Vor zwei Jahren mit einiger Begeisterung gestartet, schlug der Bewegungsgipfel der Bundesregierung nach dem Scheitern des Entwicklungsplans Sport jetzt heftig auf dem Boden der sparpolitischen Tatsachen auf.

Bewegung zählt bei Diabetes zur Basistherapie. "Vermehrte körperliche Bewegung und Sport sind essenzielle therapeutische Maßnahmen bei allen Formen des Diabetes", so steht es in der Praxisleitlinie Typ-2-Diabetes der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Die Autoren unterstreichen auch den vielfältigen Nutzen der körperlichen Aktivität: "Die Anpassung an einen gesunden Lebensstil ist von entscheidender Bedeutung nicht nur zur Prävention eines Typ-2-Diabetes, sondern auch zur Reduktion der komplexen Pharmakotherapie und der Entstehung und Progression diabetischer Komplikationen." Empfohlen werden mindestens 150 Minuten Bewegung mittlerer Intensität pro Woche.

Ebenso bekannt wie dieser gute Ratschlag ist die Tatsache, dass alle Theorie grau ist – ohne Motivation und Gelegenheit zur körperlichen Aktivität bleibt die Leitlinienempfehlung genauso wirksam wie passives Fußballschauen auf dem heimischen Sofa.

Diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit führte auch zu einem mittleren Eklat beim zweiten Bewegungsgipfel der Bundesregierung Mitte März. Eine lange Liste von Organisationen und Einrichtungen nahm daran in der Sportschule Poelchau im Berliner Olympiapark Teil – nicht dabei waren aber die Landessportbünde. Sie blieben dem Bewegungsgipfel aus Protest gegen den von der Politik vorgelegten Entwurf des "Entwicklungsplans Sport" fern. "Wir werden dort nicht hingehen", sagte Jörg Ammon, Sprecher der Landesverbände und Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes, im Vorfeld des Treffens der ARD-Sendung Sportschau. Die Entscheidung sei auf einer Konferenz dazu einstimmig gefallen, "das ist bei 16 Landessportbünden nicht so einfach. Aber wir sind zu der Auffassung gelangt, dass es überhaupt keinen Sinn hat, einen Bewegungsgipfel abzuhalten mit nichts in der Hand".

Gute Worte ohne Geld

Die Enttäuschung geht zurück auf die Arbeit am Entwicklungsplan Sport. Das gemeinsame Strategiepapier war das Resultat des Expertenaustauschs in mehreren Arbeitsgruppen und sollte beim Bewegungsgipfel abgesegnet werden. Doch der Referenten-Entwurf, den das Bundesministerium des Innern (BMI) im Februar vorgelegt hatte, stieß auf deutliche Ablehnung und wurde schließlich zurückgezogen. Der Entwurf sei eine Auflistung von Ideen, ohne festzulegen, wie und durch wen diese umgesetzt werden sollen – und ohne finanzielle Zusagen seitens des Bundes.

Noch vor zwei Jahren klang alles ganz anders: Im Mai 2022 begrüßte Michaela Röhrbein im Namen des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), dass ein kraftvolles Paket zur Unterstützung des Breiten- und Vereinssport durch den Haushaltsausschuss des Bundes verabschiedet worden war. 500 Millionen Euro sollen dem organisierten Sport zu Gute kommen - davon 25 Millionen Euro explizit für den "Neustart" des Breitensports nach Corona. Auch der Appell zur Umsetzung einer "Investitionsoffensive Sportstätten" für die Sanierung und Dekarbonisierung sei weitgehend berücksichtigt worden, lobte der DOSB. Das optimistische Fazit: "Es ist Aufbruchstimmung zu spüren!"

In dieser Stimmung fand im Dezember 2022 der erste Bewegungsgipfel der Bundesregierung statt, auf Initiative von DOSB und seiner Jugendorganisation Deutsche Sportjugend (dsj). Es trafen sich neun Bundesministerien, zwei Landesfachkonferenzen, drei kommunale Spitzenverbände, DOSB und dsj und weitere Stakeholder – ein "zuvor noch nie dagewesenen Ereignis", freute sich der DOSB. Eine gemeinsamen Gipfelerklärung war das Ergebnis, sie war die Geburtsstunde des "Entwicklungsplan Sport".

Am zweiten Bewegungsgipfel in diesem März nahm der DOSB zwar teil, doch die gute Stimmung war kritischer Skepsis gewichen. "Die Hoffnungen, die wir an einen Entwicklungsplan Sport geknüpft haben, sind im ersten Entwurf nicht erfüllt worden", resümierte Michaela Röhrbein, DOSB-Vorstand Sportentwicklung, diplomatisch und sagte: "Daher begrüßen wir es, dass das BMI den Prozess nun verlängert, um einen Entwicklungsplan zu erarbeiten, der nicht nur ein Lippenbekenntnis ist. "Die große Herausforderung, die ressortübergreifende Zusammenarbeit umzusetzen und Maßnahmen zu finanzieren, sollte uns nicht stoppen, sondern in sportlicher Manier antreiben. Ambitionslosigkeit zu Lasten der Gesundheit insbesondere junger Menschen können wir uns nicht leisten", ergänzte Julian Lagemann, dsj-Vorstandsmitglied. "Wir müssen uns für die Förderung frühkindlicher Bewegung einsetzen, mehr Bewegung in die Schulen bringen, Kooperationen im Ganztag stärken und kommunale Bewegungslandschaften weiterentwickeln. Wir alle teilen die Verantwortung und die Chance, die Zukunft des Sports in Deutschland zum Wohl von Kindern und Jugendlichen zu gestalten und dafür brauchen wir als organisierter Sport ein klares Commitment seitens der Politik.

© Henning Schacht
Gute Laune trotz schlechter Stimmung im Vorfeld: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (links neben DOSB-Maskottchen Trimmy) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (rechts davon) auf dem Bewegungsgipfel 2024.

Gegenüber der Sportschau sah sich Röhrbein zu einer Rechtfertigung veranlasst, dass der DOSB überhaupt an der zweiten Auflage des Gipfels teilnahm. Der erste Bewegungsgipfel 2022 habe "wirklich ein großes Bild gemalt von einem Paradigmenwechsel, davon, dass wir Sport und Bewegung als Querschnitt verankern auf der Bundesressortebene und durch alle Ebenen hinweg: Bund, Länder, Kommunen", erinnerte sie. "Dafür müssen wir einstehen, nach wie vor. Da dürfen wir den Dialog nicht abreißen lassen", begründete Röhrbein. Die DOSB-Vorständin äußerte aber "größtes Verständnis dafür, dass viele, die den Prozess begleitet haben, sehr enttäuscht sind" und dem Bewegungsgipfel fernblieben.

Anlässlich des zweiten Deutschen Sportstättentags Ende Oktober letztes Jahr wies der Deutsche Städtetag zum Beispiel darauf hin, dass Sport- und Bewegungsräume immer weniger die an sie gestellten Anforderungen erfüllen. Die Veranstaltung wurde vom Deutschen Olympischen Sportbund, der IAKS Deutschland, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft organisiert und durchgeführt. Allein der Sanierungsbedarf der rund 231 000 Sportstätten wurde bereits im Jahr 2018 mit 31 Milliarden Euro beziffert. Der Sanierungsstau und die daraus resultierenden Probleme verlangen dringend eine umfassende Modernisierung der Sportinfrastruktur in Deutschland, so der Städtetag. Leider habe der Bund den Investitionspakt Sportstätten im letzten Jahr vorzeitig eingestellt und überdies kürzlich das Budget des Programms zur "Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur" (SJK) halbiert. Dass der Entwicklungsplan Sport nicht wie geplant vorgestellt werden konnte, passt für die Organisation damit leider ins Bild. Auf dem 2. Deutschen Sportstättentag forderten die Veranstalter vor diesem Hintergrund, Sport- und Bewegungsräume nachhaltig und zukunftsfähig zu entwickeln und die Förderung dafür zu verstärken. Außerdem solle die Zusammenarbeit verbessert werden. In den aktuellen Haushaltsdebatten werde stattdessen bei diesen Unterstützungsleistungen des Bundes oft zuerst der Rotstift angesetzt. Es müsse ein Umdenken bei politischen Entscheidungsträgern stattfinden, forderte der Sportstättentag: "Die Bedeutung von Sport und Bewegung muss durch eine angemessene finanzielle Unterstützung wertgeschätzt werden."

Balsam oder Botschaft

Dass mit dem Entwicklungsplan Sport ein zentraler Programmpunkt fehlte, hielt die verbliebenden Teilnehmer des zweiten Bewegungsgipfels nicht von begeisterter Rhetorik ab. "Sport macht Spaß und ist gesund. Aber Sport ist vor allem auch sozialer Kitt", hob Faeser hervor. "Sport ist gelebte Integration und gelebter Zusammenhalt für alle Menschen, von klein auf, ganz gleich, wo sie aufwachsen. Fairness, Respekt und Teamgeist lernen wir im Sport. Deshalb wollen wir den Sport und vor allem die vielen Ehrenamtlichen in den Vereinen noch stärker unterstützen", gab sie als Richtung vor. "Wir wollen mehr Bewegungsförderung für Kinder und Jugendliche. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, damit so viele Menschen wie möglich in Sport und Bewegung kommen. Wir wollen das Ehrenamt stärken und die Vereine von Bürokratie entlasten.

Der Runde Tisch "Bewegung und Gesundheit"
Am Runden Tisch Bewegung und Gesundheit waren Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände, Sozialversicherungsträger sowie Sozialpartner, Verbände und wissenschaftliche Einrichtungen aus den Bereichen Bewegung, Sport und Gesundheit beteiligt. Die vereinbarten Maßnahmen zur Stärkung und Förderung von Bewegung fanden laut Bundesgesundheitsministerium Eingang in das Konsenspapier. Indem die Akteure Datenbanken mit Bewegungs- und Sportangeboten bündeln und gemeinsam bekanntmachen, soll etwa die Sichtbarkeit und Reichweite der vorhandenen Angebote erhöht werden. Weitere Beiträge betreffen die Qualitätssicherung der bewegungsfördernden Maßnahmen, zum Beispiel in Bildungseinrichtungen. Das Wort "Diabetes" kommt im Konsenspapier immerhin drei Mal vor. Einmal allerdings schon beim Herausgeber, dem BMG-Referat Referat 323 "Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Nichtübertragbare Krankheiten".

Lauterbach konnte sich im Gegensatz zu Faeser über etwas Konkretes freuen, zum 2. Bewegungsgipfel wurde das Konsenspapier des Runden Tisches Bewegung und Gesundheit veröffentlicht. Der Minister lobte den Runden Tisch als vollen Erfolg: "Mit großem Engagement ist ein gemeinsames praxisnahes Konsenspapier erarbeitet worden", so Lauterbach. "Der Bewegungsmangel ist ein wachsender Risikofaktor für Herzkrankheiten, Krebs, Demenz und Depressionen. Kein Arzneimittel wirkt besser auf so viele Krankheiten. Bewegung ist der Schlüssel für eine gesündere Bevölkerung", betonte er. "Nur wenn sich Deutschland mehr bewegt, werden wir auch gesünder älter. Der Gipfel und die Arbeit aller Beteiligten sind ein Auftrag für Politik und Gesellschaft: Bewegung gehört in den Alltag, nicht nur auf den Sportplatz", so Lauterbachs Appell.

Özdemir lobt den Zweiklang

Auch Bundesernährungsminister Cem Özdemir war auf dem Gipfel. "Für unsere Gesundheit sind eine gute Ernährung und ausreichend Bewegung die zentralen Bausteine. Diesen Zweiklang haben wir deshalb auch in unserer jüngst beschlossenen Ernährungsstrategie der Bundesregierung angelegt", erklärte er. "Vor allem Kinder und Jugendliche brauchen eine Vielfalt entsprechender Angebote, um schon früh zu erleben und erfahren: gesundes Essen und ausreichend Bewegung halten gesund – und machen vor allem viel Spaß", forderte der Grünen-Politiker.

Entwicklungsplan aufgeschoben, nicht aufgehoben

Die Bundespolitik hat den Entwicklungsplan Sport im Übrigen noch nicht beerdigt. Laut Ministerium werde sich nach dem Aus des ersten Entwurfs aber erst einmal intern auf Bundesebene abgestimmt. Erst danach will man wieder auf die Partner in den Ländern, auf der kommunalen Ebene und im organisierten Sport zugehen. Faeser bewies nach dem Bewegungsgipfel im März Berufsoptimismus: "Die heutige Diskussion ist eine gute Grundlage für den Entwicklungsplan, mit dem wir dem Sport und der Bewegung in Deutschland starke Impulse verleihen wollen", erklärte die Ministerin.


Autor:
© privat
Marcus Sefrin
Redaktion MedTriX GmbH
Lüneburg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (5) Seite 6-8