Die krankheitsspezifische Medizin wird sich wandeln zu einer personalisierten Medizin. Dr. Bernd Liesenfeld hat sich dazu Gedanken gemacht.
Es ist kaum zu glauben. Quasi wöchentlich erweitert sich die Liste der medizinisch begründeten Indikationen und Zulassungen für die neue Generation von Antidiabetica der GLP-SGLT-Klasse. Herz und Niere – geschenkt, das haben wir mittlerweile begriffen und sehen auch ein das Menschen ohne Diabetes hinsichtlich dieser Organe profitieren können. Aber die nächste Welle rollt schon heran: GLP und SGLT werden aber zukünftig auch die Kolleg:innen buchstabieren müssen, die sich um Menschen mit Lebererkrankungen, Knie- und Hüftarthrose, polyzystischen Ovarien (PCOS) und Schlafapnoe kümmern. Auch in diesen Indikationen scheinen sich erhebliche Erfolge dieser originär diabetologischen Medikation abzuzeichnen. Gelegentlich ertappe ich mich bei dem Gedanken, ob wir demnächst alle, ab einem gewissen Alter, das eine oder andere Antidiabetikum einnehmen werden ? Oder andersherum – welchem unserer Patienten dürfen wir sie denn eigentlich guten Gewissens noch vorenthalten?
Interessant erscheinen vor allem aber die Befunde, die Neurologen und Psychiater berichten können. Bei den Zulassungsstudien zu GLP-Agonisten bei Adipositas fiel auf, dass unter Verumtherapie doppelt soviele Menschen das Rauchen oder Trinken von Alkohol beendeten als unter Placebo. Dies führte mittlerweile zum Beginn von Interventionsstudien, um diese These zu überprüfen. Wirklich spannend wird es aber bei den neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz, Alzheimer und Parkinson. Seit langem ist bekannt, dass Menschen mit Diabetes bedeutend häufiger an diesen chronischen Erkrankungen leiden. Sie werden oft erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert und können dann oftmals nur gering beeinflusst werden. Bei Parkinson konnte z.B. eine GLP-Therapie das Fortschreiten der Erkrankung über einen Beobachtungszeitraum von 12 Monaten aufhalten.
Gerade die Demenz wird unsere alternde Gesellschaft geißeln, Statistiken gehen von einer Verdreifachung bis 2050 aus. Sie aber hat vielfältigste Ursachen, die auch als Folge eines Diabetes vorkommen. So treten die Arteriosklerose der großen und kleinen Gefäße des Gehirn besonders bei Diabetikern auf und führen zur sogenannten vaskulären Demenz. Auch hier scheinen die neuen Antidiabetika neuroprotektive Effekte zu haben, die einen Rückgang kognitiver Komplikationen erwarten lassen.
Ein zentraler Befund bei Demenzen des Alzheimertyps ist die sogenannte zerebrale Insulinresistenz, die mit oder ohne der uns bestens bekannten peripheren Insulinresistenz auftreten kann. Im Gehirn hat Insulin andere Aufgaben als in der Peripherie, steuert neben der Sättigung auch Entzündungsreaktionen, die bei der Alzheimer-Erkrankung eine wesentliche Rolle spielen. Veränderungen des Signalstoffwechsels des Insulins im Gehirn bei zentraler Resistenz triggern diese Entzündungen und führen u.a. zu Anhäufung der Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Proteine, die gehäuft i.R. der Alzheimer Erkrankung auftreten. Seit längerem ist bekannt das intranasale Gabe von Insulin bei Patient:innen mit Alzheimer die kognitiven Leistungen verbessert.
Auch in der Bauchspeicheldrüse wird Amyloid gebildet, das sogenannte humane Insellzell Amyloid (Amylin), welches im gesunden Zustand zum Gefühl der Sättigung beiträgt und die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Bei Diabetes mellitus Typ 2 ist die pathologische Anhäufung von Amylin im Pankreas eine der Ursachen für die zunehmende Betazellzerstörung. Inkretine und Gliflozine reduzieren die Entstehung des Amylins im Pankreas, sowie deren Spiegel im Blut. Sekundär reduziert sich, mutmasslich durch den Schutz der Blut-Hirn-Schranke, auch die Entstehung von Beta-Amyloid im Gehirn.
Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Therapie der Alzheimer Erkrankung ab. Die Zulassung teurer immunologischer Therapien (z.B. Lecanemab) wurde in Europa wegen nur geringer Wirksamkeit nicht erteilt. Metabolische Therapien, wie sie in der Diabetologie etabliert sind, haben großes Potential, die geistige Leistungsfähigkeit auch im hohem Alter zu erhalten. Das ist ein weiterer Schritt von einer krankheitspezifischen zu einer personalisierten Medizin. Die Diabetologie hat hierbei eine wichtige Rolle zu spielen. Bis dahin können wir uns aber auch noch anders behelfen: eine englische Langzeitstudie (ELSA) belegte unlängst den Zusammenhang zwischen dem Besitz eines Haustieres und dem langfristigen Erhalt geistiger Fähigkeiten. Also, öfters mal mit dem Hund spazieren und dabei mit dem Nachbarn schwätzen.
|
|
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (11) Seite 5