Über 20 Jahre nach Einführung der DMP-Programme soll im nächsten Jahr ein digitales Disease-Management-Programm Diabetes (dDMP) eingeführt werden. Welche Konsequenzen hat dies für die Schulung?

Mit dem im März 2024 in Kraft getretenen Digitalisierungsgesetz (DigiG) ist der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt worden, ein digitales DMP-Diabetes (dDMP Diabetes) zu entwickeln. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Indikation Diabetes die meisten DMP-Teilnehmer stellt. Mit Stand 1. Januar 2024 sind fast 5 Millionen Menschen mit Diabetes in die DMP-Programme eingeschrieben: 4 495 887 in das DMP-Typ-2-Diabetes und 259 153 im DMP-Typ-1-Diabetes.

Als minimale Anforderungen für ein dDMP hat der Gesetzgeber definiert, dass der G-BA in der Ausgestaltung die elektronische Patientenakte (ePA), den elektronischen Medikationsplan, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die TI-Messengerdienst, Videosprechstunden, andere telemedizinische Leistungen und die Personalisierung der Behandlung in die Versorgungsabläufe eines dDMP-Diabetes integriert. In einem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekt ("DiGA.Pro") der Bertelsmann-Stiftung und dem fbeta-Institut wurden im Teilprojekt "digitales DMP Diabetes" Vorschläge erarbeitet, wie Versorgungsprozesse innerhalb der bestehenden Strukturen und Regulatorik eines DMP so digitalisiert werden können, dass der Behandlungsablauf und die Qualität der medizinischen Versorgung durch Integration digitaler Strukturen verbessert werden kann. Die Ergebnisse sind in einem Abschlussbericht festgehalten und wurde dem G-BA zugesandt (https://fbeta.de/wp-content/uploads/2024/07/DiGAPro_Abschlussbericht.pdf). Zudem wurden Verbände – wie auch die DDG, BVND, VDBD – aufgefordert, Vorschläge und Kommentare zu einem ersten Entwurf des G-BA zum dDMP Diabetes abzugeben. Hier haben die Diabetesverbände vor allen darauf gedrängt, dass alle digitalen Anwendungen wie CGM, AID-Systeme, Smartpens etc. integriert werden.

© Bernhard Kulzer | Abb. 1 Zeitplan bis zur Einführung des dDMP-Diabetes.

Das dDMP soll zukünftig parallel zu den bestehenden DMP angeboten werden. Menschen mit Diabetes haben somit die Wahl, ob sie an einem "klassischen" DMP oder – voraussichtlich ab 2026 – an dem neuen dDMP Diabetes teilnehmen möchten (siehe Abb. 1).

Schulung als ein Handlungsfeld

Von der Projektgruppe wurden mehrfach ein Bezug zu dem Themenfeld Schulung erarbeitet. So wird z.B. empfohlen den Gesundheitspass Diabetes zu digitalisieren, auf dem beispielweise neben ausstehenden Untersuchungen auch ausstehende Schulungen dokumentiert werden könnten. Auch sehr sinnvoll: In den bestehenden DMP-Diabetes wird regelhaft ein ähnliches Betreuungsraster (üblicherweise quartalsweise Regelterminen des Patienten, der Patientin mit dem koordinierenden Arzt, Ärztin) vorgegeben. Dies führt jedoch häufig zur Unter- wie auch Überversorgung, da einige Patienten bei Nichterreichen von Therapiezielen oder akuten Problemen eine erhöhte Betreuungsintensität und -frequenz benötigen, bei anderen wiederum nur in größeren Abständen ein persönlicher Arztkontakt notwendig ist. Eine Maßnahme, die dann in einem digitalen Entscheidungsbaum bei intensiveren Betreuungsbedarf automatisiert vorgeschlagen wird, wäre der erneute Besuch einer Diabetesschulung oder einer (Online)Coachingmaßnahme (siehe Abb. 2).

© Bernhard Kulzer | Abb. 2: Umsetzungsoptionen der bedarfsbezogenen engmaschigeren Betreuung entsprechend des Entscheidungsbedarfs (aus: Projektbericht Digitales Disease-Management Programm Diabetes, 2024).

Eher kritisch würde ich den folgenden Vorschlag der Gruppe bewerten: "Eine Intensivierung von Schulungen kann therapiebegleitend und anlass/kontextbezogen aus einer die Therapie begleitenden DiGA erfolgen. Über Erfolgskontrollen können Inhalte und Lerngeschwindigkeit an den Patienten angepasst werden". Gerade in kritischen Situationen sollte m.E. eine Schulung durch eine ausgebildete Schulungskraft erfolgen, die gleichzeitig auch die Therapie einer Person mit Diabetes im Auge hat und konkrete Vorschläge zur Therapieoptimierung mit der Teilnehmerin, dem Teilnehmer bespricht. Ähnlich kritisch würde ich auch den folgenden Vorschlag beurteilen: "Bei Über- bzw. Unterzuckerungen können über DiGA akute Handlungshinweise an den Patienten gegeben werden. Nach überstandener Episode kann aus der DiGA oder über Ad-hoc-Schulungen eine Aufarbeitung erfolgen, bei der der Patient am eigenen Fall reflektiert, was er richtig gemacht hat und was er beim nächsten Mal anders machen muss". Hier wird meines Erachtens die Wirkung einer DiGA überschätzt.

Digitale Prozesse zur Optimierung der Schulung

Sicher sinnvoll ist es hingegen, mit digitalen Begleitfunktionen und -instrumenten den Schulungsprozess zu optimieren. Hierzu gehört das Terminmanagement für empfohlene, gebuchte und besuchte Schulungen, digitale Anwendungen zur Verwaltung von Schulungsmaterialien und eigenen Notizen, digitale Formate zur Erläuterung von Inhalten verschiedener Schulungsprogramme, Erinnerungsfunktionen zur Schulungsteilnahme, digitale Tools zur Operationalisierung eines Schulungs- bzw. Nachschulungsbedarfs, zur Kontrolle des Lernerfolgs oder auch digitale Schulungsmodule zum Einsatz im klinischen Alltag (z.B. zum Thema Hypoglykämie nach einer schweren Unterzuckerung).

Personalisierung der Schulung

Idealerweise sollten Schulungsangebote mit einer digitalen Umsetzungskomponente die Personalisierung der Schulung unterstützen und die folgenden Elemente beinhalten:

1. Assessment des Schulungs- und Informationsbedarfs (z.B. wie oft schon geschult; Wissensstand; persönliches Anliegen für die Schulung).2. Erfassung und Einbeziehung von persönlichen Präferenzen (z.B. Präsenz- oder Onlineschulung; Sprache; Zeitraum).3. Erfassung und Monitoring der persönlichen Ziele (z.B. Ziele für die Schulung; Grad der Zielerreichung).4. Persönliches Nutzerfeedback (z.B. Bewertung der Schulungsinhalte; Methodik, Didaktik; Verbesserungspotentiale).

Chancengleichheit

Nur wenige Hausärzte bieten bei Neumanifestation eines Typ-2-Diabetes eine sofortige Schulung an oder überweisen zur Schulung an eine diabetologische Schwerpunktpraxis. Nach den Leitlinien wäre dies jedoch eine der wichtigsten Maßnahmen, damit Patienten den richtigen Umgang mit der Erkrankung lernen. Es kann aber auch eine Reihe anderer Gründe geben, warum eine Schulung nicht stattfinden kann (z.B. Sprachprobleme, Terminschwierigkeiten, keine Möglichkeit, zu den vorgegebenen Zeiten in die Praxis zu kommen). Hier bieten sich überregionale, digitale Schulungsangebote an, die auf diese Art und Weise Patienten per Überweisung die Möglichkeit bieten, zeitnah an einer für sie geeigneten und sinnvollen strukturierten Schulung teilnehmen zu können.

Chancen durch das dDMP

Es ist sehr sinnvoll, auch in Hinblick auf die strukturierte Schulung auf die Optimierungsmöglichkeiten durch digitale Prozesse hinzuweisen. In vielfacher Hinsicht kann eine Schulung durch digitale Komponenten verbessert, personalisiert und modernisiert werden. Es bleibt abzuwarten, ob das dDMP auch für die strukturierte Schulung einen Optimierungsschub auslöst und für die aktuelle bestehenden Probleme der Unter- und Überversorgung der Schulung sinnvolle Lösungen ermöglicht. Was meinen Sie? Wir sind auf Ihre Einschätzung – natürlich auf digitalem Wege – gespannt.


Autor:
© Ludwig Niethammer
Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Diabetes Zentrum Mergentheim, Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim, diateam


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 36-37