicherten nach § 140a fortführen. Enthält der Evaluationsbericht einen Vorschlag, der die Übernahme in die Regelversorgung empfiehlt, können die Beteiligten nach Absatz 1 Satz 1 das Modellvorhaben im Rahmen eines Vertrages über eine besondere Versorgung der Versicherten nach § 140a fortführen.

Schon seit Jahren gab es die Möglichkeit, ärztliche Tätigkeit im Rahmen eines Modellprojektes durch nichtärztliches medizinisches Personal zu substituieren. Meines Wissens wurde dies aber in der Vergangenheit nicht umgesetzt. Mit dem § 64d des GVWGs erhält das Thema „Substitution ärztlicher Tätigkeit“ aber eine neue Dimension bzw. eine neue Dynamik: die gesetzlichen Krankenkassen werden verpflichtet, bis zum 1. Januar 2023 solche Modellvorhaben bundesweit zu starten.

Ein möglicher Bereich für solche Modellvorhaben zur Substitution von ärztlichen Tätigkeiten wäre die Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden. Hier existieren schon nichtärztliche Leistungsanbieter, die nur darauf warten, diesen Bereich vollständig übernehmen zu können. Das wird dann natürlich auch die Versorgung von Patienten mit einem Diabetischen Fußsyndrom betreffen.

Fatale Behandlungsfolgen verhindern

Was passieren kann, wenn ein Patient mit einer chronischen Wunde von „Therapeuten“ versorgt wird, die unzureichende Kenntnisse und wenig Erfahrung mit der Versorgung einer chronischen Wunde haben, möchte ich an folgendem Patientenbeispiel darstellen.

Die Patienten, Jahrgang 1928 mit in diesem Alter typischen Erkrankungen (Diabetes mellitus Typ 2, periphere AVK, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Z.n. Aortenklappenersatz mittels TAVI = Transcatheter Aortic Valve Implantation, Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern; Vorhandensein eines Herzschrittmachers, Arterielle Hypertonie, Z.n. Hirninsult) hatte im Juni 2021 eine akute Ischämie des linken Beines, bedingt durch einen embolischen Verschluss der A. femoralis superficialis und der A. poplitea links. Es erfolgte eine direkte Embolektomie, die Operationswunde am linken Unterschenkel konnte nicht primär geschlossen werden. Nach insgesamt 5-wöchiger stationärer Behandlung, in der keine Wundheilung erreicht werden konnte, wurde die Pat. von ihrer Hausarztpraxis und einem ambulanten Pflegedienst, der täglich den Verbandswechsel am linken Unterschenkel durchgeführt hat, in ihrem häuslichen Umfeld weiterbetreut. Bei der Entlassung war die Nierenfunktion der Pat. deutlich eingeschränkt (GFR unter 10 ml/min).

Abb. 1: Sekundär heilende Wunde am linken Unterschenkel mit noch vorhandenem Nahtmaterial und eingelegtem Wundvlies.

Die Wundkontrolle erfolgte hauptsächlich durch Mitarbeiter/innen des ambulanten Pflegedienstes. Da die Läsion am linken Unterschenkel wenig Heilungstendenz zeigte, initiierte eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes einen Abstrich der Wunde durch die Hausarztpraxis und es wurde direkt nach dem Abstrich – ohne das Ergebnis der Keimdifferenzierung abzuwarten – eine systemische antibiotische Therapie veranlasst, auf die die Pat. mit Diarrhöen und einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion reagierte. Nach einigen Tagen lag dann das Ergebnis der Keimdifferenzierung vor: die nachgewiesenen Keime waren nicht auf das eingesetzte Antibiotikum empfindlich. An diesem Punkt habe ich dann in die Behandlung eingegriffen: ich habe die systemische antibiotische Therapie sofort beendet und das noch vorhandene Nahtmaterial entfernt. Der klinische Befund der Wunde sprach gegen eine bakteriell verursachte Entzündung. Unter einer lokalen Wundtherapie wurde die Läsion langsam kleiner.

Bei der Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden, insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus müssen u.a. folgende Aspekte bei der Wundversorgung immer bedacht werden:
  • Jede Wunde mit Kontakt zur Hautoberfläche ist mit Bakterien besiedelt. Diese Keimflora muss aber nicht unbedingt der Grund dafür sein, dass eine Wunde schlecht heilt. Es muss immer zwischen einer „Besiedlung“ und einer „Infektion“ unterschieden werden; dies ist klinisch nicht immer einfach.
  • Wenn ein Wundabstrich zur Keimdifferenzierung durchgeführt wird, dann müssen die Regeln, die durch den Einheitlichen Bewertungsmaßstab = EBM vorgegeben werden, beachtet werden: selbst wenn in einer chronischen Wunde viele unterschiedliche Bakterientypen vorhanden sein sollten, wird das beauftragte Labor immer nur für maximal 3 Keime eine Empfindlichkeitsprüfung durchführen (siehe Symbolnummern 32772 bzw. 32773 des EBMs). Wenn also bei der Anzüchtung im Labor 6 Keime gefunden werden, dann wird das Labor nur für 3 dieser Keime eine Resistenzprüfung durchführen. Welche Keime letztendlich genauer untersucht werden, darüber entscheidet das Labor.
  • Jede systemische antibiotische Therapie kann dem Patienten auch schaden und ihn möglicherweise in eine lebensgefährliche Situation bringen. Somit muss immer vor Beginn einer systemischen antibiotischen Therapie zwischen einem möglichen Nutzen und einem möglichen Schaden für den Patienten gut abgewogen werden – insbesondere bei alten Patienten mit vielen Begleiterkrankungen.

Behandlung im regionalen Netzwerk

Meiner Erfahrung nach kann ein Patient mit Diabetes mellitus und einer chronischen Wunde am besten in einem regionalen Netzwerk von professionellen „Therapeuten“ (Hausärzte und andere Fachärzte, Fachpersonal von ambulanten Pflegediensten, Wundtherapeuten, podologische Fachkräfte, Orthopädieschuhmacher und Orthopädietechniker) versorgt werden, wobei die Person, die sich am besten in der Pathophysiologie einer chronischen Wunde auskennt und die die meiste Erfahrung hat, den gemeinsamen Behandlungsprozess steuern sollte. Die Behandlung eines Patienten mit chronischer Wunde darf nicht nur auf die Wunde an sich fokussiert sein (z.B. welche Wundauflage verwendet werden soll), sondern muss immer den ganzen Patienten im Blick haben. Gerade bei alten Patienten muss auch immer überlegt werden, wie viel Diagnostik und Therapie sinnvoll und notwendig sind. Als Arzt fühle ich mich weiterhin der hippokratischen Tradition verpflichtet: „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare“ (erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen).

Falls in Zukunft in Modellprojekten zur Substitution von ärztlichen Tätigkeiten Patienten mit Dia­betes mellitus und einer chronischen Wunde von nichtärztlichen Therapeuten selbständig und eigenverantwortlich versorgt werden sollten, dann besteht meiner Ansicht nach die Gefahr, dass diese Patienten dadurch möglicherweise Schaden nehmen werden. Darauf müssen wir immer wieder aufmerksam machen.

Näheres zum GVWG


Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG)
Tarifbezahlung für Pflegekräfte und zugleich Entlastung für Pflegebedürftige bei den Eigenanteilen - dafür sorgt das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG). Ein zusätzlicher Bundeszuschuss an die GKV stabilisiert den Zusatzbeitragssatz im kommenden Jahr. Für die Krankenhäuser wird eine Qualitätsoffensive eingeleitet und Versicherte profitieren von verbesserten Leistungen.

Weitere Informationen finden Sie auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Gesundheit.

Autor:
Dr. Martin Lederle
Chefredakteur Diabetes-Forum
Arzt für Innere Medizin, Diabetologie
MVZ Ahaus, Fachbereich Diabetologie
Wüllener Straße 101, 48683 Ahaus


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (12) Seite 36-38