Früher als erwartet werden die Menschen in Deutschland am 23. Februar an die Urnen gerufen, um über die bundespolitische Ausrichtung der nächsten vier Jahre zu entscheiden. Welche Themen mit Diabetesbezug könnten auf der Agenda der nächsten Bundesregierung stehen?
Mit dem dann doch plötzlichem Ende der Ampel-Koalition Anfang November sind einige gesundheitspolitische Vorhaben ausgebremst worden. Andere, die parlamentarische Hürden schon genommen hatten, laufen weiter, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die nächste Bundesregierung vielleicht Änderungen vornimmt, die die Richtung komplett wechseln oder zum Stopp führen.
Die Redaktion von Diabetes- Anker und Diabetes-Forum hat bei den Parteien mit realistischen Chancen auf einen Einzug in den nächsten Bundestag nachgefragt, welche Positionen, Vorhaben und Prioritäten sie zum Diabetes haben (siehe auch diabetes-anker.de). "Diabetes ist eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit", ordnete Prof. Andrew Ullmann (FDP) das Thema ganz oben an.
Hier ein Überblick über die Themen mit Bezug zum Diabetes, die im nächsten Koalitionsvertrag stehen könnten, ergänzt durch Stellungnahmen und Ideen aus den Parteien dazu.
Krankenhausreform
Zu den Gesetzesvorhaben der Ampelkoalition, die buchstäblich kurz vor Toreschluss der letzten Wahlperiode noch verabschiedet werden konnten, zählt die Krankenhausreform. Das zentrale Projekt von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) ist damit formal seit Jahresbeginn in Kraft – doch viele Details sind noch offen. Manche wie die Leistungsgruppen und die dahinterstehenden Qualitätsmerkmale werden laut Plan ohne weitere Parlamentsbeschlüsse, aber mit Zustimmungspflicht des Bundesrats, in Rechtsverordnungen festgelegt, die jetzt unter Leitung des nächsten Gesundheitsministers erarbeitet werden. Erstmals soll eine solche Verordnung laut KHVVG bis zum 31. März 2025 erlassen werden, mit Wirkung ab dem 1. Januar 2027. Andere Punkte wie die Berechnung der Vorhaltefinanzierung, die Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung und die Regelungen zur sektorenübergreifenden Versorgung sind von Kritikern der Reform ausgemachte Sollbruchstellen des Lauterbach’schen Entwurfs, die im Laufe der nächsten vier Jahre wahrscheinlich neue Entscheidungen erfordern.
Ambulante Versorgung
Weitestgehende Erleichterung war bei den niedergelassenen Diabetologen über das Aus für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) zu spüren. Der Entwurf dafür hatte im September 2024 Ärzte und Patienten vor das Gesundheitsministerium in Berlin getrieben, um mit über 90 000 Unterschriften auf die Gefahren des geplanten Gesetzes für Diabetes-Schwerpunktpraxen hinzuweisen. Denn es sollte das Prinzip gelten "ein Patient, ein Hausarzt, eine Pauschale", was die Schwerpunktpraxen von einer wesentlichen Finanzierungsquelle abgeschnitten hätte. In der Politik gab man zerknirscht zu, diese möglichen Folgen schlicht nicht bedacht zu haben. "Die positive Nachricht: Ich glaube, dass wir sowohl im Ministerium als auch bei Gesundheitspolitikern angekommen sind", zeigte sich Dr. Tobias Wiesner auf der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) letzten November in Hannover noch überzeugt. Die Bedeutung des Diabetes und die Besonderheiten der Versorgung dieser Volkskrankheit sei den Entscheidern nun besser bewusst, so das DDG-Vorstandsmitglied.
Etwas überraschend hat die zerbrochene Ampel-Koalition sich Mitte Januar jedoch auf zwei wesentliche Punkte aus dem GSVG geeinigt, nämlich die Entbudgetierung für Hausärzte und eine quartalsübergreifende Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch kranker Patienten, die keinen intensiven Betreuungsaufwand aufweisen. Dafür wurden aber offenbar die Korrekturen zugunsten der Schwerpunktpraxen wieder gestrichen. "Sollte das GSVG in der geschrumpften Form verabschiedet werden und Versorgungspauschalen für die diabetologischen Schwerpunktpraxen wegfallen, ist die diabetologische Versorgung von Millionen von Menschen mit Diabetes in Gefahr.", warnte Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE.
Der bisherige Bundestag muss sich noch in einer zweiten und dritten Lesung mit dem veränderten GSVG-Entwurf befassen, Ende Juni 2024 war das Gesetz erstmals im Parlament debattiert worden: FDP, Grüne und SPD wollten die Punkte, auf die man sich nun geeinigt hat, als Änderungsantrag in den schon laufenden Gesetzgebungsprozess des GSVG einbringen, alle anderen Punkte des Ursprungs-Entwurfs wurden gestrichen.
Die SPD nennt die Verbesserung der Versorgungsstruktur als zentralen Punkt ihrer ganzheitlichen Strategie zur Bekämpfung des Diabetes. Dies umfasse eine stärkere Vernetzung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal, mehr Versorgungskapazität sowie den Ausbau von Aus- und Weiterbildungen in Diabetestherapie und Technologie. Die Disease-Management-Programme will die Partei erweitern.
Digitalisierung
Auch wenn so mancher angesichts des Ankündigungs-Feuerwerks von Gesundheitsminister Lauterbach zum Schluss öfter mit den Augen gerollt hat, fallen in seine Amtszeit tatsächlich Meilensteine der Digitalisierung des Gesundheitswesens: Seit Anfang 2024 ist das E-Rezept verpflichtend, seit 15. Januar dieses Jahres gibt es die elektronische Patientenakte (ePA) für alle als Standard mit Widerspruchsmöglichkeit. Exemplarisch sieht man an der ePA, was bei dem Dauerthema Digitalisierung auch die nächste Bundesregierung beschäftigen wird: Ärzte beklagen Bürokratie und Praxisferne, Datenschützer warnen vor Missbrauchsmöglichkeiten und Patienten wünschen sich eine Gesundheitsversorgung auch ohne Informatikstudium.
In ihrem Statement kündigt die SPD auch an, digitale Ansätze wie Telemedizin einheitlich zugänglich machen. Zudem solle der Zugang zu moderner Diabetestechnologie verbessert und die Integration der Daten in die e-PA gesichert werden.
Kinderlebensmittelwerbung
Mit viel Sympathie verfolgte die organisierte Diabetologie in der letzten Legislaturperiode die Bestrebungen, die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel einzuschränken. Das Gesetzesvorhaben von Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) ist ein Paradebeispiel für die ampelinterne Blockade durch ganz grundsätzliche Uneinigkeit. Ob das Thema auch auf der Agenda der nächsten Bundesregierung auftaucht, wird wohl maßgeblich von deren Zusammensetzung abhängen.
Mitte Januar hat die Kaufmännische Krankenkasse KKH mit einer Auswertung der eigenen Versicherungsdaten ein weiteres Argument in diese schon lange dauernde Diskussion eingebracht: Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Übergewicht, so die mittlerweile überhaupt nicht mehr neue Schlagzeile. 5,2 Prozent ihrer 6- bis 18-jährigen Versicherten waren im Jahr 2023 krankhaft dick, wie die KKH in Hannover mitteilte. 15 Jahre zuvor seies es nur 4,1 Prozent gewesen, rund ein Viertel weniger. Mit einem Anstieg um 40 Prozent seien Jungen besonders betroffen. Als Ursachen für das Übergewicht nannte die KKH falsche Ernährung, mangelnde Bewegung – und Werbung für ungesunde Kinderprodukte. Digitale Medien seien "Bewegungsräuber". Aber auch Stress, psychische Belastungen, Schlafstörungen oder Erkrankungen der Schilddrüse trügen zu Übergewicht bei, so die Krankenkasse.
In seinem Statement betont Johannes Wagner (Bündnis 90/Die Grünen), dass auf allen Politikfeldern Maßnahmen für eine besseren Gesundheit in der Bevölkerung umzusetzen sind: Der Anteil von Zucker, Fett und Salz müsse in Lebensmitteln reduziert, die Werbung für ungesunde Lebensmittel reguliert und der Fuß- und Radverkehr gefördert werden. "Widmet sich die nächste Bundesregierung diesen Punkten, wäre für die langfristige Diabetes-Prävention in Deutschland schon einiges gewonnen", sagt er.
Diabetesstrategie
Der Bundestags-Beschluss zur Nationalen Diabetesstrategie stammt aus dem Juli 2020 und damit aus den Schlusstagen der bald vorletzten Bundesregierung, der bis dato letzten Großen Koalition. Zwar hat sich seitdem am Robert-Koch-Institut (RKI) mit der Diabetes-Surveillance ein Mosaikstein dieser Strategie gut entwickelt, doch insgesamt war sie in den letzten Jahren eindeutig aus dem Fokus geraten. Darauf wies auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Monstadt immer wieder hin – ob sich das ändert, wenn seine Partei nicht mehr in der Opposition sitzen sollte bleibt freilich abzuwarten.
Ungeduldig zeigt sich auch Die Linke bei dem Thema: "Wir fordern seit vielen Jahren einen Nationalen Aktionsplan Diabetes, in dem alle Akteure verbindliche Ziele vereinbaren, damit endlich wirklich etwas vorangeht", erinnert die Partei. Und für sie ist klar: "All das erfordert die Mitwirkung von Politik, Gesundheitsberufen und natürlich Patientenorganisationen."
Prävention und Herz
Prävention ist immer ein Thema, wenn es um Diabetes insbesondere des Typs 2 geht. Auch sie ist daher eine Säule der Diabetesstrategie. Die Ampelregierung hatte sich die Gründung eines "Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit" auf die Fahnen geschrieben, das zwischenzeitlich auch als "Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)" die Prävention im Namen trug. Die inhaltliche Ausgestaltung und Organisation wurde jedoch viel kritisiert, das entsprechende Gesetzesvorhaben blieb bis zum Koalitionsbruch unvollendet. Gleiches gilt auch für das "Gesunde Herz-Gesetz", mit dem Lauterbach die im internationalen Vergleich hohe Sterblichkeit an Herz-Kreislauferkrankungen in Deutschland senken wollte. Auch hier galt "Gut gemeint ist nicht gut gemacht", die geplanten Vorhaben wurden zwar größtenteils von Kardiologen unterstützt, doch selbst die störten sich an der Finanzierung über Krankenkassen-Mittel, die bisher für Präventions- und Bewegungsprogramme vorgesehen waren.
Der FDP-Gesundheitspolitiker Prof. Andrew Ullmann sieht Prävention zwar als "Zauberwort", wenn es um Diabetes geht. "Prävention darf aber nicht heißen, dass der Staat die Vorsorge übernimmt. Vielmehr muss die Gesundheitskompetenz und die Befähigung zu einem gesunden Leben im Vordergrund stehen", erklärte er. Konkret plädieren die Liberalen daher für mehr Gesundheitsbildung in Schulen und für Sportförderung, Anreize für Unternehmen, um gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz zu unterstützen sowie Beitragsrabatte bei der Krankenkasse für Menschen, die sich frühzeitig um ihre Gesundheit kümmern und Vorsorgeangebote nutzen.
Auch die CSU nennt als diabetologischen Leitgedanken für die Zukunft "Prävention vor Intervention". Hierfür müssten neue Programme zur Früherkennung und Behandlung von Risikopersonen umgesetzt, aber auch moderne Diabetes-Therapien in der Praxis etabliert werden.
Einen anderen Schwerpunkt setzt der grüne Präventionspolitiker Wagner: "Typ-2-Diabetes ist eine hausgemachte Volkskrankheit. Wir ernähren uns zu schlecht und bewegen uns zu wenig. Ein gesunder Lebensstil ist für viele Menschen zu kompliziert und zu teuer, um ihn langfristig in den Alltag zu integrieren", diagnostizierte der gelernte Arzt. "Um Diabetes wirksam zu bekämpfen, müssen wir deswegen bei den Rahmenbedingungen ansetzen, anstatt die Verantwortung auf den Einzelnen abzuschieben", zeigt er sich überzeugt.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 6-8