Ziel dieser Stellungnahme ist es, anhand bislang vorliegender Erkenntnisse den aktuellen wissenschaftlichen Sicherheitsstand der CGM-/FGM-Systeme für die Nutzung als (teilweisen) Ersatz für Blutglukosemessungen darzustellen und praktische Tipps für die Anwender daraus zu erarbeiten.
Die Verfügbarkeit von Systemen zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) und zum Flash-Glucose-Monitoring (FGM) liefert Menschen mit Diabetes wesentlich umfassendere Informationen über ihren interstitiellen Glukoseverlauf über 24 Stunden hinweg als lediglich punktuelle, konventionelle, kapilläre Blutglukosemessungen (Foto vs. Film).
Diese Stellungnahme der AGDT richtet sich an medizinisches Fachpersonal, insbesondere an Diabetesteams, und fasst den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Einsatz der CGM-/FGM-Systeme bei Menschen mit Diabetes zusammen. Ziel ist es, anhand bislang vorliegender Erkenntnisse den aktuellen wissenschaftlichen Sicherheitsstand der CGM-/FGM-Systeme für die Nutzung als (teilweisen) Ersatz für Blutglukosemessungen darzustellen und praktische Tipps für die Anwender daraus zu erarbeiten.
Aktueller Stand (Januar 2016)
Aktuell sind die Messergebnisse von zwei Messsystemen, dem CGM-System Dexcom G5™ (bzw. G5™ Mobile) von Dexcom und dem FGM-System FreeStyle Libre® von Abbott, vom jeweiligen Hersteller für therapeutische Entscheidungen zugelassen, d. h. bei diesen Systemen ist die Nutzung der interstitiellen Glukosewerte für therapeutische Entscheidungen, insbesondere auch zur Ermittlung der Insulindosis, möglich. Diese Systeme sind somit von den Herstellern grundsätzlich (außer in bestimmten Ausnahmefällen, siehe Bedienungsanleitungen) als Ersatz für Blutglukosemessungen vorgesehen.
Für das System Dexcom G5™ sind im Prinzip nur zwei Blutglukosemessungen pro Tag zur Kalibrierung des Systems notwendig, beim FreeStyle Libre® entfallen aufgrund der werksseitigen Kalibrierung auch diese Messungen.
Herstellerangaben zum Replacement
Der Umfang des Einsatzes als Ersatz für Blutglukosemessungen und die Ausnahmefälle, in denen die Hersteller der beiden genannten Systeme zusätzliche Blutglukosemessungen als notwendig erachten, werden in den Bedienungsanleitungen wie folgt beschrieben:
Mit dem System Dexcom G5™ dürfen Therapieentscheidungen nur getroffen werden (siehe Benutzerhandbuch, Rev. 001),
- wenn die Glukosewarnungen und -messwerte mit den Symptomen oder Erwartungen übereinstimmen,
- wenn die Geräteanweisungen befolgt werden und das Gerät alle 12 Stunden nach der Anfangskalibration kalibriert wurde,
- auf Grundlage des Gewebeglukosewerts, des Trendpfeils, des Trenddiagramms und/oder der umsetzbaren Warnungen,
- wenn mindestens drei aufeinanderfolgende Werte aus den letzten 15 Minuten vorhanden sind.
Bei der Verwendung des FreeStyle Libre® müssen weiterhin Blutglukosemessungen durchgeführt werden (siehe Benutzerhandbuch, Rev. 04/2014)
- in Phasen mit rasch schwankendem Glukosespiegel,
- zur Bestätigung einer vom Sensor berichteten Hypoglykämie oder drohenden Hypoglykämie und,
- wenn die Symptome nicht mit dem Messwert des FreeStyle Libre® Flash Glukose Messsystems übereinstimmen.
Dabei ist derzeit nicht klar, auf welcher Datengrundlage der Ersatz-Claim dieser beiden Systeme basiert. Beide Systeme messen Glukoseänderungen in der interstitiellen Flüssigkeit und nicht im Blut. Laut der Bedienungsanleitung des Dexcom G5™ Mobile wiesen 93 % der Messwerte mit diesem CGM-System bei Erwachsenen eine Abweichung von < ±20 mg/dl bzw. ±20 % zu den mit einer Labormethode in Blutproben gemessenen Werten auf bei Glukosekonzentrationen ≤ 80 mg/dl bzw. > 80 mg/dl. 99 % der Messwerte lagen innerhalb von ±40 mg/dl bzw. ±40 % Abweichung. Für das FreeStyle Libre® wird in der Packungsbeilage angegeben, dass bei Glukosekonzentrationen < 75 mg/dl bzw. ≥ 75 mg/dl 86,2 % der Messwerte innerhalb von ±15 mg/dl bzw. ±20 % lagen.
Zum Vergleich: Bei Blutglukosemesssystemen müssen nach den Vorgaben der aktuell noch gültigen ISO-Norm von 2003 95 % der Messwerte innerhalb von ±15 mg/dl bzw. ±20 % Abweichung von einer Labormethode bei Glukosekonzentrationen < 75 mg/dl bzw. ≥ 75 mg/dl liegen, um für den Handel in Europa zugelassen zu werden. Mitte 2016 werden diese Voraussetzungen verschärft, dann gelten ±15 mg/dl bzw. ±15 % Abweichung bei Glukosekonzentrationen < 100 mg/dl bzw. ≥ 100 mg/dl. Eine solche verbindliche Vorgabe gibt es bisher weder für CGM-Systeme noch das FGM-System.
Studienergebnisse
Für das FGM-System wurden vor kurzem Studienergebnisse zur Messgenauigkeit publiziert, die allerdings keine direkte Aussage zum Thema Ersatz ("Replacement") von Blutglukosemessungen durch FGM machen. Diese Studie liefert jedoch interessante Hinweise, die im Folgenden diskutiert werden (1). Kovatchev und Kollegen haben durch Modellberechnungen eine Mindestgenauigkeit von ≤ 10 % bei der Mean Absolute Relative Difference (MARD) ermittelt, bei der Insulindosisentscheidungen anhand von CGM mit ausreichender Sicherheit möglich sind (2). In der Studie von Bailey und Kollegen mit dem FGM-System wies dagegen nur ca. die Hälfte der Sensoren eine Messgenauigkeit auf, die nach den Modellberechnungen für eine auf Sensormesswerten basierende Festlegung der Insulindosis empfehlenswert ist (1).
Der Anwender des FGM-Systems hatte dabei keinen Anhaltspunkt, ob der gerade verwendete Sensor zu denjenigen gehört, die eine in diesem Sinne ausreichende Messgenauigkeit aufweisen, oder nicht. Für die Objektivierung der Genauigkeit wäre eine Blutglukosemessung notwendig. Weiterhin war die beobachtete Messgenauigkeit des FGM-Systems am ersten Tag der Nutzung, d. h. am Tag des Legens des Sensors, mit mittleren MARD-Werten von ca. 15 % schlechter als an den weiteren 13 Tagen der Nutzungsdauer mit im Mittel ca. 11 % (1). Dabei war die Messgenauigkeit des FGM-Systems nach der Einlaufphase beachtlich gut, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass dieses System eben nicht täglich kalibriert werden muss.
Auch bei CGM-Systemen wird eine "Run-in"-Phase mit höheren MARD-Werten in der Zeit unmittelbar nach dem Legen des Sensors beobachtet. Danach ist die MARD üblicherweise besser. Eine gewisse Drift, die zur Verschlechterung der Messgüte über die Tragedauer hinweg führen kann, wird bei CGM-Systemen durch die (Re-)Kalibrationen kompensiert. Eine Studie mit dem Dexcom-G4™-Sensor, dem Vorgängermodell des Dexcom G5™, allerdings bereits mit optimiertem Algorithmus, zeigt für 75 % der Sensoren eine MARD < 11 %, d. h. aber etwas mehr als ein Viertel der Sensoren weist eine MARD von > 11 % auf (3).
Ein Vorteil von konventionellen Blutglukosemesssystemen ist, dass "schlechte" Teststreifenchargen durch Messungen mit einer Kontrolllösung erkannt werden können, was die meisten Patienten in der Praxis allerdings nicht tun.
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