Acht Seiten widmete die neue Bundesregierung dem Politikfeld „Gesundheit“ in ihrem insgesamt 177 Seiten starken Koalitionsvertrag, der Ende November 2021 vorgelegt wurde. Aus Sicht des VDBD enthält der aktuelle Koalitionsvertrag einige interessante Ansätze. Wie immer im Leben kommt es jedoch auf die konkrete und konsequente Umsetzung an.

Dies ist umso wichtiger, als die gesundheitspolitischen Pläne der Koalitionäre mit wenig Detailfreude formuliert sind. Andererseits eröffnet das dem Gesundheitsressort und neuem Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach, einen größeren Gestaltungs­spielraum. Schwerpunkte der Ausführungen zur Gesundheit liegen auf bedarfsgerechter Gesundheitsversorgung, Digitalisierung und der Stärkung von Pflege- und Gesundheitsfachberufen bei einer langfristig stabilen Finanzierung des Gesundheitswesens.

Stärkung der Pflege

Nicht von ungefähr zeigt sich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) in weiten Teilen mit den gesundheitspolitischen Ambitionen der Ampel-Koalition zufrieden. So wurden viele seiner Forderungen aufgenommen. Dazu gehören beispielsweise eine verbindliche Personalbemessung im Krankenhaus, der sogenannten PPR 2.0, als Übergangsinstrument sowie Pläne, die Gehälter in der Langzeitpflege anzuheben und die Assistenzausbildungen bundeseinheitlich zu harmonisieren.

Ein tatsächlicher Fortschritt für die Pflegeberufe wird laut DBFK jedoch in der Erweiterung der pflegerischen Rollen, der Übertragung heilkundlicher Aufgaben und der Förderung der Ausbildung an den Hochschulen bestehen. Auch die Einführung einer „Community Health Nurse“ – vergleichbar der Gemeindeschwester in der ehemaligen DDR – wird als Verbesserung für den Berufsstand als auch für die Gesundheitsversorgung vor allem im ländlichen Raum interpretiert.

Mitspracherechte

Interessante Ansätze sind aus VDBD-Perspektive der Ausbau integrierter multiprofessioneller Gesundheitszentren sowie die geplante Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der unter anderem darüber entscheidet, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert werden. Die Ampel-Koalition beabsichtigt, die Patientenvertretung zu stärken und der Pflege sowie anderen Gesundheitsfachberufen weitere Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen.

Allerdings lässt der Koalitionsvertrag auch hier offen, wie diese Mitsprachemöglichkeiten realiter aussehen könnten. Formulierungen, wie der Nebensatz „sobald sie betroffen sind“, dürfen kein Freifahrtschein dafür sein, dass man Gesundheitsfachberufe nur dann einbindet, wenn es politisch opportun erscheint. Heute schon ist der VDBD beim G-BA zu den Disease-Management-Programmen (DMP) Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 stellungnahmeberechtigt. Mitsprache bedeutet jedoch mehr als die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben.

Digitalisierung

Die Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen soll fortgeschrieben und telemedizinische Leistungen regelhaft ermöglicht werden, inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung. Unklar ist, ob auch digitale Patientenschulungen inkludiert sind.

Thema Diabetes im Koalitionsvertrag


Von einer nationalen Diabetesstrategie – wie sie die Diabetesverbände seit langem fordern – ist allerdings im Koalitionsvertrag nicht die Rede. Aber Diabetes wird immerhin im Zusammenhang mit einem Nationalen Präventionsplan sowie konkreten Maßnahmenpaketen genannt. Optimisten sehen darin einen realistischen Ansatzpunkt, um mit den Entscheidungsträgern zukünftig ins Gespräch zu kommen und die Vorschläge der Diabetesverbände zur Diabetesprävention und zur Versorgung von Diabetespatient:innen einzubringen.

Mit dem neuen Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hat ein Mann das Gesundheitsressort übernommen, der in der deutschen Bevölkerung nicht nur beliebt, sondern auch mit der Diabetesszene vertraut ist. Die beiden Parlamentarischen Staatsekretär:innen im Bundesministerium für Gesundheit, die Ärztin Sabine Dittmar und Prof. Dr. Edgar Franke, waren ebenfalls in den vergangenen Jahren als Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestages gern gesehene Diskutant:innen und Referent:innen auf Fachveranstaltungen rund um Diabetes. So weit so optimistisch. Da die Pandemie jedoch noch nicht ausgestanden ist, steht außer Frage, was die Prioritätenliste des neuen Gesundheitsministers in den ersten Monaten seiner Amtszeit anführen wird.

Zudem strebt die neue Regierung den Ausbau der Gematik zur digitalen Gesundheitsagentur an sowie eine beschleunigte Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) mit einem Opt-Out-Ansatz. Das bedeutet, dass jeder Versicherte zunächst eine ePA erhält, möchte er/sie diese nicht nutzen, erfordert dies ein aktives Eingreifen. Weiterhin planen die Koalitionäre ein Registergesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur besseren wissenschaftlichen Nutzung.

Neuerungen

Zu den neuartigen Vorhaben der Ampel-Koalition gehören u.a. und querbeet: ein allgemeines Heilberufegesetz, sektorengleiche Vergütung geeigneter Leistungen durch sogenannte Hybrid-DRG, ein Modellprojekt zum Direktzugang für therapeutische Berufe, Bürokratieabbau, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften, die Integration der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit, Gendermedizin als Teil des Medizinstudiums und der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe sowie die Verstetigung des Innovationsfonds.

Kinderschutz

Ergänzt wird das Gesundheitskapitel durch gesundheitspolitische Aspekte in anderen Abschnitten des Koalitionsvertrages, z. B. im Bereich der Ernährungspolitik. So kündigen die Koalitionäre an, dass es Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt bei Sendungen und Formaten, die sich an Kinder unter 14 Jahren richten, nicht mehr geben soll. Damit würde eine eine langjährige Forderung der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) erfüllt.

Die Prävention von Diabetes Typ 2 ist dem VDBD ein ebenso wichtiges Anliegen wie die bestmögliche Versorgung, weshalb sich der Verband seit zehn Jahren im Rahmen des Wissenschaftsbündnisses DANK für die Verhältnisprävention engagiert. Jetzt kommt es auf die Ausgestaltung an, damit Schlupflöcher vermieden werden und der große Einfluss der Sozialen Medien, der in den entsprechenden Textpassagen nicht explizit genannt wird, in ein künftiges Gesetz Eingang findet.


Autor:
Dr. Gottlobe Fabisch
Geschäftsführerin des Verbands der
Diabetes-Beratungs- und Schulungs-
berufe in Deutschland (VDBD)
Habersaathstr. 31, 10115 Berlin
Tel.: 030/847122490
E-Mail: info@vdbd.de
Website: www.vdbd.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (1/2) Seite 6-7