Neuere Studien zeigen, dass der individuelle Zuckerstoffwechsel eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Migräne spielt. Dagegen können die Betroffenen etwas tun. Dr. Dr. Torsten Schröder berichtet hier.

Fett ist ungesund", "Kohlenhydrate machen dick" oder "Schokolade verursacht Migräne" – Ernährungsmythen halten sich hartnäckig, obwohl die Ernährungswissenschaft in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat. Eine wichtige Erkenntnis dabei: Genauso einzigartig, wie jeder Mensch ist, so einzigartig funktioniert auch sein Stoffwechsel. Dass die Wissenschaft mittlerweile Wege gefunden hat, jeden Stoffwechsel individuell zu analysieren, eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Ein Schlüssel dafür liegt in smarten Algorithmen, die mit einem CGM-System gekoppelt werden und Glu-
kose-Messwerte im Hinblick auf personalisierte Ernährungsempfehlungen analysieren. Denn weniger als ein Fünftel der Blutzuckerreaktionen hängen vom Lebensmittel ab.

Nun könnte man denken, dass das Konzept der personalisierten Ernährung auch "nur" ein Trend ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Vielmehr handelt es sich um eine Zeitenwende, die unsere Einzigartigkeit berücksichtigt und uns den Blick in den eigenen Körper ermöglicht. Das ist so effektiv, dass wir positiven Einfluss auf Erkrankungen allein durch unsere Ernährung ausüben können, wenn wir sie individuell anpassen. Erkenntnisse zum Blutzuckerspiegel, die uns Glukosesensoren liefern, sind nicht nur wertvoll für Menschen mit Diabetes sondern auch im Rahmen anderer Therapien.

CGM im Einsatz gegen Migräne

Ein gutes Beispiel stellt Migräne dar. Es ist unbestritten, dass Ernährung ein Trigger bzw. Auslöser für Migräneattacken sein kann. Schokolade, so hieß es lange, sollte so ein Trigger sein, bis sich herausstellte, dass der Heißhunger auf Süßes bereits ein Vorbote bzw. Symptom der beginnenden Migräneattacke ist und kein Trigger. Viele Migräne-Betroffene haben also grundlos auf Schokolade und Co. verzichtet und ihre Lebensqualität noch weiter eingeschränkt, als die Migräne das ohnehin schon tut. Neuere Studien zeigen, dass der individuelle Zuckerstoffwechsel eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Migräne-Attacken spielt. Daher kann CGM hervorragend dabei unterstützen, um in Kombination mit einer smarten App zu identifizieren, was in der Ernährung für jeden einzelnen Patienten angepasst werden sollte.

Prospektive Studie
Um die Effekte von sinCephalea auf Migräne zu untersuchen, führte Perfood eine prospektive Studie durch. Dabei zeigte sich, dass die Anzahl der Migränetage nach zwölf Wochen mit einer personalisierten Ernährung im Mittel um 44 % sank. Das entsprach durchschnittlich 2,4 Tagen weniger Migräne pro Monat. Darüber hinaus verringerte sich die Attackenstärke und die Patient:innen fühlten sich im Alltag weniger beeinträchtigt. Derzeit findet eine große klinische kontrollierte Interventionsstudie am Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) statt.

Beatrice aus Lörrach zum Beispiel hat personalisierte Ernährungsempfehlungen durch die digitale Gesundheitsanwendung sinCephalea erhalten. SinCephalea ist eine App mit einem smarten Algorithmus, gekoppelt mit einem CGM-System. So fand Beatrice heraus, wie sich ihr Blutzuckerspiegel über den Tag veränderte, nach welchen Mahlzeiten er stark schwankte und wann er stabiler blieb. Sie erfuhr unter anderem, dass ihr Blutzucker deutlich weniger ausschlug, wenn sie ihrem Hafermüsli am Morgen ein paar Nüsse – und somit Fette - hinzufügte. Das gehörte zu überschaubaren, aber effektiven Stellschrauben, die sie veränderte. Durch die Einhaltung der Ernährungsempfehlungen konnte sie ihre Attackenhäufigkeit um die Hälfte reduzieren – ohne zusätzliche Medikamente und ohne Nebenwirkungen. Über ihre personalisiert angepasste Ernährung sorgt die 27-Jährige dafür, dass Ihr Gehirn gleichmäßig mit Energie versorgt wird und Entzündungsprozesse positiv beeinflusst werden.

Messdatenbasiert zur nicht-medikamentösen Migräneprophylaxe

sinCephalea ist eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) zur ernährungsbasierten Migräneprophylaxe, die sich Migräne-Betroffene auf Rezept verordnen lassen können. DiGA sind vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassene Online-Programme, die Patient:innen ergänzend zur medizinischen Therapie digital unterstützen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten. Als zugelassene Migräne-App ermittelt sinCephalea, welche Mahlzeiten den Blutzucker individuell stabil halten und das Gehirn gleichmäßig mit Energie versorgen. Durch die Kombination aus messdatenbasierten, personalisierten Ernährungsempfehlungen, anwenderfreundlichen Informationen, Handlungsempfehlungen und einem umfassenden Kopfschmerztagebuch unterstützt sinCephalea Migräne-Betroffene im Rahmen einer nicht-medikamentösen Migräneprophylaxe.

Im Unterschied zu den meisten medikamentösen Migräneprophylaxen ist sinCephalea auch bei Kinderwunsch und Schwangerschaft anwendbar. Viele Patient:innen schätzen an der DiGA auch, dass sie ihnen ermöglicht, selbstbestimmt mit ihrer Erkrankung umzugehen. Bei einer bestehenden Insulintherapie ist die Anwendung von sinCephalea nicht sinnvoll, da sich das Insulin seinerseits auf den Blutzuckerspiegel auswirkt und die Messergebnisse beeinflusst.

Die speziell entwickelte Technologie von sinCephalea baut auf künstlicher Intelligenz auf, die Blutzucker-Messdaten mit den Angaben aus dem Ernährungstagebuch verknüpft. Dafür bildet die sinCephalea-App über zwei Wochen die individuellen Blutzuckerreaktionen auf alle Mahlzeiten ab. Zu diesem Zweck tragen die Nutzer:innen in dieser Messphase einen CGM-Sensor, der kontinuierlich ihren Gewebezucker analysiert.

Das Ernährungstagebuch

Die sinCephalea-App führt nutzerfreundlich durch ein Ernährungstagebuch. Neben ihren gewohnten Mahlzeiten können Nutzer:innen spezifisch vorgeschlagene Testmahlzeiten auswählen, um daraus Lebensmittelgruppen zu ermitteln, die sie eher bevorzugen, austauschen oder anders kombinieren sollten. So finden sie beispielsweise heraus, welche Beilagen ihren Blutzuckerspiegel stabil halten. Dafür gibt sinCephalea eine bestimmte Portion Nudeln, Kartoffeln oder Reis vor. Nutzer:innen suchen jeweils die Beilagen für den Test aus, die sie auch mögen und ohnehin des Öfteren verzehren.

Das gleiche funktioniert für das Frühstück: Wenn für Nutzer:innen die vorgeschlagenen Müsli- oder Brotkombinationen in Frage kommen, können sie diese gezielt gegeneinander testen. Die Ergebnisse liefern am Ende gute Anhaltspunkte darüber, wie zum Beispiel das Müsli am besten zusammengestellt werden sollte. Vorgeschlagene Testmahlzeiten gibt es auch für Brot, Brotbeläge, Snacks, Obst und Getränke. Bei Getränken tragen Nutzer:innen alles außer Wasser im Ernährungstagebuch ein, denn nicht nur Limonaden, sondern auch ein schwarzer Kaffee kann Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel haben.

Die Auswertung

Nur wenige Tage nach Abschluss der bis zu 2-wöchigen Sensorphase erhalten Nutzer:innen in ihrer App einen Bericht mit den Ergebnissen der Testmahlzeiten und einer ausführlichen Analyse des Ernährungstagebuchs. In dem Bericht sind unter anderem folgende Informationen enthalten:

  • Mahlzeiten-Report, gegliedert nach sogenannten Top- und Flop-Mahlzeiten: Wie in einem Ranking sehen Nutzer:innen, welche Mahlzeiten und Getränke eher niedrige Blutglukosereaktionen (Top) hervorgerufen haben und welche eher hohe (Flop). Entsprechende Filter ermöglichen es, sich beispielsweise nur Frühstück oder nur Getränke anzeigen zu lassen. Soll es also lieber eine Banane, etwas Schokolade oder eine Handvoll Nüsse als Snack sein? Ein Blick auf die App liefert schnell die Antwort.
  • Ernährungstyp, vom Protein- oder Fett-Typ bis zum Kaffeetyp: Hier handelt es sich um die Auswertung der vorgegebenen Testmahlzeiten, aus der die Nutzer:innen allgemeine Konsequenzen für ihre Ernährung ableiten können. Je nachdem, ob ihr Stoffwechsel zum Beispiel besser mit Protein oder Fett in Kombination mit Kohlenhydraten zurechtkommt, können Nutzer:innen ihre Mahlzeiten bzw. Lebensmittelkombinationen anpassen. Der Fett-Typ z.B. sollte der Tomatensoße für die Pasta besser etwas Olivenöl hinzufügen. In diesem Bereich der App kann auch gezielt danach gesucht werden, welche Brotsorten oder Kaffeespezialitäten am besten verträglich sind und zu welchen Tageszeiten. Manchmal hat es schon positive Auswirkungen auf den Stoffwechsel, entweder den Kaffee ohne Milch zu trinken oder auf Milchalternativen zurückzugreifen.
  • Nährstoff-Analyse: Aus welchen Nährstoffen (Kohlenhydrate, Proteine oder Fette) hat sich der Speiseplan während der Testphase zusammengesetzt? Haben die Mahlzeiten ausreichend Ballaststoffe geliefert? Wie hoch war die Trinkmenge und welche Kalorienanzahl wurde im Durchschnitt pro Tag aufgenommen? Übersichtlich präsentiert, erhalten die Nutzer:innen auf dieser Basis einen guten Überblick über ihre Ernährung und können bei Bedarf weitere Anregungen umsetzen.

Bei Fragen können Nutzer:innen außerdem ein Supportgespräch mit Ernährungsberater:innen führen.

Weitere Tagebücher: Von Kopfschmerzen bis Menstruation

Im Kopfschmerztagebuch der Migräne-App sinCephalea dokumentieren die Nutzer:innen ihre Beschwerden und andere Migräne-relevante Faktoren. Beim Loggen einer Attacke fragt die App automatisch Informationen wie Schmerzintensität, Kopfschmerz- bzw. Attackendauer und Symptome sowie Medikation und deren Wirkung ab. Frauen haben zusätzlich die Möglichkeit, ihre Menstruation einzutragen, um menstruelle Migräne besser zu identifizieren. So erhalten Nutzer:innen jeweils Monatsübersichten, in denen sie

  • 1. ihre Kopfschmerzen und Migräneattacken in ihrer Häufigkeit sehen
  • 2. ihre Schmerzintensität und -dauer analysieren können
  • 3. ihre Akutmedikation und die jeweilige Wirksamkeit dargestellt bekommen
  • 4. ihre Menstruation mit den Attacken in Verbindung bringen können

Optional haben Nutzer:innen die Möglichkeit, auch weitere Blutzucker-beeinflussende Faktoren wie Schlaf, Bewegung und Befinden zu dokumentieren.

Migräne-Report

Die Daten aus den verschiedenen Tagebüchern kann man über einen monatlichen Migräne-Report seinen behandelnden Ärzt:innen zukommen lassen und beim nächsten Termin persönlich besprechen. In diesem Report lässt sich auf einen Blick die Dauer und Intensität der Attacken im Monatsverlauf erkennen, ebenso wie die Art und Wirksamkeit der Akutmedikation. So werden Zusammenhänge noch sicherer und einfacher für Patient:innen und ihre behandelnden Ärzt:innen identifizierbar. Auf einer detaillierten Datenbasis kann die Therapie gezielt optimiert und die Effekte von medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapieanpassungen überprüft werden.

© Perfood GmbH
Im Migränereport lässt sich auf einen Blick die Dauer und Intensität der Attacken im Monatsverlauf erkennen, ebenso wie die Art und Wirksamkeit der Akutmedikation

Verordnung und Folgeverordnungen

Einmal verordnet, kann das Rezept entweder beim sinCephalea Rezeptservice oder bei der Krankenkasse eingereicht werden. Auch Privatversicherte oder Patient:innen, die Beihilfe-berechtigt sind, können bei ihrer jeweiligen Krankenversicherung nachfragen, ob und wie die Kosten für sinCephalea erstattet werden. Nach dem Einlösen des Codes ist sinCephalea für 90 Tage freigeschaltet und Nutzer:innen erhalten per Post alles, was sie für das Programm (inklusive CGM-Sensor) benötigen.

Im Anschluss an die 90 Tage besteht für Migränepatient:innen die Möglichkeit, sich die App erneut verschreiben zu lassen. Mit Hilfe von weiteren Testphasen können sie neue Mahlzeiten und Kombinationen ausprobieren, die in der ersten Sensorphase nicht berücksichtigt wurden. Gerade nach den gewonnenen Erkenntnissen aus der ersten Sensorphase ist es interessant, die empfohlenen Gerichte zu variieren und noch gezielter an den Blutzucker-Stellschrauben zu drehen.

Literatur beim Verfasser


Autor:
© privat
Dr. med. Dr. rer. nat. Torsten Schröder
Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe (DDG)
Ernährungsmediziner und Chief Medical Officer (CMO) der Perfood GmbH
Interessenkonflikte:
Als Mitgründer des Startups Perfood GmbH war er maßgeblich an der Entwicklung des Unternehmenskonzepts beteiligt. Seine Aufgabe im Unternehmen liegt in der Weiterentwicklung von Konzepten personalisierter Ernährungstherapien wie der Migräneprophylaxe "sinCephalea" und der Diabetes-Therapie "glucura", die als DiGA zugelassen sind.


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (3) Seite 36-39