Ich bin immer wieder überrascht wieviele Menschen mit Diabetes eine wichtige Komplikation aufweisen ohne davon zu wissen: die periphere arterielle Verschlusskrankeit.

Viele haben keine Symptome und finden oft zu spät bei schlecht heilenden Wunden zu weiterführenden Untersuchungen. Eine begleitende Neuropathie unterdrückt die Zeichen der Schaufensterkrankheit, sodass die Anamnese oft in die Irre führt. Andererseits erscheint mir das Screening per Fußpulse im Rahmen der DMP-Untersuchung als völlig unzureichend, um diese schleichende Erkrankung auszuschließen. Das Tasten der Pulse erfordert sehr viel klinische Erfahrung, insbesondere bei Menschen mit Ödemen. Auch Ärzte tun sich da schwer. Relevante Verschlüsse größerer Beinschlagadern können dem Tastbefund entgehen, die Wadenbeinarterie A. fibularis ist auf Grund ihrer Lage gar nicht tastbar. Die Subjektivität der Befunde ist im Hinblick auf die Konsequenzen nicht akzeptabel.

Viele Praxen weichen daher auf die maschinelle ABI-Messung aus, die in der Allgemeinbevölkerung gute Dienste leistet wie die getABI-Studie vor 20 Jahren zeigen konnte. Die Aussagekraft dieser Methode (Oszillographie) ist bei Diabetikern aber stark eingeschränkt, da hier in 10-40% eine Mediasklerose vorliegt, die den ABI deutlich verfälscht und zudem im Falle eines Normalbefundes Patient und Therapeut in falscher Sicherheit wiegt. Im Prinzip könnte man bei Menschen mit Diabetes dann auch würfeln. Zunehmend wird klar, dass auch die Mediasklerose ein eigenständiges Krankheitsbild mit erhöhtem vaskulären Risiko darstellt, obwohl der Gefäßdurchmesser der großen Leitgefäße nicht verkleinert sein muss (Lanze et al., Dt. Ärzteblatt 2023). Die Zerstörung der Gefäßstruktur im Bereich der kleinsten Gefäße des Vorfußes mit Verschluss des Gefäßbogens scheint für das über 10-fach erhöhte Risiko einer kritischen Ischämie und das mehr als doppelt erhöhte Risiko einer Amputation bei Vorliegen einer Mediasklerose vernatwortlich zu sein. Interessanterweise weisen die Gefäße der Zehen wiederum keine im Röntgen nachweisbare Mediasklerose auf, ebenso nicht die Kapillargefäße. Eine spezifische Therapie existiert leider (noch) nicht.

Optimal und schnell gelingt das Screening mit der Verwendung eines einfachen biphasischen CW-Dopplers (Taschendoppler) zur Ableitung der drei Unterschenkelgefäße ohne Druckmessung. Im Gegensatz zur ABI-Messung wird diese nicht durch die Mediasklerose gestört und erlaubt durch Interpretation der Flusskurven (initiale Anstiegssteilheit, Breite, Phasen) eine ausreichend sichere pAVK-Ausschlussdiagnostik mit einfachen Mitteln. Etwas Übung gehört natürlich dazu. Duplexuntersuchungen zur Bestätigung sind nur bei symptomatischen Patienten nötig.

Die Prognose einer auch asymptomatischen pAVK entspricht der eines Darmkrebses im Stadium Duke B und hat auch in jungen Jahren somit eine deutlich schlechtere 5-Jahres-Überlebensprognose für die Betroffenen. Allein 11 % werden eine kritische Ischämie der Beine erleben. Die vorbeugende Therapie mit Statin und Thrombozytenfunktionshemmer ist leicht umsetzbar und sehr effektiv. Besonders Menschen mit Gefäßerkrankungen an Herz und Gehirn weisen oft eine pAVK auf. Leider hat die Untersuchung der Fußarterien noch keinen Eingang in das DMP KHK gefunden – eine verpasste Chance. Hier ist mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Auch das Umgekehrte trifft zu: in einer Studie bei kritischer Extremitätenischämie fanden sich bei fast 50% aller Betroffenen im Herzkatheter relevante Veränderungen der Kranzgefäße. Die pAVK ist ein unterschätzter Marker einer Systemkrankheit, die besondere Therapieziele rechtfertigt. Auch hier sollte das LDL < 55 mg/dl gesenkt, der Blutdruck < 130/80 gesenkt und der Stoffwechsel optimiert werden.

Wichtige Interventionen bei Schmerzen durch pAVK sind das häusliche und das angeleitete Gehtraining. Im Rahmen des telemedizinischen Projekts TeGeCoach (G-BA, 2023) konnten Menschen mit eingeschränkter Gehtrecke diese signifikant steigern. Weitgehend unbekannt ist, dass in der Phase der stabilen pAVK (Fontaine II) eine Gefäßintervention per Katheter dem Gehtraining in Bezug auf Amputation und Schmerzfreiheit langfristig nicht überlegen ist, aber zu deutlich höheren Kosten führt. Nicht die Zahl der Schritte auf dem Zähler, sondern das Erreichen der Schmerzgrenze, das "Durchwandern" des Schmerzes im individuell möglichen Tempo ist der Trigger für die Neubildung von Blutgefässen bei der Schaufensterkrankheit und somit erklärtes Therapieziel. Dreimal die Woche 60 Minuten sind optimal, Maßnahmen werden auch über die Verordnung für den Rehasport in Gefäßsportgruppen gefördert. Legen wir los.


Autor:
© privat
Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (6) Seite 5